Essen. Die neuerlichen Ausschreitungen in Altenessen haben eine Sicherheitsdebatte ausgelöst. Oberbürgermeister Kufen spricht sich für Bodycams aus.
Anfang Dezember ist am Altenessener Markt eine blutige Fehde mit Knüppeln und Eisenstangen im Clan-Milieu eskaliert. Knapp einen Monat später randalierten dort in der Silvesternacht junge Männer. Sie ließen nicht nur Fassungslosigkeit und ein Bild der Zerstörung zurück, sondern auch viele tausende Internetgaffer an ihren Verwüstungs-Videos teilhaben. Am Samstag dann gipfelte ein zunächst eigentlich alltäglicher Knöllcheneinsatz des Essener Ordnungsamtes in einem Riesentumult, tätlichen Angriffen gegen Beamte und einer gewaltsamen Gefangenenbefreiung.
Die Clan-Abteilung der Polizei hat die Ermittlungen übernommen. Denn bei den drei vorläufig Festgenommenen und einem flüchtigen 29-Jährigen handele sich um Intensivtäter aus bekannten Familienmilieus, hieß es am Montag.
Auf den ersten Blick scheinen die Ausschreitungen vom Wochenende, so verabscheuungswürdig sie nicht nur nach Einschätzung des Essener Ordnungsdezernenten Christian Kromberg sind, kaum mehr als ein weiteres der aktuellen Kapitel zum Teil hochdelinquenten Verhaltens im Stadtteil zu sein. Doch das, was zuletzt eine Vielzahl von Einsatzkräften in Atem hielt und die örtliche Politik bereits Konsequenzen fordern lässt, hatte aus Sicht der Polizei eine neue Qualität des ganz offen ausgelebten Widerstandes der Straße gegen den Rechtsstaat.,
Denn es waren nach Einschätzungen der Behörden nicht nur die sonst üblichen, mehr oder minder passiven Schaulustigen, die meinten, nichts verpassen zu dürfen in dem Sprengel, den sie offenbar als den ihren empfinden. Nein, die immerhin rund 100 Personen, die sich am Altenessener Markt aufstellten, bildeten dieses Mal eine regelrechte Phalanx gegen die Einsatzkräfte - offenbar, weil es für einen der Ihren eng wurde, der ganz oben in der Hackordnung eines Clans logiert.
„Fächerförmig gingen sie auf die Beamten zu”, heißt es dazu im Einsatzbericht der Polizei. „Das waren nicht nur Zaungäste”, bestätigte Polizeisprecherin Sylvia Czapiewski , „sondern das war eine Klientel, die offen mit den Störern sympathisierte.” Das sei „ganz deutlich” zu erkennen gewesen. Der Widerstand gipfelte schließlich darin, dass ein 40 Jahre alter libanesisch-stämmiger Beteiligter einen Polizisten in den Schwitzkasten nahm, bis ein bereits festgenommener Deutsch-Marokkaner (29) sich losreißen und im Getümmel flüchten konnte.
Hackordnung des Milieus
Nach diesem Mann mit zwei Pässen fahndet die Polizei nun. Er könnte sich in die Schweiz abgesetzt haben, wo er inzwischen wohnen soll. Nichtsdestotrotz hält sich der 29-Jährige nach Kenntnis der Behörden immer wieder mal in Essen auf. Er ist Ermittlern nur zu gut bekannt, weil er seit geraumer Zeit bei einer ganzen Reihe von Tumultdelikten aufgefallen sei. Auch Betrugsvorwürfe gegen ihn stehen im Raum.
Der Deutsche mit marokkanischen Wurzeln, der im Beisein zwei weiterer Männer mutmaßlich am Steuer des mehr als 100.000 Euro teuren Mercedes G-Klasse mit Schweizer Kennzeichen gesessen haben könnte, als zwei Mitarbeiterinnen der städtischen Verkehrsüberwachung ein Parkverstoß auffiel, scheint in der Hierarchie des Altenessener Milieus ziemlich weit oben zu stehen. Zumindest würde das aus Sicht der Polizei die massive Solidarisierung mit ihm und den weiteren Männern erklären, die die Verkehrsaufseherinnen der Stadt massiv bedroht haben.
Oberbürgermeister für Bodycams
Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen und Ordnungsdezernent Christian Kromberg haben sich am Montagmittag mit den beiden 26 und 50 Jahre alten städtischen Mitarbeiterinnen getroffen, die von den Männern gegen 17.30 Uhr angegangen worden sind, bevor sie einen von ihnen eineinhalb Stunden später auf dem Altenesser Markt wiedererkannten und die Polizei alarmierten.
Der OB sprach den beiden vor der versammelten Schar der Verkehrsaufseher und -innen sein großes Lob aus: „Sie haben sich sehr vorbildlich verhalten und ich bin sehr stolz, dass sie nicht zurückgewichen sind, sondern ihren Job gemacht haben“, lautete im Kern die Botschaft Kufens, bevor die beiden mutigen Damen ihren Dienst auf der Straße unbeirrt fortsetzten,
Zum besseren Schutz der Mitarbeiter sei die Frage nach Bodycams für städtische Ordnungskräfte aufgekommen. „Ich finde das grundsätzlich gut“, meinte der OB. Die filmische Möglichkeit zur Dokumentation von Einsätzen sei ein Beitrag zur Deeskalation - auf beiden Seiten.
EBB-Fraktionschef Kai Hemsteeg zeigte sich am Montag „sehr beunruhigt über den erneuten gewalttätigen Vorfall in Altenessen”. Wenn bereits die berechtigte Ahndung eines Parkverstoßes zu Bedrohungen von Ordnungskräften und zu Massentumulten mit tätlichen Angriffen auf Vollstreckungsbeamte führe, dann laufe im Stadtteil etwas gründlich falsch.
Es brauche nun einen stadtpolitischen Schulterschluss zur Unterstützung der Polizei und des Ordnungsamtes. Die Behörden müssten noch mehr Präsenz zeigen. Doch Hemsteegs Forderungen gehen noch weiter: Die Beschädigung freiheitlicher-demokratischer Werte müsse den dauerhaften Aufenthalt in Deutschland ausschließen.
„Absolutes Scheitern der Integration“
Thomas Spilker, Vorsitzender des FDP-Ortsverbandes Essen Nord, hat die Vorkommnisse als „absolutes Scheitern der Integration im Essener Norden“ bezeichnet. Es grenze an Glück, dass nichts Schlimmeres passiert sei. „Die Altenessener Bürgerschaft ist nicht mehr bereit, solche Vorfälle hinzunehmen“, meinte Spilker, der die Polizei bittet, ab sofort die Mobile Wache für mehr Sicherheit einzusetzen.
Dieses Instrument hält die Behörde allerdings für ein wenig geeignetes Mittel im Kampf gegen Clankriminalität, um die es letztlich in dem aktuellen Fall ginge. Es bleibe deshalb bei der zusätzlichen Präsenz der Bereitschaftspolizei und der Doppelstreife im Zweischichtbetrieb nach der Silvesterrandale. Das im Vergleich zu anderen Stadtteilen „sehr hohe Polizeiaufgebot“, so Czapiewski und Kromberg unisono, habe sich bewährt. Der Altenessener Markt sei kein Kriminalitätsschwerpunkt.