Essen. Viele Essener Modeläden sind wegen des Lockdowns auf einem Großteil der Winterware sitzen geblieben. Was nun mit der Kleidung passiert.
Die Lager vieler Modehändler sind kurz vor Frühlingsbeginn noch voll mit Winterware. Seit Mitte Dezember sind die Läden geschlossen, das wichtige Weihnachtsgeschäft ist ausgefallen. Nach Schätzungen ihres Hauptverbandes sind eine halbe Milliarde Modeartikel im stationären Handel noch nicht verkauft. „Der Druck auf die Händler ist enorm“, bekräftigt Marc Heistermann vom Einzelhandelsverband Essen.
„Wir sind auf ungefähr 60 Prozent unserer Winterware sitzen geblieben“, klagt Leon Finger. In seinem Geschäft in Steele verkauft er Damen- und Herrenmoden. „Normalerweise wäre jetzt der Zeitpunkt für den Ausverkauf. Der würde Platz und Geld für die Frühjahrsware bringen, die wir ja schon vor einem halben Jahr bestellt haben“, sagt er.
Essener Einzelhändler stehen vor „akutem Lagerproblem“
Finger spricht damit zwei große Probleme an, die die gesamte Branche umtreiben. Zum einen werden die Lagerflächen knapp. Beim Modehändler Sinn finden in normalen Zeiten etwa zehn Prozent der Winterware keine Käufer. In dieser Saison blieb jedoch die Hälfte der saisonalen Kleidung liegen. Deshalb spricht Sinn-Chef Friedrich-Wilhelm Göbel von einem „akuten Lagerproblem“.
Zum anderen sehen einige Geschäftsinhaber ihre Liquidität gefährdet. Denn mit den Einnahmen aus dem Wintergeschäft müssen sie die Kollektionen der kommenden Saison bezahlen.
Mit Ende des Lockdowns ist mit einer Rabattschlacht zu rechnen
Sollten die Geschäfte ab dem 7. März wieder öffnen dürfen, dann stellt das auch viele Essener Händler vor die Frage, wie sie mit der Winterware umgehen sollen. Leon Finger setzt darauf, neben der Frühjahrsmode auch noch warme Jacken und Pullover zu verkaufen – zu stark reduzierten Preisen. Diese Strategie wird auch Ralf Noreikat vom „US-Verkauf“ in der Innenstadt verfolgen. Er geht ebenfalls davon aus, dass er die Artikel nur noch mit deutlichen Rabatten loswird.
Kunden dürfen sich bei einer Öffnung im März also noch über Schnäppchen freuen. Doch nicht alles wird dann zu Niedrigstpreisen über die Ladentheke gehen. Standardwaren, die sich auch im kommenden Herbst noch verkaufen lassen, wollen viele Händler einlagern.
Winterware könnte in temporären Pop-up-Stores verkauft werden
Auch in der Rüttenscheider Boutique von Kirsten Rabe ist „das ein oder andere Teil mehr übrig geblieben ist als üblich.“ Sie werde im März allerdings nur die neue Kollektionen anbieten. Deshalb überlegt sie, einen temporären Pop-up-Store zu eröffnen oder die Kleidung an einen Aufkäufer abzugeben.
Solche Aufkäufer bieten die Ware aus Deutschland dann in anderen Märkten auf der ganzen Welt an. Jährlich schleusen sie damit allerdings nur rund fünf Prozent vom Marktvolumen ab, sagt Sinn-Chef Göbel. Eine Lösung des Problems sei das damit nicht.
Verbrennung der unverkauften Ware kommt für Essener Inhaber nicht infrage
Experten rechnen deshalb damit, dass ein Großteil der unverkauften Winterware vernichtet wird. Für die befragten Essener Betreiber ist das jedoch keine Option. „Verbrennen kommt für mich nicht infrage. Da würde mir das Herz bluten“, sagt Noreikat.
Eine weitere Möglichkeit wäre zwar, die Winterkleidung zu spenden. Allerdings seien die wenigsten Händler in der wirtschaftlichen Lage, ihre Ware einfach zu verschenken, glaubt Verbandschef Heistermann.
Essener Boutique verkauft trotz Shutdown gesamte Winter-Kollektion
Einige Essener Einzelhändler haben es trotz geschlossener Geschäfte geschafft, fast ihre gesamte Winterkollektion an den Mann oder die Frau zu bringen. Dafür haben sie allerdings auch Umsatzeinbußen in Kauf nehmen müssen, räumt Julia Kämpchen ein: „Wir haben unsere Ware sehr früh zu Schnäppchen-Preisen verkauft.“ Sie betreibt in Rüttenscheid die Boutique „Traum in Tüten“.
„Uns war klar, dass wir mit der Ware kein Geld mehr verdienen. Aber was nützt es uns, sie hier hängen zu haben? Wir müssen sie verkaufen, sonst verlieren wir nicht nur die Winterkleidung, sondern unsere komplette Liquidität“, so Kämpchen.
Verkauf der Winterkleidung über Live-Shopping im Internet
Kämpchen und ihr Team sind während der Corona-Pandemie kreativ geworden. Mit viel Aufwand haben sie Strategien entwickelt, mit denen sie ihre Kunden erreichen können. Einen Großteil der Winterkleidung sind sie über Live-Shopping in den sozialen Medien los geworden. Auch Ralph Cremer von „Edelguth“ hat über Instagram, Facebook und YouTube viel Winterware verkauft: „Das hat gut funktioniert. Wir bieten jetzt nur noch Frühjahrsware an.“
Eine besondere Herausforderung für die Essener Boutiquen stellen festliche Kleidungsstücke dar. Adrian Adolphs vom Herrenausstatter „Klasmeyer“ berichtet, dass sich die Wintermode zwar generell gut verkauft habe, aber: „Der Anzug- und Sakko-Bereich hat am meisten gelitten.“ Das bestätigt auch Julia Kämpchen: „Normalerweise will man an Weihnachten oder Silvester ein schönes Outfit tragen. Das war dieses Jahr natürlich anders.“
Essener Boutique-Besitzerin: „Mich nervt die Haltung von einigen Händlern.“
Um Glitzerkleider und Co. trotzdem zu verkaufen, hätte sie daher „früh die Notbremse gezogen“. Ihr Konzept: Traumboxen. Wer eine dieser Boxen für 50 Euro bestellte, bekam Kleidung im Wert zwischen 200 und 250 Euro. Welche Teile die Kunden letztendlich erhalten, war eine Überraschung. Die Boxen seien „eingeschlagen wie eine Bombe“.
Julia Kämpchen kann daher die Klagen mancher Kollegen nicht verstehen: „Mich nervt diese Haltung von einigen Händlern, die sich ein stückweit zurücklehnen. Sich über die Regierung zu beschweren ist für mich eine Energieverschwendung an völlig falscher Stelle. Man sollte sich lieber darum bemühen, den Kontakt zu den Kunden zu halten. Es gibt da hunderte Möglichkeiten, wenn man nur möchte.“