Essen. Im August 2000 verschwand Bianca Blömeke: Die Polizei fordert einen Knochenspürhund an. Er sucht im Essener Norden. In Europa ist er einzigartig.

Unebenes Gelände, steile Hänge, Müllberge und mittendrin Flintstone: Der Hund hat die Nase am Boden, trägt sein Arbeitsgeschirr mit dem Glöckchen, das ihn zusätzlich motiviert: Denn der Vierbeiner ist Knochenspürhund und mit seiner Ausbildung einzigartig in Europa. In 21 ungeklärten Fällen - die Polizei nennt sie Cold Cases - war er bereits erfolgreich. Jetzt sucht er im Essener Norden nach Bianca Blömeke. Sie verschwand am 6. August 2000. Nun gibt es neue Hinweise und die Hoffnung, die damals 19-Jährige zu finden.

„Bones“, so lautet das Suchkommando für Flintstone, der sogleich gierig wie ausdauernd und konzentriert arbeitet. Eine erste grobe Suche beginnt oben auf den Hängen, dann geht es ins hintere Areal vorbei an den Schutthaufen, um zu prüfen, ob es hier eine Spur geben könnte. Die Polizei hat das Gelände zuvor bereits teilweise roden lassen, sie hat auch den Spürhund angefordert, für den es laut Polizeisprecher Christoph Wickhorst nicht der erste Einsatz in Essen ist.

Polizei will alle Möglichkeiten ausschöpfen

Hundeführer Dietmar Kroepel mit seinem Knochenspürhund  Flintstone: Im Essener Norden läuft die Suche nach Bianca Blömeke, die vor über 20 Jahren verschwunden ist.
Hundeführer Dietmar Kroepel mit seinem Knochenspürhund Flintstone: Im Essener Norden läuft die Suche nach Bianca Blömeke, die vor über 20 Jahren verschwunden ist. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

„Im Fall Bianca Blömeke wollen wir nun alle Möglichkeiten ausschöpfen“, sagt Dustin Wisnewski (34). Er ist Leiter der Mordkommission, die kürzlich wieder eingerichtet worden ist - mehr als 20 Jahre nach Biancas Verschwinden. Damals gab es in ihrer Wohnung einen Streit mit ihrem Ex-Freund. Er ist auch der Vater ihres Sohnes, den Bianca im Alter von acht Monaten zurückließ. So wie alle ihre Papiere und die Geldbörse. Zuvor haben Nachbarn die beiden 19-Jährigen streiten hören, Bianca flehte um ihr Leben. Ruhe kehrte erst nach einem lauten Knall ein. Seit diesem Sonntag gibt es kein Lebenszeichen mehr von der jungen Mutter. Der ehemalige Lebensgefährte kam in Untersuchungshaft, nachweisen konnten die Ermittler ihm nichts.

Die verzweifelte Suche ihrer Mutter Erika Schneider blieb bis heute ebenso erfolglos wie die der Polizei. Die richtete damals erst Monate nach dem Verschwinden eine Mordkommission ein, ging zunächst von einem Vermisstenfall aus. So ging wertvolle Zeit verloren, waren Spuren überlagert. Längst hatte die Großmutter Blut von der Badewanne gewischt. In die Wohnung waren bereits neue Mieter gezogen, als ein Spürhund eingesetzt wurde. Vergebens.

Zahlreiche neue Hinweise und moderne Ermittlungsmethoden

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Jetzt aber gibt es zahlreiche weitere Hinweise und moderne Ermittlungsmethoden, sie sollen dabei helfen, neue und alte Spuren wie Asservate zu untersuchen. „Wir gehen nicht mehr davon aus, dass Bianca Blömeke noch lebt“, sagt der Ermittler und spricht von einem möglichen Tötungsdelikt. Um dieses aufzuklären, laufen nun verschiedene Ermittlungsansätze parallel: Vernehmungen, technische Untersuchungen und der Einsatz des Knochenspürhundes.

Der Verein Archaeo-Dogs

Dietmar Kroepel arbeitet mit seinem Knochenspürhund Flintstone bei den Cold-Case-Fällen im Auftrag von Polizei und Staatsanwaltschaft. Inzwischen sind weitere Hunde auf dem Weg, diese Spezialausbildung zu absolvieren.

Der Archäologe hat inzwischen den Verein Archaeo-Dogs gegründet gegründet und informiert der Internetseite über die Einsätze und Ziele: www.archaeo-dogs.de

Flintstone ist dafür aus dem bayrischen Miesbach mit seinen Besitzern Birgit und Dietmar Kroepel angereist. Der Archäologe stammt ursprünglich aus Dortmund, arbeitet heute im Qualitätsmanagement eines mittelständischen Unternehmens. Als Hundeführer hat er den Rüden selbst ausgebildet: Als Trümmer- und Lawinenhund hat der Vierbeiner manchem Verschütteten das Leben gerettet, bevor die Umschulung für den Altdeutschen Hütehund anstand. Die beiden - der Archäologe und der Knochenspürhund - waren vor allem im Auftrag von Denkmalbehörden auf archäologischen Feldern unterwegs.

2015 fragte die Polizei erstmals bei dem Hundeführer an

Zu den Funden des Archäologie-Hundes zählten bereits Knochen von Etruskern, Griechen, Kelten und manches andere bis zu 3000 Jahre alte Skelett, als 2015 eine erste Anfrage der Polizei das Duo erreichte. Was folgte, beschreibt Dietmar Kroepel als Experiment und Erfolg in einem Fall, der „lediglich“ 34 Jahre zurücklag. Ungewiss war, ob diese Knochen zu jung für die Nase des Spürhundes sein könnten. „Flintstone ist kein Leichenspürhund“, stellt der Hundeführer klar. Aber der Vierbeiner löste den Fall.

Ehrenamtliche des THW sind angerückt, um die Schutthaufen abzutragen und helfen so bei der Suche nach Bianca Blömeke.
Ehrenamtliche des THW sind angerückt, um die Schutthaufen abzutragen und helfen so bei der Suche nach Bianca Blömeke. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Seitdem hat auch der 54-Jährige Dietmar Kroepel viel lernen müssen und hat sich ausgiebig mit Kriminalistik befasst. Er hat sich beim LKA, der Kriminalpolizei und Pathologen informiert und sich mit Geologie, Topologie und Verwesungskunde beschäftigt und damit auseinandergesetzt, wie Gerüche wabern. „Denn Flintstone riecht Knochen, wenn sie verwest sind, aber ich muss ihn für diese Suche in Stellung bringen“, erklärt der Halter. Wie alt die Skelettteile dafür mindestens sein müssen, das kann er auch heute gar nicht genau sagen. Nur so viel: „Die jüngsten waren acht Jahre alt.“ Nach oben gebe es keine Altersgrenze.

Der Knochenspürhund fand Skelettreste in 14 Metern Tiefe

Eine Rolle bei ihren Einsätzen spielt zudem die Bodenbeschaffenheit, so hat Flintstone bei gelockertem Erdreich Knochenreste in 14 Metern Tiefe gefunden. Und in einem riesigen Waldstück führte er seinen Besitzer sogar 400 Meter abseits des Suchgebietes, wo der Rüde die Überreste eines Piloten aufspürte, der im Zweiten Weltkrieg abgestürzt ist.

Die Großmutter und Mutter von Bianca Blömeke wünschen sich nur, dass die Vermisste endlich gefunden wird.
Die Großmutter und Mutter von Bianca Blömeke wünschen sich nur, dass die Vermisste endlich gefunden wird. © Essen | Kerstin Kokoska

Findet der Cold-Case-Hund etwas, zeigt er das durch ein helles Bellen an. Gefunden hat er bei seinen europaweiten Einsätzen inzwischen auch Knochen von Opfern, die eingemauert oder zerstückelt worden sind. So grausam es klingen mag, den Angehörigen aber geben diese Funde Gewissheit und die Möglichkeit, Abschied zu nehmen. Genau das, worauf Biancas Mutter und Großmutter seit mehr als 20 Jahren warten.

Biancas Mutter möchte endlich trauern können

„Ich möchte endlich trauern können“, sagt Erika Schneider, die in der langen Zeit nichts unversucht gelassen hat, um zu erfahren, was mit ihrer Tochter geschehen ist. Flintstones Einsatz bedeutet für sie nun enorme Aufregung und große Hoffnung: „Ich habe die letzten Nächte kaum geschlafen.“ Wenn nur ihre Tochter endlich gefunden werden würde, „am liebsten lebend“, sagt die Mutter. Doch welches Ergebnis die Suche auch bringen mag, alles sei besser als die zermürbende Ungewissheit, die die Angehörigen seit dem Sonntag im August 2000 ertragen müssen.

Der Knochenspürhund Flintstone, ein Altdeutscher Hütehund, sucht nach der vermissten Bianca Blömeke.
Der Knochenspürhund Flintstone, ein Altdeutscher Hütehund, sucht nach der vermissten Bianca Blömeke. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

An diesem Morgen mehr als 20 Jahre später im Essener Norden macht Flintstone seine erste Pause. „Wir müssen die Hügel auseinanderziehen“, erklärt Dietmar Kroepel und zeigt auf die Haufen aus Erde und Müll, darin Scherben, an denen der Hund sich verletzten könnte. Die Ehrenamtlichen des Technischen Hilfswerks rücken erneut an, mit einem Bagger tragen sie Teile des Schutthaufens ab, bevor der Rüde mit seinem Hundeführer sich zur nächsten Runde über das Gelände aufmacht.

15 Minuten Suche sind für den Spürhund wie ein Marathon

Zuvor lässt Dietmar Kroepel ihn trinken. Ausruhen. Den Kopf frei bekommen. „Denn 15 Minuten Suche sind wie ein Marathon für uns“, erklärt Birgit Kroepel. Zur Motivation des Rüden gibt es Wiener Würstchen, „seine Leibspeise.“ Als Welpe zog Flintstone bei ihnen ein, ist zu Hause ihr Flinti und Familienhund. Einer mit Job allerdings. Bis heute gehen 21 Cold-Case-Fälle auf das Konto des Knochenspürhundes, von denen 17 bereits abgeschlossen sind. Bianca Blömeke könnte ein weiterer sein. Die Suche dauert an.