Essen. In Essen läuft die Integration zwischen Blutabnahme und Klinikbett. Wie das geht, erzählen zwei angehende Medizinische Fachangestellte aus Syrien

Omar Al Saleh hat im Krieg fast alles verloren: seine Heimat, seinen Beruf, seine Zeugnisse. „Aber ich habe viele Erfahrungen mitgebracht“, sagt der 32 Jahre alte Syrer. So macht er nun am Alfried-Krupp-Krankenhaus eine Ausbildung zum Medizinischen Fachangestellten (MFA). Er ist Teilnehmer des Projekts „Eine Chance für Geflüchtete“ – und „eine Stütze in unserer Abteilung“, sagt Winfried Hohenhorst, Chefarzt der Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie.

Mit Al Saleh hat das Krupp-Krankenhaus einen Mann gewonnen, der in seinem Heimatland bereits eine medizinische Ausbildung gemacht hatte, diese aber nicht mehr abschließen konnte. Auch eine Berufsschule hat er in Syrien nicht besucht. Weil das Berufsbild dort anders ist, hat er jedoch Fähigkeiten, die Medizinische Fachangestellte (MFA) – landläufig: Arzthelfer – hierzulande nicht erwerben. „Er hat große Erfahrungen im chirurgischen Bereich, die wir sicher nutzen werden“, sagt Chefarzt Hohenhorst.

Auf einem Block notiert er wichtige Sätze für den Klinikalltag

Al Saleh musste nur – wie der Projektname schon sagt – eine Chance bekommen, seine Kenntnisse zu zeigen. Als er Ende 2015 in Deutschland ankam, war er seiner Sprache beraubt, ohne Job und Wohnung. Dass er von Sachsen-Anhalt nach Essen zog, wo er heute mit einem seiner Brüder zusammenlebt, erwies sich als Glücksfall: Er lernte erst Deutsch, konnte im Jahr 2018 die Einstiegsqualifizierung im Krupp-Krankenhaus beginnen. Ein Jahr lang wurde er auf die Ausbildung vorbereitet, die er im August 2019 startete und im nächsten Jahr abschließen soll.

Projekt ebnet Flüchtlingen den Weg in die Ausbildung

„Eine Chance für Geflüchtete“ ist ein Projekt der Ärztekammer Nordrhein, der Kausa-Servicestelle, des Jobcenters und der Agentur für Arbeit in Essen. Im September 2017 vermittelten die Projektpartner geeignete Kandidaten für eine Qualifizierung zum Ausbildungsberuf „Medizinischer Fachangestellter“ an Arztpraxen und ans Alfried-Krupp Krankenhaus. Sie werden über eine Einstiegsqualifizierung an Ausbildungsberufe im Gesundheitswesen herangeführt. Das Krupp Krankenhaus hat bisher acht Geflüchteten eine Chance gegeben.„Wir haben schon sehr viele positive Rückmeldungen erhalten“, sagt Fabian Lauterbach, organisatorischer Leiter im Pflegedienst des Krupp-Krankenhauses. Er wünscht sich, dass das Projekt fortgeführt und so erweitert wird, dass Teilnehmer auch für die Berufsfelder Gesundheits- und Krankenpflege sowie Medizinisch-technische Radiologieassistenz qualifiziert werden.

„Einen Zugang legen, Blutabnehmen, Fäden ziehen – all das konnte ich schon“, erzählt er. „Trotzdem war es anfangs schwer mit den Patienten, weil ich nicht mit ihnen reden konnte.“ Schließlich müssen sie bei vielen Untersuchungsschritten mitmachen, diese verstehen. Die Kollegen hätten ihm wichtige Sätze aufgeschrieben: „Am nächsten Tag konnte ich die. Ich habe meinen Block noch immer dabei.“

Seine Lebenserfahrung hilft im Umgang mit den Patienten

Wer sich heute mit dem jungen Syrer unterhält, glaubt gern, dass er sich längst bestens mit den Patienten versteht. „Vor zwei Jahren hat er Dolmetscher gebraucht, jetzt kann er für uns dolmetschen“, sagt Hohenhorst. In der Anfangszeit habe man ihn noch mit Aufgaben betraut, bei denen man wenig sprechen muss; nun gehen ihm Worte wie Mittelohrentzündung oder Nasenfunktionstest leicht über die Lippen. Die Arbeit mache ihm Freude, und er stelle sich selbst Aufgaben, um dazuzulernen. „Schlimm war, was ich in meiner Heimat im Krieg erlebt habe, da hatten wir alle fünf Minuten einen Notfall...“

Al Saleh habe viel gesehen, Lebenserfahrung gesammelt, die ihm nun im Umgang mit den Patienten nutze, sagt sein Chef. Dass er mit 32 Jahren ein älterer Azubi sei, mache sich eher positiv bemerkbar. Al Saleh selbst sagt, wer wolle, könne lernen, er brauche nur Zeit, um Schritt für Schritt zu gehen. Hohenhorst sei zum Glück ein „lieber Arzt, der immer Geduld hat“. „Ach“, sagt der liebe Arzt darauf: „So viel Geduld haben wir gar nicht gebraucht.“

Schon ihre Mutter träumte vom Arbeitsplatz Krankenhaus

Auch Hohenhorsts Chefarztkollege Thomas Nowak hält das Projekt „Eine Chance für Geflüchtete“ für einen guten Weg, neue Fachkräfte zu gewinnen. Der Leiter der Klinik für Gefäßchirurgie und Angiologie erlebt Souaad Al-Samra (28), die seit Oktober vergangenen Jahres eine Einstiegsqualifizierung macht, als „sehr motiviert – und mutig“. So habe die junge Frau nur ein paar mal bei einer Blutabnahme zusehen müssen, um diese Aufgabe selbst machen zu wollen. „Sie ist sehr geschickt, und sie traut sich etwas zu.“ Souaad Al-Samra wiederum sagt: „Ich war erst schüchtern – er hat mich motiviert.“

Anders als Omar Al Saleh hatte die junge Palästinenserin aus Syrien keine Vorerfahrungen in dem Beruf: „Meine Mutter wollte gern Krankenschwester werden und durfte nicht. Nun ist es mein Traum, den Menschen helfen zu können.“ Den Start in Deutschland im Jahr 2016 hat sie als schwere Zeit in Erinnerung: Fünf Monate lang lebte sie in einem Zeltdorf in Essen, erkrankte mehrfach, musste im Krankenhaus behandelt werden. Dass dies nun ihr Arbeitsplatz ist, beglückt sie sehr: „Ich habe in kürzester Zeit viel gelernt, der Kontakt zu den Patienten geht gut.“

Sie möchte Deutschland etwas zurückgeben

Sie sei fürsorglich, hilfsbereit, helfe Patienten im Bett auf und habe nie Schwierigkeiten im Umgang mit den Menschen gehabt, bestätigt ihr Chef. Einem 16-jährigen Azubi falle das Gespräch mit einer 85-Jährigen schon mal schwer, Souaad Al-Samra sei da ganz unbefangen. „Sie ist auch sprachbegabt, ihre Deutschkenntnisse entwickeln sich sehr gut.“ Genau wie Al Saleh hat sie immer einen kleinen Block dabei, in den sie neue Vokabeln und Wendungen notiert. Und sie schaue sich viele medizinische Fachvideos an.

„Sie hat sich die Arbeit sofort gesucht, zeigt Initiative“, lobt Thomas Nowak. Auch ins Team habe sie sich schnell eingefunden. Nicht jedem Flüchtling gelinge es, sich in das Leben in Deutschland einzugliedern, eine Aufgabe zu finden. Umso mehr freue er sich, an der Erfolgsgeschichte von Souaad Al-Samra teilzuhaben, und werde sich dafür einsetzen, dass sie nach dem Qualifizierungsjahr die Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten beginnen könne.

„Ich möchte Deutschland etwas zurückgeben“, sagt Souaad Al-Samra. Und außerdem: „Zu Hause langweile ich mich. Hier kann ich etwas tun, hier bin ich wichtig.“

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