Dortmund.. Musikalisch erlesen, szenisch reizvoll: An Dortmunds Oper hatte Samstag Gounods „Faust“ Premiere. Ein Plädoyer für das in Deutschland oft unterschätzte Stück.
Teuflisches Weib, diese Oberschwester. Und wie sie dem Greis im abgewetzten Arbeitssessel sanft mit dem Finger droht. Fast hätten wir es übersehen: Die große Schlanke mit den granatroten Locken, ist Beelzebub selbst. Und wir sehen „Faust“.
Gounods große und in mancher Hinsicht großartige Oper haben die Deutschen mit spitzen Fingern angefasst. Der Vorwurf ist bekannt: Gounod habe das Nordische im Drama in französischem Parfüm ertränkt. Hört man, wie seidigfein, wie majestätisch-triumphal, wie tränentreibend sakral, wie aufwühlend brutal Motonori Kobayashi am Pult der Dortmunder Philharmoniker diese drei Opernstunden zum Abenteuer für die Ohren macht, schert einen der Einwand nicht. Kobayashi, wohl der beste Dirigent, den das Orchester aktuell hat, erkundet die schillernde, raffinierte Partitur so zwingend, dass allein diese Dimension den Weg nach Dortmund lohnt. Und die Philharmoniker, von kaum nennenswerten Schwächen im Blech abgesehen, zeigen, wie glänzend, wie vielfarbig plastisch sie klingen können.
Zwei Fäuste — bis zum Halleluja
Die Regie setzt auf eine Karte: Faust, behauptet sie, wird mitnichten durch den Pakt mit Mephisto zum jungen Mann, der – einmal noch lebensgierig – das brave Gretchen schwängert. John Fulljames (fest engagiert am Royal Opera House Covent Garden) sieht die ganze Geschichte als Erinnerung eines Menschen, dessen Genie im Würgegriff der Gebrechen gefangen ist. So agieren stets zwei „Fäuste“, bis zur Erlösung im finalen Halleluja. Das Konzept trägt. Geschwächt wird es allein durch die läppische Ausstattung des greisen Faust mit Rübezahlbart und Rentner-Krückstock. So sehen Alte im Ohnesorg-Theater aus.
Der Dichte szenischen Erzählens, für die die Neuinszenierung steht, tut das wenig Abbruch. Als düsteres Kino der vertanen Chancen, als Zug aus dem auch einer, der bereut, nicht aussteigen kann sehen wir Leben, Streben, Buhlen, Lieben.
Zu- und Abfluss der Lebensepisoden
Es ist kein Abend, der der Schönheit huldigt: Magdalena Guts Bühne lässt die Geschichte in etwas Bunkerartigem spielen. Mannshohe Röhren, einer Riesenkanalisation gleich, sind Zu- und Abfluss jener Episoden, um die Erinnerungen des Sterbenden kreisen. Unseliger Wahn im Nebel – die Welt mit Willen zur Vorstellung: Kinder, erste Rosen, lustiges Soldatenleben.
Im Strudel der hässlichen Meute
Lässt die Regie von den präzis geführten Protagonisten Faust, Mephisto, Marguerite regieren Krieg (ästhetisch siedelt der Ansatz etwa Mitte des 20. Jahrhunderts) und Kleinbürgermief. Wie nah kollektive Frömmelei und hässliche Meute, Massenspaß und geschlossene Gesellschaft beieinander hausen, illustriert dieser Abend bildmächtig.
Dass man von Jens-Daniel Herzogs Intendanz ein deutlich qualitätsvolleres Sänger-Ensemble in Erinnerung behalten wird, erwähnen wir nicht zum ersten Mal. Lucian Krasznec ist Faust: gerade eben so lyrisch, um keine Phrase ans Pomadige zu verraten, bei der Premiere mit durchschlagenden, enorm treffsicheren Höhen zur Stelle. Er wechselt nach München, Gratulation!
Mephisto: ein Menschenfänger zum Fürchten
Auch Eleonore Marguerre hat Dortmunds Oper mit einem Sahne-Sopran geadelt. Wie lang die reifer klingende Stimme noch Mädchenhaftes wie Gretchen singen kann, wird man sehen. Hier zeigt sie rührend, dass die größte dramatische Tiefe aus Schlichtheit erwächst.
Und der Teufel? Karl-Heinz Lehner, mal im Kittel, mal mit Zuhälter-Kettchen, hat sein starkes 2016er Bayreuth-Debüt noch im Rücken. Sein Bass vermählt Roheit mit giftig-süßem Balsam, ein Menschenfänger zum Fürchten.
Starker Neuzugang: Almerija Delic
Wenn sie hält, was ihre eher kleine Rolle (Marthe)bei der Premiere am Samstag versprach, dürfte die Mezzosopranistin Almerija Delic ein großer Gewinn für Dortmunds Opernhaus sein.
Das Quartett mit Delic in Marthes Garten zählte zu den musikalischen Gipfeln der „Faust“-Premiere.
Jubel für sie alle, auch für den Chor, der nach anfänglichen Unschärfen im Lauf des Abends wahrlich triumphierte. Einhelliger, starker Beifall im, unverdient, nicht vollen Haus.