Essen-Rüttenscheid. Anwohner in Essen-Rüttenscheid sind vom Baulärm genervt. Vor ihrer Haustür entsteht ein neues Quartier, das ihnen auch den Blick ins Grüne raubt.

Jacomina de Rijke (74) und Thorsten von Borstel (52) wollten sich einst mit ihrem Umzug nach Rüttenscheid einen Lebenstraum erfüllen. Ein kleines Paradies sollte ihr Zuhause sein in ruhiger Lage mit herrlichem Ausblick ins Grüne. Heute sind die beiden nur noch genervt vom ständigen Baulärm und fühlen sich eingepfercht hinter einer Häuserfront. Mit ihrem Frust steht das Paar nicht allein.

Bürgerinitiative wollte Bau der neuen Häuser verhindern

Die Anwohner, die sich zu Wort melden, leben alle an der Gummertstraße, ähnlich wie de Rijke und von Borstel kamen sie auch hierher, „weil uns die Lage einfach begeistert hat“, sagt Anwohner Rainer Groß. Doch dunkle Wolken zogen auf, als vor gut zehn Jahren die Nachricht die Runde machte, die Einfamilienhäuser mit schmucken Gärten und Obstwiesen in unmittelbarer Nachbarschaft würden abgerissen und dort solle eine neue Häuserzeile entstehen, die später den Namen Rü-Bogen bekam. Eine Bürgerinitiative war zwar flugs gegründet, doch sie war am Ende machtlos, sagen die Anwohner. Die Politik habe die Bebauungspläne einfach durchgewunken, beklagen die Bewohner.

Bei den Mietern Ellen Schürenberg, Inge Schulze, Jacomina de Rijke, Thorsten von Borstel, Rainer Groß und Christiane Groß liegen nach fast zwei Jahren Bauzeit die Nerven blank.
Bei den Mietern Ellen Schürenberg, Inge Schulze, Jacomina de Rijke, Thorsten von Borstel, Rainer Groß und Christiane Groß liegen nach fast zwei Jahren Bauzeit die Nerven blank. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Nachdem dann Abbruchunternehmen ihre Arbeit geleistet hatten, begannen 2019 die Bauarbeiten für den Komplex, der rund 100 Wohnungen zählt. „Seither haben wir ständig Krach um die Ohren“, sagen Inge (79) und Horst Schulte (82). Der beginne meist schon weit vor der üblichen Zeit von 7 Uhr morgens und dauere bis in die Abendstunden. Der Eigentümer, das Unternehmen Covivio, habe zwar die Miete gesenkt, aber die Dauerbelastung lasse sich dadurch nicht wirklich wettmachen. Das Bohren und Hämmern sei längst zum ständigen und lästigen Begleiter geworden. Das Dröhnen der Baumaschinen könne man kaum noch ertragen, ebenso wenig den Schmutz und den Dreck. Seit über einem Jahr stehe dort auch ein Riesenbaukran, der den Ausblick noch weiter verleide.

Vor lauter Krach finden die Anwohner nicht in den Schlaf

Auf der Terrasse halte man es kaum noch aus, ärgern sich Ellen (81) und Ernst Schürenberg (86). Dabei spiele aber nicht nur der ohrenbetäubende Lärm eine Rolle, sondern auch die Nähe der neuen Bauten. Auch wenn noch niemand eingezogen sei, „sind natürlich die Bauarbeiter vor Ort“. Nachbarn erzählen, dass sie meist auch am helllichten Tage die Jalousien herunterlassen, weil sie sich sonst wie auf dem Präsentierteller fühlen. Aufgrund des ständigen Krachs übernehme eine Mieterin, die als Krankenschwester im Krupp-Krankenhaus arbeitet, schon keine Nachtschichten mehr. Tagsüber könne man bei dem Radau nicht in den Schlaf finden.

Bebauungsplan wurde im Dezember 2017 rechtskräftig

2011 wurden laut Angaben der Stadt die Weichen durch einen Aufstellungsbeschluss, eine Art Vorentwurf, für das Gelände gestellt, die meisten Bewohner wohnten zu dem Zeitpunkt schon seit Jahren oder Jahrzehnten an der Gummerstraße.Der Bebauungsplan selbst wurde, wie die städtische Pressestelle mitteilte, im Dezember 2017 rechtskräftig. Die Mietminderungen seien mithin unterschiedlich, so die Covivio-Sprecherin, und würden sich nach den Beeinträchtigungen richten. Wie zu erfahren soll der Nachlass bei rund 20 Prozent liegen.Die Eigentumswohnungen im Rü-Bogen sind zwischen 65 und 125 Quadratmeter groß, haben zwei bis vier Zimmer. Die Kaufpreise liegen, so bpd, zwischen 255.000 und 515.000 Euro, zuzüglich Tiefgarage (je nach Größe und Standard) zwischen 19.900 Euro bis 25.900 Euro

Einmütig berichten die Mieter, dass so manches Mal schon die Wände regelrecht gewackelt hätten, beispielsweise bei Rüttelarbeiten während des Baus der Tiefgarage. Sorge bestand, als der Investor für den Rü-Bogen sogar offensichtlich Gelände von Covivio in Anspruch genommen habe. Da hatten manche Mieter regelrecht Angst, der Boden, auf dem die Häuser der Mieter stehen, könnte nachgeben. Dazu sei es zum Glück nicht gekommen, doch während der Zeit habe man schon Informationen vermisst, wie denn hier eigentlich vorgegangen werde, so von Borstel Nach Angaben einer Covivio-Sprecherin hat sich die Inanspruchnahme des Grundstücks nur auf einen Teilbereich, den Wendehammer, beschränkt. Von Borstel widerspricht da ganz eindeutig, das habe auch andere Flächen betroffen und zu weiteren Störungen geführt.

Lkw-Fahrer blockieren Einfahrten zu den Mietergaragen

Im Wendehammer wie überhaupt im gesamten Zufahrtsbereich komme es immer wieder zu Stress mit den Fahrern der Baufahrzeuge. „Wir haben dort unsere Garagen. Ganz häufig parken Lkw dann direkt davor.“ Die Mieter berichteten von mehreren Fällen, in denen sich die Fahrer stur stellten und den Weg versperrten.

Früher blickten die Mieter an der Gummertstraße auf Einfamilienhäuser, die im Grünen lagen.
Früher blickten die Mieter an der Gummertstraße auf Einfamilienhäuser, die im Grünen lagen. © Unbekannt | Von Borstel

Irritiert sind viele Mieter, wenn mal wieder Unbekannte die Wege auf den Covivio-Grundstücken nutzen. „Inzwischen wissen wir, dass es sich um die Eigentümer der neuen Wohnungen handelt, die aber die Zugänge zu ihren Wohnungen noch nicht kennen oder keine entsprechenden Beschilderungen finden“, so das Ehepaar Schürenberg Auch solche Begegnungen nehmen nicht immer einen freundlichen Verlauf. Auf Nachfrage, ob man ihnen helfen könne, haben die Mieter auch manches Mal abschlägige Reaktionen erlebt.

Auf Anfrage erklärte eine Sprecherin des Investors BPD, dass das Generalunternehmen aufgefordert sei, „sich konsequent an die Einhaltung der gesetzlichen Auflagen und Regeln zu halten“. Bislang sei aus Sicht von BPD dagegen auch noch nicht verstoßen worden. Man habe aber die Bauleitung darauf hingewiesen, Zufahrten und auch die Anliegergrundstücke frei zu halten. Zudem sollte im Fall der Fälle auch Kontakt zu den Anwohnern aufgenommen werden, um etwaige Belästigungen möglichst zu reduzieren.

Mieter hatten früher einen Blick in blühende Gärten

Die Beschwerden über den Baulärm und zugestellte Parkplätze sind auch bei Covivio durchaus bekannt. Doch dem Wohnungsunternehmen seien auch die Hände gebunden, weil man selbst nicht Bauherr sei. Natürlich stehe man auch im Kontakt mit BPD. Man rechne aber nicht mit einer langfristigen Belastung, betont die Sprecherin, räumt aber durchaus ein, dass der stete Lärm nur schwer erträglich sei.

Mit Blick auf die künftige Lage erklärt sie, dass in einem innerstädtischen Wohnumfeld die unmittelbare Nähe zur Nachbarschaft absolut normal sei. Als innerstädtisch haben die Mieter der Gummertstraße die Lage der Häuser allerdings lange Zeit nicht betrachtet, wenn sie vom Balkon in blühende Gärten blickten oder auf Obstbäume schauten. Eine Mieterin mit südländischer Herkunft überlegt, ob sie nicht wieder in ihre Heimat zurückkehren soll. Da habe sie Sonne und bei ihrer Wohnung im Erdgeschoss sei der Lichteinfall inzwischen sehr spärlich.