Altenessen. . Vier Generationen Schausteller finden sich auf dem Altenessener Jahrmarkt. Von der Seniorchefin bis zum Urenkel ziehen alle am gleichen Strang.
Ingeborg Hanowski-Walter drückt mit ihrer rechten Hand auf einen Knopf, während sie mit den Fingern der linken ein paar grüne Fahrchips umschließt. Es ertönt eine Hupe und das Kinderkarussell setzt sich langsam in Bewegung. Hinter ihr im wohlig-warmen Kassenhäuschen liegt Ur-Enkel Ridchert, gerade einmal ein halbes Jahr alt, in einer Baby-Wiege. Daneben sitzt ihr Schwiegersohn Willi Walter. Willis Tochter Jessica hat ihren Stand mit Mandeln und anderen Leckereien am anderen Ende des kleinen, aber feinen Altenessener Weihnachtsmarkt. Vier Generationen Schausteller finden sich auf einem Jahrmarkt.
Angefangen hat alles viel früher. Ingeborg Hanowski-Walters Opa Oskar und ihr Vater Karl waren vor dem Zweiten Weltkrieg schon Schausteller. „Tommi und Ami haben dann alles kaputt gebombt“, erinnert sich die 85-Jährige.
Der erste Stand nach dem Krieg ist ein „Messerwerfen mit Ringen“. „Ich weiß nicht, woher mein Vater die Messer hatte. Es gab doch nix“, sagt die vitale Seniorin, deren Mann ihr zuliebe seinen Beruf als Maschinenschlosser aufgibt und mitreist. Schon 1947 baut Karl Müller die Raketenbahn, eine echte Jahrmarktattraktion jener Zeit.
Ingeborg Hanowski-Walters Familie kommt aus Altenessen. Die Walters kommen aus Borbeck. Willi Walters Ur-Großeltern fahren noch mit einem Pferdewagen Obst und Gemüse aus, ehe die Familie zur Schaustellerei wechselt. Seine Oma betreibt vor dem Krieg eine Schiffschaukel. „Tackenwerfen“ ist das erste Geschäft nach dem Krieg. „Den Tacken warf man. Blieb er auf einer Schokoladentafel liegen, hatte man sie gewonnen“, erzählt Willi Walter. „Für die Jüngeren: Tacken nannte man früher einen Groschen“, fügt der 63-jährige hinzu.
„Neunzig Prozent der Beziehungen zwischen Schaustellern und Privaten gehen kaputt“, erklärt Willi Walter. Die Privaten, so nennt er Nicht-Schausteller, hätten irgendwann die Nase voll von der Wochenendarbeit.
Bei seiner Tochter Jessica muss er sich da keine Sorgen machen. Sie ist mit Robert Paulsen (30) verheiratet, dem Spross einer Schausteller-Familie aus Hamburg. „Kennen gelernt haben wir uns auf einem Ball in Ostfriesland“, erzählt die 34-Jährige. Der Jahrmarkt ist für beide seit Kindesbeinen der Lebensmittelpunkt. Und so ist es bei ihren Kindern. Während Ridchert noch zu klein ist, deutet sich bei Tochter Sabrina (3) das Rummel-Gen schon an. Sie wuselt zwischen Ständen und Fahrgeschäften herum, ist offen und freundlich gegenüber jedermann. „Sie hat das gleiche Temperament“, sagt Jessica Walter und lächelt. Wächst da ihre Nachfolgerin heran? „Vom Herzen her wünsche ich es mir. Von der vielen Arbeit her nicht“, sagt die 34-Jährige.
Sie selbst hätte nach Wunsch ihres Vaters etwas Anderes machen sollen. Ein Praktikum beim Tierarzt ergibt: das ist es nicht. Nachdem unzählige Bewerbungen zur Werbe-Designerin erfolglos bleiben, entscheidet Jessica sich für Bratwurst- und Mandelstand, Kinderkarussell, Glühweinhäuschen und Wohnen im Wohnwagen. Trotz der vielen Arbeit. Bereut sie es? „Nein. Wir machen Menschen glücklich. Wir holen sie aus ihrem Alltag heraus.“ Ein Kinderlächeln entschädige für die Zehn-Stunden-Tag. Hinzu komme der gute Zusammenhalt in der Familie. „Der ist bei Schaustellern sehr groß. Wir teilen unsere Sorgen und das schweißt einfach zusammen.“
Derweil drückt Ingeborg Hanowski-Walter wieder auf den Knopf, die Hupe ertönt und das Karussell setzt sich allmählich in Bewegung. Sie ist nicht nur an der Kasse des Kinderkarussells unverzichtbar. „Ich kenne nur die Termine der kommenden zwei Wochen. Was darüber hinausgeht, muss ich meine Schwiegermutter fragen. Sie hat sie alle im Kopf.“ Als kleines Mädchen, so erinnert sich Ingeborg Hanowski-Walter, habe sie gar keine Lust auf den Rummel gehabt. Kaum aus der Schule, ist es aber ihr Leben. Heute, mit 85 Jahren, ist es da nicht an der Zeit, dem fahrenden Volk Ade zu sagen und sich zur Ruhe zu setzen? Ingeborg Hanowski-Walter dreht langsam den Kopf, blickt etwas grimmig über den Rand ihrer Brille und sagt: „Das Wort ,fahrendes Volk’ mag ich nicht. Wir sind Schausteller.“ Zum Ruhestand verliert sie kein Wort.