Essen. Opernsänger Karl-Heinz Lehner ist nach 20 Jahren ans Aalto-Theater zurückgekehrt. Warum sich für den gefragten Bass in Essen ein Kreis schließt.

Dortmund, Essen, Berlin, Wien, Rom, München. Und Bayreuth. Karl-Heinz Lehner hat eine beachtliche Karriere gemacht. Dass der gebürtige Österreicher jahrelang eine Auszeit nehmen musste, offenbart sein Lebenslauf auf den ersten Blick nicht. Jetzt ist er zurückgekehrt an den Ort, an dem sie begann. Mit festem Boden unter den Füßen schreckt ihn die neuerliche Auszeit nicht ganz so sehr.

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Von der Volksschule bis zur Matura sang er im Chor. Zuerst im idyllischen Eggenburg, seinem Geburtsort. Dann im Internat bei den Altenburger Sängerknaben. Seine Stimme verwandelte sich in einen talentierten Bass und er begann ein Studium in Wien. „Ich hatte ein zweites Standbein“, erzählt Lehner in kerzengerader Haltung. Religionspädagogik und Mathematik rangierte neben dem Gesang. Lange wusste er nicht, ob die Stabilität des eigenen Klangkörpers ausreichen würde für eine professionelle Laufbahn - bis ihm ein Lehrer riet: „Konzentrier dich auf eins.“ Von da an gab es nur noch den Gesang.

Stefan Soltesz holte ihn als König für „Lohengrin“

In Bremerhaven erhielt Karl-Heinz Lehner sein erstes Engagement. In Dortmund, wo er mit seinen Kindern lebt, erarbeitete er sich ein großes Repertoire und erweiterte es in Essen. „Ich habe hier unglaublich viel gelernt von den Pianisten und von Stefan Soltesz selbst und an Präzision gewonnen“, sagt er. Der ehemalige Generalmusikdirektor und Intendant hatte ihn 2000 schon vor dem festen Vertrag als Gast für „Lohengrin“ ans Aalto-Theater geholt, weil er „einen jungen Darsteller als König haben wollte“, erklärte er damals. Zudem gastierte Lehner oft. Kritiker lobten seinen schwarzen Bass und seine tiefgründigen Darstellungen, nannten sie gar „ein Ereignis“.

Bei „I puritani“ dann: Schwindelanfälle. „Ich konnte kaum geradeaus laufen, hatte Gleichgewichtsstörungen. Im März 2003 ging der Vorhang für mich zu“, berichtet Karl-Heinz Lehner von der aussichtslosen Zeit. Er machte Therapien, aber es gab keine Diagnose. „Der Zustand hat lange angehalten.“ 2011 waren die Beschwerden noch nicht weg, als er über eine Wiedereingliederungsmaßnahme beim Dortmunder Opernchor landete.

Nach der Auszeit adelten ihn die Bayreuther Festspiele

Dann gab ihm Intendant Jens-Daniel Herzog die Chance einer vorsichtigen Rückkehr. Mit kleinen Soli und einer „Wie-geht’s“-Besetzung. Der Sänger konnte beim „Figaro“ mit dem Kollegen Morgan Moody mitproben und sang zwei Vorstellungen. Bei „Carmen“ waren es drei. „Ich hatte auch kein Problem, im Chor zu singen, aber ich bin froh, dass es so gekommen ist“, betont Karl-Heinz Lehner. Seit 2015 „funktionierte es wieder“. 2016/17 adelten ihn die Bayreuther Festspiele. Er interpretierte Fafner in „Das Rheingold“ und „Siegfried“ sowie Titurel in „Parsifal“.

Karl-Heinz Lehner als Großinquisitor bei einer Probe der Opernproduktion „Don Carlo“, die in der kommenden Saison im Aalto-Theater Premiere haben soll.
Karl-Heinz Lehner als Großinquisitor bei einer Probe der Opernproduktion „Don Carlo“, die in der kommenden Saison im Aalto-Theater Premiere haben soll. © Unbekannt | Foto: Hansjörg Michel

Kaum wieder in Essen angekommen, erwischte ihn im März vergangenen Jahres die zweite unfreiwillige Auszeit. Seinen oft gespielten Baron Ochs im „Rosenkavalier“ konnte er noch einmal mit passendem Dialekt verkörpern. Doch nach der Generalprobe zu „Don Carlo“ war Schluss. Lockdown. „Wenn man übt und übt und es nicht zum Ernstfall kommt, das ist frustrierend“, meint er. Die Opernproduktion soll nun in der kommenden Spielzeit Premiere haben. Drei Auftritte bescherte ihm das Sängerfest „O du, mein holder Abendstern“. Dann kam der zweite Lockdown.

Abgesagte Auftritte schmerzen nicht nur wirtschaftlich

Auch Einsätze als Gast sind ihm entgangen. „Das schmerzt nicht nur wirtschaftlich“, so Karl-Heinz Lehner. Eine Japan-Tournee gehört dazu, „Tristan und Isolde“ oder „Das Rheingold“ in Dresden unter Christian Thielemann. Dennoch ist er froh, in der Pandemie einen festen Vertrag zu haben. „Für einen Sänger ist das ein Segen.“ Für die Verdi-Gala mit den Essener Philharmonikern, die im Livestream zu erleben ist, bringt er sein Stimmgerüst gerade auf Vordermann. „Ich überlasse nichts gern dem Zufall“, sagt er an dem Ort, an dem er vor fast 20 Jahren aufgehört hatte zu singen. „Für mich schließt sich hier ein Kreis.“

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