Essen. Wieder einmal bleiben die Geschäfte zu. Eine Boutique-Besitzerin aus Essen erzählt, wie sie durch die Corona-Krise gekommen ist.

Lockdown und kein Ende. Mindestens bis Mitte Februar müssen Einzelhändler ihre Geschäfte noch zulassen. Und das nach einem Jahr, das alles andere als normal war. Julia Kämpchen (41), seit acht Jahren Betreiberin der Boutique „Traum in Tüten“ in Essen-Rüttenscheid erzählt, wie sie und ihre fünf Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die letzten elf Corona-Monate erlebt haben.

Vor der Corona-Krise . . .


Da ging es uns, wie den meisten. Mal lief es gut, mal etwas weniger gut. Müsste ich Schulnoten verteilen, würde ich sagen „insgesamt befriedigend“.

Der erste Lockdown . . .


Da sind wir irgendwie schnell reingeschlittert. Aber meinen Mitarbeiterinnen und mir war sofort klar, dass wir uns jetzt nicht zu Hause aufs Sofa setzen und Däumchen drehen. Ich war dann auch jeden Tag im Laden. Klar, weil meine kleine Tochter nicht in die Kita gehen konnte, war das natürlich eine Herausforderung. Es hat aber geklappt. Meine Kollegin und ich haben dann Stories gemacht, also immer wieder neue Sachen angezogen und bei Instagram gepostet. Wer dann etwas bestellt hat, konnte die Ware bei uns vor der Tür abholen. Das hatte die Stadt uns erlaubt. Meistens aber haben wir die Bestellungen mit dem Fahrrad oder dem Auto bei den Kunden vorbeigebracht. „Fashion Taxi“ heißt das bei uns. Das hat schnell Fahrt aufgenommen, wahrscheinlich auch, weil wir schon vor Corona rund 1200 Follower auf Instagram und Facebook hatten. Geholfen hat allerdings auch, dass uns unser Vermieter sehr entgegen gekommen ist. Das war längst nicht überall der Fall, wie ich gehört habe.

Die Wiedereröffnung . . .


Da war es sofort so voll, wie es unter den damals geltenden Beschränkungen sein konnte. Man hat gemerkt, dass den Leuten das Einkaufen gefehlt hat. Einige Kundinnen haben sich sogar zum Shoppen bei uns im Geschäft verabredet. Für manche war der Laden offenbar eine Art Zufluchtsort, an dem sie Corona mal für kurze Zeit vergessen konnten. Es lief jedenfalls so gut, dass ich die 9000 Euro Soforthilfe, die ich zurückgelegt hatte, komplett zurückzahlen konnte. Das finde ich aber auch in Ordnung.

Im Sommer . . .


...waren die meisten Kundinnen nicht so zurückhaltend, wie man vielleicht gedacht hatte. Viele wollten sich offenbar selbst ein wenig belohnen, weil sie auf jede Menge Dinge verzichten mussten. Der Urlaub ist ja oft ausgefallen, viele Veranstaltungen auch. Wer Mode mag, hat sich von dem Geld, das da nicht ausgegeben wurde, das ein oder andere schöne Stück gegönnt.

Alles normal also?


Nein, im vergangenen Sommer wurde irgendwie anders eingekauft. Keine Abi-Bälle, keine Galas, später im Jahr auch keine Oktoberfeste, da sind uns ganze Segmente weggebrochen. Gefragt war und ist bis heute Kleidung für das Home-Office, also Hoodies und bequeme Hosen. Das war aber schon vorher ein Trend, deshalb hatten wir reichlich auf Lager. Es gibt allerdings auch Frauen, die im Business-Outfit zu Hause vor dem Computer sitzen. Ansonsten, haben sie mir erzählt, würden sie bei der Arbeit nicht richtig in Schwung kommen.

Der zweite Lockdown . . .


…hatte ein ganz schlechtes Timing. Die Wochen vor Weihnachten sind die wichtigsten im Jahr. Und im Januar ist die neue Frühlings- und Sommerware gekommen. Wir haben uns aber sofort wieder umgestellt und dieses Mal sogar Live-Shopping im Internet angeboten. Dabei haben wir uns vor allem auf die dicken und warmen Sachen konzentriert. Die kriegst du später nicht mehr verkauft. Es ist auch ganz gut gelaufen, lässt sich aber natürlich nicht mit dem Umsatz vergleichen, wenn der Laden geöffnet gewesen wäre.
Und um die Winterware für die nächste Saison einzulagern braucht man viel Platz. Außerdem ist ja alles schon längst bezahlt und bindet Kapital. Ich habe aber daraus gelernt und bestelle jetzt mehr Sachen, die sich das ganze Jahr über verkaufen lassen.

Was wird aus dem vollem Lager?

Wir haben uns Traumboxen ausgedacht. Wer eine dieser 200 Boxen bestellt, zahlt 50 Euro, bekommt aber Ware im Wert von bis zu 250 Euro – in der richtigen Größe und der gewünschten Farbe. Da verdiene ich zwar nichts mehr dran, vielleicht kostet es mich sogar Geld. Aber ich verbuche das als Marketing-Aktion, als Investition in die Zukunft. Denn die Leute sprechen darüber. Und vielleicht bringt uns das nach der Wiedereröffnung sogar neue Kundschaft.

Und wenn das noch länger dauert?


Auch das würden wir schaffen. Man muss sich nur etwas einfallen lassen, dann kommt man auch durch diese Krise. Nur jammern und nichts tun, bringt einen nicht weiter. Und von den Geschäften, die nicht durch die Krise kommen, standen die meisten wahrscheinlich von vorher nah an der Klippe.

Ein Wunsch, wenn Corona eingedämmt ist?


Erst einmal freue ich mich, wieder persönlichen Kontakt zu unseren Kundinnen zu haben. Und im Sommer mache ich Urlaub, bin da mal nicht zu erreichen. Das brauche ich dann. Ja, der Job macht mir Spaß, der Laden war mein Traum, aber so hart wie im vergangenen Jahr musste ich noch nie arbeiten.​