Essen. Zwischen Optimismus und Umsatzeinbußen: Die Stimmung im Einzelhandel ist unterschiedlich. In Heisingen gibt es sogar einen beruflichen Neustart.
Schon im vergangenen Sommer war für Angela Hirdes klar, dass es beruflich nicht so weitergeht wie in den 20 Jahren zuvor: Sie arbeitete in der Reisebranche. Und als die 42-Jährige schließlich ihren beruflichen Neuanfang wagte, blieb ihr Geschäft geschlossen: Am 1. Januar übernahm sie das Ladenlokal Jam Pot mit Geschenk- und Dekoartikeln in Heisingen – mitten im Lockdown. Nun dürfen die Einzelhändler wieder öffnen, es gibt großen Optimismus, aber auch riesige Umsatzeinbußen.
Als ganz unterschiedlich schätzt Peter Bellendorf von der Werbegemeinschaft Kupferdreh die Lage derzeit ein. Der Optiker war von dem Lockdown ohnehin nicht betroffen, „aber auch viele andere haben den Kopf nicht in den Sand gesteckt“. Es habe deutlich mehr Leben und Ideen gegeben als noch im Vorjahr. Da hingen Telefonnummern in den Schaufenstern, wurden Schuhe vor der Ladentür anprobiert, Bücher herausgereicht. „Die meisten haben sich in der Phase durchjongliert“, beschreibt er. Die Händler hätten aus dem ersten Lockdown gelernt.
Erfolgreicher Wiederbeginn in der Steeler City
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Leerstände, die es auf der Kupferdreher Straße und rund um den Marktplatz immer wieder gab, sind derzeit auch kein Problem. Immerhin hat die Hochschule der bildenden Künste gleich sechs Ladenlokale angemietet, die als Ateliers genutzt werden. Dennoch, sagt Peter Bellenberg, müsse man diese Entwicklung abwarten, denn die Räume seien eben keine Frequenzbringer für den Einzelhandel.
Als erfolgreich beschreibt Leon Finger den Wiederbeginn in der Steeler City und meint vor allem inhabergeführte Geschäfte, die viele Stammkunden haben. „Diese langjährigen Kunden sind ein großer Vorteil für die Mittelzentren“, sagt der Vorsitzende des Initiativkreises City Steele. Durch diese persönliche Bindung seien Einzelhändler gut aufgestellt.
Maßnahmen lassen sich im Einzelhandel gut umsetzen
Leon Finger selbst hat das in seinem Bekleidungsgeschäft zu spüren bekommen: „Die Kunden haben Verlangen nach Mode, besonders Frauen kaufen derzeit gern ein und reißen die Männer mit“, beschreibt er die Atmosphäre. Die Kunden meldeten sich telefonisch an oder kämen, wenn Platz im Geschäft sei, um spontan Termine zu buchen. Bei 240 Quadratmetern Ladenfläche kenne er natürlich seinen Vorteil im Gegensatz zu kleineren Geschäften. Immerhin lautet die Regel: 40 Quadratmeter pro Kunde.
Diesen Optimismus kann Willy Schüffler von der Heisinger Werbegemeinschaft auch aus ganz anderen Gründen nicht teilen. „Es läuft mies, die Lage ist sehr schwierig“, beschreibt der Schirmemachermeister. Er habe für Maßnahmen wie den Lockdown dann kein Verständnis, wenn Menschen sich in großen Märkten drängeln dürften, während der oftmals eher überschaubare Einzelhandel, der Konzepte gut umsetzen könne, schließen müsse.
Ausführliches Papier mit Paragrafen und Vorgaben
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So würden Kunden den großen Märkten zugespielt, die mitunter auch Schirme verkauften. „Das ist ein Eingriff in den Wettbewerb“, kritisiert er aus seiner Sicht falsche Maßnahmen und stellt sofort klar, dass er die Gefahr der Pandemie sehr ernst nehme und sonst hinter den Maßnahmen stehe. Er sei auch nicht dafür, alles sofort freizugeben. Aber die generelle Schließung der Geschäfte empfindet er als provozierend, da er gerade ein ausführliches Papier mit Paragrafen und Vorgaben in Händen hält. Das befasst sich mit Fragen wie der, ob Kunden Kleidung anprobieren, Konfektionsständer vor die Tür gestellt werden oder Ehepartner bei 40m² den Laden gemeinsam oder auch mit Kleinkind betreten dürfen.
Optimistisch ist Willy Schüffler bei dieser Bürokratie und den Hürden nicht, kennt auch die andere Seite, die angespannte Situation im Einzelhandel. „Bei mir hat noch kein Kunde angerufen und es war auch niemand hier“, sagt er eine Woche nach dem Lockdown. Auch wenn er im Gegensatz zu manchen anderen noch seinen Online-Handel hat, beziffert er seine Umsatzeinbußen bereits mit 80 Prozent. „Der Frust ist sehr groß.“
Überglücklich über die Nachfolgerin in Heisingen
Wenige Hundert Meter ist die Stimmung eine ganz andere: Im Geschäft Jam Pot hat Angela Hirdes den Lockdown genutzt, hat ihre beiden Kinder aus Bredeney mit nach Heisingen gebracht, hat die Schaufenster neu dekoriert, die Möbel ein wenig umgestellt. Sie freut sich über erste Kunden, die Geschirr, Taschen, Kerzen oder Kindersachen kaufen. An ihrer Seite steht einmal in der Woche Ingrid Westermeyer, die überglücklich ist, endlich eine Nachfolgerin für ihr Geschäft gefunden zu haben, das ihre Mutter 1984 eröffnete und an dem ihr Herz so hängt.
„Ich darf hier nun weiterarbeiten, muss aber nicht“, sagt die frühere Grundschullehrerin erleichtert, die bereits im Vorjahr mit dem Lockdown zu kämpfen hatte, als sie die gesamte Osterdeko wieder in den Keller räumen musste. Dann traf es sie auch noch in ihrer Hauptsaison zur Weihnachtszeit. Hinzu kommt die Baustelle vor dem Schaufenster. Und dennoch: Von all dem lässt sich Angela Hirdes kein bisschen entmutigen, hat auch von Freunden die Bestätigung erhalten, dass der Schritt in die Selbstständigkeit genau das Richtige für sie sei.
Noch fehlt Kunden die Ruhe zum Bummeln
Das Konzept im Jam Pot soll bleiben, Marken beibehalten, das Angebot vielleicht erweitern, erklärt sie nach ihrem Jobwechsel voller Tatendrang und Zuversicht. Auch wenn die Kunden noch nicht so recht in Einkaufsstimmung seien, beschreibt sie. Viele hätten eine klare Vorstellung, was sie kaufen möchten. Die Ruhe zum Bummeln fehle noch. „Wenn es aber richtig losgeht, wird es gut.“ Immerhin gibt es bereits zahlreiche Rückmeldung der Heisinger, die froh sind, dass der Jam Pot im Stadtteil bleibt. Und für Angela Hirdes ist das Ladenlokal beruflich vor allem auch eines: „Die Chance in der Krise.“