Essen. Impf-Chef spricht von schwer erträglichen Belastungen, vorhandene Vakzine würden aber weiter komplett verimpft – Fragen und Antworten zum Impfen.
Das Impfzentrum Essen arbeitet seit Tagen unter Volllast und bekommt viel Lob für seine Arbeit. Aber die Mitarbeiter spüren auch den wachsenden Ärger über die allgemeine Impf-Lage in Deutschland und die als umständlich empfundene Bürokratie. Hinzu kommen Nervosität, Angst und Ungeduld, die bei manchem Besucher die Disziplin zusammenbrechen lässt. „Die psychische Belastung ist manchmal kaum noch auszuhalten“, sagt der Leiter des Essener Impfzentrums. Dr. Stefan Steinmetz.
Erst jüngst sei er von einem 50-jährigen Mann wüst bedroht worden, als dieser seine 85-jährige Mutter ins Impfzentrum an der Messe begleitete und gebieterisch verlangte, ebenfalls geimpft zu werden. „Als ich das ablehnte, drohte er mir lautstark mit Anwälten und Medien und fotografierte das Namensschild an meiner Kleidung“, so Steinmetz. Erfolg hatte das Auftreten selbstverständlich nicht. Aber es zerrt an den Nerven derer, die derzeit in zwei Schichten im Impfzentrum arbeiten und nach Darstellung von Steinmetz alles tun, um mit dem Impfen in Essen voranzukommen – im Rahmen der Möglichkeiten, deren Begrenztheit auch Steinmetz ärgert.
Wie ist die Verwertung des Impfstoffs im Impfzentrum?
Laut Steinmetz wird in Essen weiterhin der gesamte Impfstoff verimpft, der ankommt. Nennenswerte Lagerhaltung von nicht genutzten Vakzinen gebe es nicht. Allerdings: „Selbst wenn mehr Impfstoff nach Essen käme, sind wir im Impfzentrum jetzt fast an der Grenze des Machbaren.“ Alle Impfstraßen in den Messehallen arbeiteten unter Volllast, schon aus personellen Gründen sei mehr kaum noch möglich. Ein Ausbau müsse aber letztlich auch nicht sein, vielmehr fordert Steinmetz, endlich die vorhandene Infrastruktur der in Essen niedergelassenen Ärzte in die Impf-Kampagne einzubeziehen.
Wie viele Menschen werden derzeit im Impfzentrum immunisiert?
Rund 2000 pro Tag durchlaufen täglich die Hallen in der Messe. Hinzu kommen 200 bis 300 Impflinge, die täglich von den beiden mobilen Teams immunisiert werden, die ebenfalls organisatorisch an das Impfzentrum angedockt sind. Die Teams fahren zu Wohnstätten, etwa von Behinderten und Schwerkranken, um vor Ort zu impfen.
Sind die über 80-Jährigen durchgeimpft und wie ist generell der Stand der Priorisierung?
Laut Steinmetz gibt es aktuell auch in der Altersgruppe Ü-80 noch immer einige Ungeimpfte, ferner Einzelne aus dem medizinischen Personal, die ebenfalls ein Anrecht haben, in der ersten Priorisierung berücksichtigt zu werden. Aktuell sind außerdem Polizisten, Erzieher und Grundschullehrer ins Impfzentrum eingeladen, außerdem Menschen bei denen aufgrund einer Vorerkrankung ein hohes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf besteht. Welche Krankheiten das sind, ist festgelegt. „Wir versuchen das so pragmatisch wie möglich zu handhaben“, sagt Steinmetz. Mitgebrachte Unterlagen würden kurz geprüft, wenn sie plausibel sind, geht’s zum Impfen.
Was passiert mit Resten von Impfstoffen?
Wenn es welche gibt, werden abends Mitarbeiter des Impfzentrums oder Polizisten immunisiert, die herbeigerufen werden. Impfungen komplett außer der Reihe seien sehr seltene Ausnahmen, die nur geschähen, um Vakzine nicht in den Müll werfen zu müssen.
Wann sind die Menschen zwischen 70 und 80 an der Reihe?
Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein vom vergangenen Dienstag erhält diese Altersgruppe erst ab Ende April Einladungen für die Impfzentren. Wie das im Detail abläuft, sei derzeit offen.
Wie steht es um die so genannten Einzelfallentscheidungen?
Wer eine schwere Vorerkrankung hat, die in der Coronavirus-Impfverordnung nicht als Voraussetzung für eine bevorzugte Impfung aufgeführt ist, kann versuchen, eine Einzelfallentscheidung zu erwirken. Bislang sind rund 1500 Einzelfall-Anträge bei der Stadt eingegangen, und zwar entweder per E-Mail unter einzelfallentscheidung@essen.de oder postalisch an der Gesundheitsamt, Hindenburgstraße 29, 45127 Essen. Mehrere Bürger beklagten eine schleppende Bearbeitung, nicht einmal eine Empfangsbestätigung gebe es.
Was sagt die Stadt zu solchen Vorwürfen?
„Es wird geprüft, ob alle notwendigen Unterlagen eingereicht sind und diese aussagekräftig sind“, sagt Stadtsprecherin Silke Lenz. „Sind die ärztlichen Zeugnisse eindeutig, wird ein Termin durch das Impfzentrum vergeben, sind noch Fragen offen, wird Rücksprache mit dem Gesundheitsamt gehalten, bestehen auch dann noch berechtigte Zweifel, wird der Einzelfall zur Entscheidung an die Rentenversicherung weitergeleitet.“
Selbst einfache Prüfungen brauchen offenbar ihre Zeit, von den komplizierten ganz zu schweigen. Auch Impf-Chef Stefan Steinmetz warnt daher, es sei unrealistisch zu glauben, „man gibt den Antrag ab und am nächsten Tag gibt’s einen Impftermin“. Aber Steinmetz macht zeitnah Hoffnung: „Ab 22. März werden täglich Impftermine für die Betroffenen vergeben“. Der Wunsch nach Eingangsbestätigung ist laut Stadt berechtigt und sei „in Umsetzung.“
Gibt es Fortschritte bei der Einbindung von Essener Unternehmen beim Impfen?
Die Pläne von Eon, Evonik oder RWE sind nach Angaben von Dr. Stefan Steinmetz bereits weit gediehen, teilweise sei er einbezogen. Die Unternehmen bereiteten Impfstraßen mit hohem Durchsatz vor, um die eigenen Mitarbeiter möglichst rasch zu impfen. Um loslegen zu können, bedarf es allerdings zweierlei: genügend Impfstoff und die Erlaubnis einer unbürokratischen Vorgehensweise beim Impfen. Eine Priorisierung nach gesundheitlicher Vorbelastung können und dürfen Betriebsärzte nicht leisten.
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