Essen. Corona sorgt für Veränderung und damit auch für Alltags-Frust und Trauer. Warum das jeder zulassen sollte, erklärt ein Essener Trauerbegleiter.

Homeoffice, Homeschooling, Kernfamilie auf der einen, Kontaktbeschränkung auf der anderen Seite. Urlaubs-Träume adé, Fußballtraining und Kinobesuche ebenso: Die Corona-Krise hat große Veränderungen mit sich gebracht und Veränderungen bedeuten oft auch Trauer, weiß Dirk Matzik, Leiter des Zentrums für Trauerbegleitung, Therapie und Weiterbildung Trauart an der Goethestraße.

Trauer bedeutet Wut, Ärger und Widerstand

Zu ihm kommen Menschen, die mit dem Tod einer nahe stehenden Person zu kämpfen haben, sondern auch jene, die Probleme mit diversen Veränderungen haben. Das kann eine Trennung sein, das kann aber auch das sein, was Matzik als „Corona-Trauer“ bezeichnet: „Wir haben vieles verloren, was selbstverständlich war; Menschen in den Arm nehmen, ein bewusster Händedruck, die Nähe zu anderen. Wenn etwas davon wegbricht, macht das etwas mit uns.“

Im ersten Schritt sei es wichtig, das zu erkennen und anzunehmen. „Trauer bedeutet Wut, Ärger und Widerstand. Das alles sehen wir jetzt“, sagt Matzik. Es sei es extrem wichtig, diese Emotionen zuzulassen, denn sonst entwickele sich ein innerer Druck, der erst zu Unzufriedenheit und im schlimmsten Fall zu psychischen Problemen wie Depressionen führt. Matzik: „Trauer ist keine Krankheit, aber nicht erlebte Trauer kann krank machen.“

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Er rechnet in den kommenden Jahren mit einem Ansturm bei den Psychotherapeuten. Wenn die Psychohygiene nicht gepflegt werde, komme es zu mehr Erkrankungen. Diese Pflege ist derzeit jedoch auch für ihn und sein Team schwierig. Wochenend-Seminare müssen ausfallen, ebenso die Weiterbildung für Trauerbegleiter. Der Trauertreff in der Einrichtung an der Goethestraße kann aufgrund der Einschränkungen schon seit Monaten nicht mehr stattfinden. Dort treffen sich jede Woche Trauernde, um über ihre Gefühle zu sprechen, diese zu reflektieren, Trost und Verständnis zu erfahren.

„Wenn sich die Lebensvorstellungen und Perspektiven ändern, braucht man Anteilnahme von Menschen aus dem sozialen Umfeld“, erklärt Matzik und plädiert dafür, auch mal die schlechte Laune seiner Kernfamilie auszuhalten. „Wir sind darauf gedrillt, immer gute Laune zu haben, das ist aber unrealistisch“ und damit ist der Trauerbegleiter wieder bei jenem inneren Druck, der sich aufbaut, wenn Gefühle nicht zugelassen werden.

Arbeit der Trauerzentren in der Corona-Krise wichtiger, aber schwieriger

Eigentlich ist die Arbeit der Trauerzentren jetzt wichtiger denn je, aber sie ist auch schwieriger. Gerade in der Trauerarbeit gehe es um sehr persönliche Begegnungen, eine tröstende Hand auf der Schulter könne da stärker sein als jedes Gespräch. In der Gruppe treffen die Trauernden Menschen, die sie verstehen, weil sie in einer ähnlichen Situation sind, es bilden sich Freundschaften.

Betroffene finden Hilfe beim Trauernetzwerk

Trauart - Trau dich, ganz in der Art zu sein - so heißt das Zentrum für Trauerbegleitung, Therapie und Weiterbildung an der Goethestraße 1. Trauernde finden dort Unterstützung und Begleitung in Form von Einzelgesprächen, Gruppenangeboten und Trauerseminaren. Außerdem finden dort Aus- und Weiterbildungen für Trauerbegleiter statt. Infos unter 32 72 57 und www.trauart.de

Hilfe finden Betroffene auch beim Trauer-Netzwerk Essen - ein Zusammenschluss von gemeinnützigen und kommerziellen Angeboten zum Thema Trauerhilfe. Teil des Netzwerkes sind unter anderem das Hospiz in Steele, die Evangelische Kirchengemeinde Rüttenscheid, eine Jugendtrauergruppe sowie Krankenhäuser mit ihren Palliativangeboten. Infos: 32 87 77 und www.trauernetzwerk-essen.de

Doch vor geschlossenen Türen soll auch jetzt niemand stehen. Was jetzt bleibt, sind Einzelgespräche. „Der Trauerbegleiter konfrontiert den Klienten dann mit dem, was passiert ist“, erklärt Matzik, der sich zuletzt dafür oft zum spazieren gehen auf der Brehminsel verabredet hatte. Dabei würden meistens viele Tränen fließen und diese Tränen seien positiv, weil sich die Menschen dadurch neu finden und akzeptiert fühlen. Sie lernen, das Unannehmbare anzunehmen. In der Folge könnten die Trauernden sich dann auch neu orientieren.

Wann werden auch Gruppengespräche und Seminare wieder möglich sein? Auf der Internetseite von Trauart steht: „Auf dem Hintergrund unserer momentanen Informationen haben wir die Hoffnung, dass nach den Sommerferien die Lage sich langsam verändert und die Menschen sich allmählich wieder an ein angstfreies Miteinander gewöhnen können.“ Gemeint waren die Sommerferien 2020, doch diese Hoffnung gilt jetzt auch für die Sommerferien in diesem Jahr.