Essen-Altenessen. Die Schaustellerfamilie Walter aus Altenessen versucht ihre Zukunft zu sichern – auch mit einem Lieferservice für Schokofrüchte, Popcorn und Co.
Schon in der sechsten Generation lebt Familie Walter aus Altenessen von der Schaustellerei. Doch die Pandemie stellt sie nun vor existenzielle Fragen. Die 38-jährige Jessica Walter muss in der Krise kreativ werden, um den Traditionsbetrieb zu erhalten. „Wir können aktuell zumindest den Grillstand und den Süßigkeitenstand am Allee Center betreiben“, sagt sie. Zusätzlich hat sie einen Lieferservice für Kirmessüßigkeiten gestartet.
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Paradiesäpfel, gebrannte Mandeln, Popcorn und Schokofrüchte können sich diejenigen, die in einem Umkreis von 15 Kilometern um Altenessen Mitte wohnen, nun nach Hause liefern lassen. Zu besonderen Anlässen lässt sich Jessica Walter Themenpakete einfallen, zum Beispiel Platten voller süßer Überraschungen zum Valentinstag, zu Ostern oder zu Geburtstagen. Sie bewirbt die Aktionen auf der Facebook-Seite, die ihr „Süßes Paradies“ auch erst während der Pandemie bekommen hat. Neue Herausforderungen erfordern eben neue Herangehensweisen. Wenn die Leute nicht automatisch auf dem Kirmesplatz am Stand vorbeischlendern, entdecken sie ihn vielleicht digital vom Sofa aus.
Karussell und Autoscooter stehen still
Lieferservice und Standverkauf am Allee Center sind momentan die einzigen Einnahmequellen. „Für uns ist es besser als nichts, auch wenn es kein Vergleich ist zu den Umsätzen, die wir auf Großveranstaltungen machen“, sagt Walter. Auf 25 bis 30 Kirmesplätzen, Stadtfesten und Festivals ist die Familie normalerweise pro Jahr unterwegs. Seit sie ihren Stand Ende 2019 auf dem Altenessener Weihnachtsmarkt abgebaut hat, ist jedoch nichts mehr normal. Auf die Winterpause folgte der erste Lockdown.
Fahrgeschäfte und Süßigkeiten
Die Familie Walter hat schon vor dem Zweiten Weltkrieg Fahrgeschäfte und Buden in Essen betrieben, unter anderem eine Schiffschaukel.
Heute gehören Kinderkarussell, Autoscooter, Süßigkeiten- und Bratwurststand zum Angebot sowie die Glühweinpyramide, die zuletzt im Dezember 2019 in Altenessen zu finden war.
„Unser Karussell und der Autoscooter stehen still, darunter leidet mit der Zeit auch das Material“, sagt Walter. Doch bis auf Weiteres müssen sie noch außer Betrieb bleiben. Also bleiben nur noch die gastronomischen Angebote, um die Familie zu ernähren. „Wenn wir gar nicht öffnen, können wir nicht überleben, wir müssen uns irgendwie helfen.“
Im Betrieb arbeiten Walters Eltern mit, zur Familie gehören außerdem ihre Großmutter und ihre beiden Kinder. Dass ihnen durch äußere Umstände dermaßen die Hände gebunden sind, das kennen die Schausteller nicht. Doch aufgeben kommt auch nach über einem Jahr der Pandemie nicht in Frage. „Zum Schausteller wird man geboren, das ist für Außenstehende schwer zu erklären“, sagt Walter. „Wir möchten einfach unser Leben, unseren Alltag, den Stress auf dem Kirmesplatz zurück.“
Zu Ärgernissen im Schaustellerleben gehören normalerweise Regentage auf der Kirmes oder Bäume, die im Vorjahr noch nicht da waren und das Aufbauen des Karussells jetzt erschweren. All das sind aus heutiger Sicht nur kleine Probleme, sogar sie wünschen sie sich zurück, wenn doch nur die Pandemie vorüber wäre.
Hoffen auf Außengastronomie im „Beach Point“ Altenessen
Noch wissen die Walters nicht, wie viel der Soforthilfe sie zurückzahlen müssen. Wenn das Tagesgeschäft erledigt ist und die Kinder im Bett liegen, dann machen sich die Sorgen breit im Kopf der 38-Jährigen. „Es gibt gute und schlechte Tage, manchmal ist es wirklich zum Verzweifeln“, sagt sie. Etwa dann, wenn ihr vorgeschlagen wird, private Polster in den Betrieb zu stecken, die Lebensversicherung aufzulösen zum Beispiel. Dafür sei die schließlich nicht gedacht.
Dass die Kinder irgendwann den Betrieb von den Eltern übernehmen, das war bisher für alle Generationen selbstverständlich. Doch die Pandemie zwingt Walter nun manchmal die Frage auf, ob sie ihren Kindern dieses finanzielle Risiko zumuten kann. „Die aktuelle Situation ist wirklich kritisch, wir wünschen uns eine klare Ansage der Bundesregierung, wann und wie es weitergehen kann“, sagt sie. „Wir fühlen uns in unserer Branche im Stich gelassen.“ Dankbar hingegen sei sie den Kunden, die den Stand und den Lieferservice nutzen.
Und sie hofft, dass sie bald wieder den „Beach Point“ öffnen dürfen. Den Biergarten haben sie im vergangenen Sommer das erste Mal betrieben. „Wenn es auch erst einmal nur mit Registrierung möglich sein wird, wir warten dringend darauf, dass Außengastronomie wieder erlaubt ist.“ Das Glück der Familie sei, dass sie auf gastronomische Erfahrung bauen könne und das nötige Equipment parat gehabt hätte. Anderen Schaustellerfamilien, die nur Fahrgeschäfte besäßen, seien in einer noch schwierigeren Situation.