Essen. Vor 100 Jahren begann die Firmengeschichte von Schirm Schüffler in der Essener City. Heute ist Willy Schüffler einer der letzten seiner Zunft.
Warum sein Vater eines Tages lieber Schirme verkaufen wollte als weiter mit Kohle zu handeln, das weiß Willy Schüffler (72) nicht. Immerhin ist diese Firmengeschichte nun genau 100 Jahre alt und gleichzeitig eng verbunden mit der Historie der Einkaufsstadt Essen. Dort fing die Schirmproduktion am Kornmarkt nahe der Limbecker Straße an, heute befindet sie sich in Heisingen – und Willy Schüffler ist inzwischen einer der letzten Schirmmachermeister in ganz Deutschland.
Eine Mode bei Schirmen mag er nicht recht erkennen, einen Trend vielleicht: Tragen englische Gentlemen klassisch schwarz, die Herren eher dunkle Farben, sind diese insgesamt heller, fröhlicher geworden. „Hier in Heisingen sind Karo-Stoffe die Nummer eins“, sagt Willy Schüffler und hält gleich das „Black-Watch-Karo“ hoch, das man auch an Prinz Charles Garderobe finden könne. In England gebe es zudem noch eine der wenigen Schirmmanufakturen Europas, eine weitere Firma finde sich in Österreich, ein guter Freund in Mailand stelle noch Schirme her. Eine nennenswert große Produktion in Deutschland existiere nicht mehr.
Rund 2000 Schirme werden jährlich produziert
Im Dorfkern Heisingens jedoch gelangt man zu dem Haus, dessen Hintereingang in den kleinen Verkaufsraum führt, unter dem sich die Werkstatt, über dem sich die Näherei mit zahllosen Stoffen, Knöpfen, Garnrollen und Gestängen befindet. Während Willy Schüffler im Keller an der Schirmemachermaschine, die fast ebenso alt ist wie sein Unternehmen, täglich Stöcke sägt und schleift, schneidet und bohrt, sitzt Mitarbeiterin Jennifer Kossuch (38) im Obergeschoss an der Nähmaschine.
So verlassen jedes Jahr immerhin noch rund 2000 Schirme made in Heisingen das Geschäft: Kunden gibt es in ganz Essen und dank des Online-Handels überall auf der Welt. Gerade hat der 72-Jährige eine Bestellung aus Israel angenommen, erst kürzlich ein Paket nach Peru geschickt. „Zu den besten Zeiten haben wir jährlich 20.000 Schirme produziert“, blickt der Schirmmachermeister zurück, dessen Beruf schon lange keiner mehr erlernen kann.
Schirme aus Brokatseide mit Goldbeschlag an den Griffen
Sein Vater startete zunächst als Autodidakt, als er Fuhrwerke und Pferde am Viehofer Platz gegen Schirme tauschte, erlangte den Meistertitel erst im Jahrzehnt nach der Firmengründung, nachdem der Schirmemacher dem Holzhandwerk zugeordnet und als Ausbildungsberuf zugelassen worden war. Von Anfang an stand an der Seite des Vaters seine Mutter Maria, eine resolute Frau, erinnert sich Willy Schüffler an die Anfänge, die sogleich erfolgreich gewesen seien. Schirme und Stöcke verkauften sie, hatten noch zum Kriegsende etwa 30 Mitarbeiter.
In Zeiten, als der Schirm vor Regen wie vor Sonne schützte, je nach Bedarf Nässe fernhielt oder zur vornehmen Blässe beitrug, verwendeten sie hochwertige Materialien. Der Schirm war Statussymbol, gemacht aus Brokatseide, die Schirmgriffe waren aus Elfenbein gefertigt oder mit Gold beschlagen, ein Exemplar kostete nicht selten 200 Reichsmark. „Die Limbecker Straße galt immerhin als beste Geschäftsstraße Europas“, sagt Willy Schüffler, der das Unternehmen 1968 übernahm.
Riesiges Loch vor dem Geschäft statt der Top-Geschäftslage
Zuvor stand aber nach dem Krieg ein Umzug in der Innenstadt an, zunächst in einen Vorbau, dann in das in den 1950ern neu erbaute Haus am Kettwiger Tor. Erst viel später, als die Miete unerschwinglich („wir zahlten für 64 qm über 13.000 DM monatlich“), die U-Bahn-Baustelle geschäftsschädigend wurde und sie statt der Top-Geschäftslage lange ein riesiges Loch vor dem Laden hatten, kam Willy Schüffler kurz der Gedanke ans Aufhören. Stattdessen aber verlagerte er die Produktion und der Improvisation im Bauwagen folgte 1997 der Neuanfang am Heisinger Standort.
Nahtlos ging es weiter mit Herstellung und Verkauf. „Wir reparieren Schirme aber auch beinahe täglich“, erklärt Willy Schüffler zu seinem Service, der für Kunden selbstverständlich sei. Ansonsten sei der Markt inzwischen zu 98 Prozent mit Chinaware geflutet, die eher als Wegwerfartikel gelte. Besonders schlecht sei es, wenn bei den Schirmen Plastik verwendet werde: „Das wird spröde, zerbröselt und beinhaltet mitunter Schadstoffe.“
Große Leidenschaft gilt dem Material Holz
So wählt der Meister nach wie vor Metalle und Carbon, seine große Leidenschaft gilt aber dem Holz und ungewöhnlichen Hölzern wie Perlbambus oder Malakkarohr. Die seien leicht, unverwüstlich und strapazierfähig, erklärt Willy Schüffler und zeigt auf ein Exemplar aus Wurzelholz, einer deutschen Kastanie, der Stock gefertigt aus einem Stück, geprägt als Unikat durch die Maserung („ein echter Verkaufsschlager), das gern 100 Jahre halte. Ein handwerklich gefertigter Schirm könne je nach Material 50 Euro oder auch Hunderte kosten.
Um den Stoff dafür kümmert sich Jennifer Kossuch, die vor 15 Jahren als gelernte Damenschneiderin in die Heisinger Manufaktur wechselte, wo sie seitdem statt Hemden, Hosen und Kleidern eben Schirmbezüge näht – „es ist einfach etwas Außergewöhnliches“. Gelernt hat sie längst jeden Handgriff von ihrem Lehrmeister, nur wird sie weder eine Gesellenprüfung, noch einen Meistertitel machen können. Das Geschäft zu übernehmen, kann sie sich durchaus vorstellen – und ihr 14-jähriger Sohn hat inzwischen seinen ersten Schirm genäht.
Schirme erhalten Klettverschlüsse, Rüschen oder Druckknöpfe
45 Minuten braucht Jennifer Kossuch etwa pro Schirm, je nachdem, ob sie diesen mit Klettverschluss, Rüschen oder Druckknöpfen versieht. Ein Taschenschirm bedeute mehr Näharbeit, da es mehr anzuheften gebe. Wird es sehr stürmisch, empfiehlt sie Stockschirm, dessen Qualitätsmerkmal kann Willy Schüffler gar nicht oft genug betonen: „Zehn Speichen wegen der optimalen Gestellgeometrie.“
Schirmmacher seit 1998 kein Lehrberuf mehr
Schirmemachermeister Willy Schüffler hat seine Ausbildung im Familienbetrieb gemacht, anschließend Betriebswirtschaft an der damaligen Lehranstalt des Deutschen Textilhandels absolviert, „eine internationale Schule, die auch Modedesigner wie Jil Sander besuchten“, berichtet er. Den Lehrberuf Schirmmacher gibt es nun seit 1998 nicht mehr.
Nur kurz hat der Essener Meister selbst an einen anderen Zweig gedacht, während seines Praktikums im Hertiekonzern in Köln reizte ihn die Textilbranche. „Hemden wurden damals wie verrückt verkauft“, erinnert er sich. Wegen seiner handwerklichen Fertigkeit blieb er dann bei den Schirmen, verkauft an seinem Heisinger Standort, Heisinger Straße 501, aber auch Hemden – als „Ausgleichartikel“.
Geöffnet ist derzeit dienstags und freitags, 14 bis 18 Uhr, telefonische Terminabsprachen unter: 0201-467269, weitere Infos: www.Rain-Fashion.com
Einen echten Misserfolg hat der experimentierfreudige Meister einst mit einem dreieckigen Modell erfahren, besonders stromlinienförmig sollte der sein – und wurde ein Flop. Daher bleibt der 72-Jährige gern bei dem, was er kann, denkt auch gar nicht ans Expandieren („wir werden nicht steinreich, sind aber zufrieden“). Ein größeres Geschäft bringe in Zeiten wie jetzt in der Corona-Krise nur noch größere Probleme. Zu klein ist jedoch derzeit wegen der Auflagen sein Verkaufsraum, Kunden dürften sein Geschäft nicht betreten, das hätten ihm gleich fünf Mitarbeiter von der Stadt bescheinigt.
Größere Sorgen als die Pandemie bereiten wirtschaftlich trockene Sommer
Daher hilft nun umso mehr sein Onlinehandel. Viel größere Sorgen aber als die Pandemie bereiten ihm trockene Jahre, sagt er, blickt auf dieses Frühjahr und erinnert sich auch an die Wasserknappheit in den 1970ern („wir durften nicht einmal mehr die Autos waschen“). Denn so sehr der begeisterte Motorradfahrer Ausflüge im Trockenen mag, bedeutet nasses Wetter wirtschaftlich doch, dass er doppelt so viele Schirme verkauft: „Regen bleibt unsere beste Reklame.“
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