Essen. Drei Jahre Ausbildung? Für einige Flüchtlinge klingt das wie eine Zumutung. Ein Essener Projekt hat sogar Männer überzeugt, Arzthelfer zu werden.
Mit aufwendiger Planung und sorgfältigem Casting konnten im Oktober 22 junge Flüchtlingen eine Laufbahn im medizinischen Bereich starten. Bis sie ihre Ausbildung absolviert haben und ein auskömmliches Gehalt beziehen, wird einige Zeit vergehen. Trotzdem sieht Bodo Kalveram, Bereichsleiter beim Jobcenter, das Pilotprojekt als „Blaupause für andere berufliche Bereiche“.
Die Idee kam von der Servicestelle Kausa, die schon mehrere Hundert Flüchtlinge beraten hat. „Aber nicht immer konnten wir ihnen eine Ausbildung vermitteln“, sagt Yunus Ulusoy. Darum sprach man Anfang 2017 gezielt Unternehmen und Verbände an – und fand etwa bei der örtlichen Ärztekammer Gehör. „Wir brauchen qualifizierte Fachkräfte, das war für uns Motivation genug“, sagt Patrica Aden, Ausbildungsberaterin bei der Ärztekammer. Bei 26 Arztpraxen habe man Interesse für die Azubis mit Fluchthintergrund wecken können.
Ein Speed-Dating für Ärzte und künftige Azubis
Parallel schaute sich das Jobcenter an, welcher Flüchtling sich für den medizinischen Arbeitsalltag interessierte. Aus 120 Kandidaten wählte man dann jene 60 aus, „die top motiviert waren und sowohl Deutschkenntnisse als auch Power mitbrachten“, wie es Kalveram formuliert. Diese Gruppe lud man mit den Ärzten zum Speed-Dating bei der Kausa. „Die Ärzte waren positiv von den guten Zeugnissen und Deutschkenntnissen der Kandidaten überrascht“, sagt Abdulkader Sadek (Kausa). „Die Bewerber freuten sich, dass sie so schnell Kontakte bekamen.“
Zwei konnten sofort in die Ausbildung starten, zwei machen den Bundesfreiwilligendienst, vier sammeln als Praktikanten erste Erfahrungen im Krupp-Krankenhaus und 14 starten über eine Einstiegsqualifizierung in einer Arztpraxis. Die dauert sechs bis zwölf Monate, wird vom Jobcenter getragen und führt sie an die Ausbildung zur Medizinischen Fachkraft – Arzthelferin – heran. Gleichzeitig sehe der Arbeitgeber, ob der Bewerber die trotz der erschwerten Startbedingungen schaffen könne.
Vier junge, geflüchtete Männer werden nun Arzthelfer
Ludger Wollring, Augenarzt aus Altenessen, ist überzeugt, dass seine neue Mitarbeiterin aus Syrien sein Team bereichern wird. „Viele unserer Patienten sind Flüchtlinge, und wir hatten auch schon viele Azubis mit Migrationshintergrund, aber noch keinen, der Syrisch spricht.“ Halas Daood heißt die 20-Jährige, die diese Lücke füllen soll. Sie hat ein Praktikum bei Wollring gemacht und jetzt die Qualifizierungszeit begonnen, weil sie noch eine Sprachprüfung ablegen musste. Für sie ist das Projekt eine große Chance: „Ich wollte immer in den medizinischen Bereich und habe in Syrien schon ein Jahr lang Anästhesie gelernt.“
Diese Chance sehe längst nicht jeder Flüchtling, sagt Bodo Kalveram vom Jobcenter: „Viele wollen die Familie in der Heimat unterstützen und schnell Geld verdienen.“ Sich auf das deutsche Ausbildungssystem einzulassen, stelle daher für manchen Zuwanderer zunächst eine Zumutung dar. Zumal es etwa das Berufsbild der Arzthelferin in vielen Herkunftsländern nicht gebe – drei Jahre Ausbildung erschienen da wie eine Ewigkeit. Trotzdem hat man mit der Überzeugungsarbeit und dem sorgfältigem Casting sogar vier junge Männer für die Arzthelfer-Tätigkeit gewonnen, die Quote ist höher als bei deutschen Kandidaten.
Die Azubis identifizieren sich schon mit ihren Praxen
Patricia Aden erzählt, „dass einige der jungen Leute schon Blut abnehmen durften oder bestens mit unserem Impf-System vertraut sind – und sich darüber schon mit ihrer Praxis identifizieren.“ Kalveram stimmt das optimistisch: Das Modell tauge gewiss auch für andere Branchen.