Essen. Nur 45 Plätze, aber ganz viel Atmosphäre: Essens kleinstes Programmkino wird 50 – und hofft auf die Rückkehr vieler Filmfans nach der Pandemie.
In der großen Familie der Essener Filmkunsttheater ist die Galerie Cinema immer noch das Küken. Mit 50 Jahren jünger als Eulenspiegel und das historische Filmstudio Glückauf. Mit gerade mal 45 Plätzen zudem viel kleiner als die „große Schwester“ Lichtburg mit dem 1250-Sitze-Saal. Und trotzdem ist das Kinokleinod in Rüttenscheid, das in diesen Tagen Geburtstag feiert, so etwas wie die Keimzelle einer besonderen Essener Kinogeschichte.
Hanns-Peter Hüster, der im vergangenen Jahr verstorbene große Kinobetreiber, legte 1971 mit der Galerie Cinema den Grundstein einer unvergleichlichen Filmkunst-Entwicklung. Hüster, der in Essen schon 1964 das erste kommunale Kino Deutschlands auf den Weg bringt, übernimmt das Kinokleinod Ende der 1960er Jahre zunächst als Galerie von Freunden. Morgens zeigt er in der damaligen „Galerie Christine“ Kunst, abends werden Stühle aufgestellt und der Filmprojektor angeschmissen. Bald jedoch ist Schluss mit improvisieren. Die Kunstgalerie wird 1971 zum Kino – zur Galerie Cinema; dem ältesten Programmkino im Ruhrgebiet.
Was Hüster Anfang der 1970er begründet, begeistert das Publikum bis heute: die Nähe zur Leinwand, die Authentizität, die kuschelige Wohnzimmer-Atmosphäre. Das Souterrainkino ist weit entfernt von einem anonymen Multiplexsaal, in den man einfach mal ungesehen mit Verspätung hineinhuscht. Das merkt auch Marianne Menze, als sie dort Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ sehen will. „Ich bin mitten in die Ouvertüre geplatzt“, erinnert sich die heutige Geschäftsführerin der Essener Filmkunsttheater. Als sie später bezahlen will, bekommt sie kein Ticket, sondern von Kinobetreiber Hanns-Peter Hüster die Einladung auf ein Glas Rotwein.
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Die leidenschaftliche Cineastin und der Kinopionier werden ein Paar. Und die Galerie Cinema wird in den Anfangsjahren so etwas wie ihr zweites Zuhause. Klein, familiär und wie gemacht für die Filme, die auf der großen Leinwand keine Chance hätten. Ken Russells „Tschaikowsky. Genie und Wahnsinn“ wird so ein Durchhalterfolg. In der ersten Woche spielen sie den Film vor leerem Haus, dann sorgen Mundpropaganda, aber auch Verrisse, für Gesprächsstoff und für immer mehr Interesse. Der Film läuft 42 Wochen am Stück. Und wird zum Beweis, dass Filmkunst manchmal eben auch Anlaufzeit und Kinobetreiber aus Überzeugung braucht. Oder wie es Hüster im März 1971 anlässlich der Kinoeröffnung schreibt: „Entscheidend für die Konzeption eines Kinos ist der Geschmack und das Bewusstsein seines Initiators. Ich hoffe, auch in Zukunft das Interesse eines mündigen Publikums für den Film in all seiner Vielfältigkeit zu erhalten.“
Nach dem Film gab es Brot, Wein und manchmal auch Kohlsuppe
„Easy Rider“ zur Eröffnung
Film-Entdeckungen jenseits des Mainstreams zeigt die Galerie Cinema seit mittlerweile 50 Jahren. Regelmäßig wird das Kino dafür mit Jahresfilmprogramm-Prämien ausgezeichnet.Eröffnet wurde die Galerie Cinema 1971 mit „Easy Rider“ von Dennis Hopper. In den ersten Wochen standen außerdem „Das Geheimnis der falschen Braut“ von Francois Truffaut, „Kinder des Olymp“ (Regie: Marcel Carné) und „Wenn Katelbach kommt“ von Roman Polanski auf dem Programm.
So findet auch der fast wort- und tonlose französische Dokumentarfilm „Cousin Jules“ 1973 sein Publikum, in dem mit Rücksicht auf die verfilmte Landlebenstille während der Vorführung nicht genascht werden darf. Zur Belohnung gibt’s im Anschluss für alle selbst gekochte Kohlsuppe, wie sie auch im Film zubereitet wird. Überhaupt sind die gemeinsamen Diskussionsabende mit anschließendem Rotwein und Brot für viele ein Anreiz, nach dem Abspann noch zu bleiben. „Es gab damals nichts vergleichbares in Essen“, erinnert sich Marianne Menze.
Das kuschelige Souterrain-Kino bleibt ein Kleinod für Nischenprogramme. Aber auch für Experimente. Frühes 4D-Kino, das hieß damals in der Galerie Cinema, bei „Meuterei auf der Bounty“ während der Fahrt um Kap Horn von hinten einfach mal Wasser in den Zuschauerraum zu spritzen oder bei Federico Fellinis „Roma“ Weihrauch durch die Belüftungsanlage zu schicken, erzählt Menze.
Viele Kinogänger wurden so zu Stammgästen, die die Galerie Cinema seit Jahrzehnten besuchen. Natürlich auch, um „Harold und Maude“ zu sehen, den Kultfilm aus den 1970er Jahren, der untrennbar mit dem Ruf des Kinos verbunden ist und 45 Jahre lang gespielt wurde – bis Corona kam.
Die Galerie Cinema wird die Pandemie überstehen, da ist sich Marianne Menze sicher. „Ein paar Filmverrückte wird es immer geben.“ Und echte Kinoliebe hält schließlich für immer.