Essen. Die Lage an Essens Krankenhäusern hat sich entspannt. Doch eine Lockerung des Lockdowns halten Kliniken und Gesundheitsdezernent für verfrüht.

Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, hält Lockerungen des aktuellen Lockdowns für möglich, neben Bildungseinrichtungen denke er dabei auch an Kultur und Gastronomie. Die Lage an den Kliniken habe sich entspannt: Während es Anfang Januar bundesweit noch 6000 Intensivpatienten gegeben habe, seien es inzwischen nur noch halb so viele. „Wir können in dieser Situation auch mit einer Inzidenz von 50 oder 70 leben und wieder Lockerungen zulassen, ohne dass die Kliniken überlastet sein werden“, erklärte Gaß in einem Interview mit der „Welt“. Die Essener Krankenhäuser beurteilen die Situation zurückhaltender. Und Gesundheitsdezernent Peter Renzel mahnt: „Für weitere Lockerungen gibt es aktuell keine Begründung. Was wir jetzt sehen, ist nur eine Momentaufnahme.“

Tatsächlich werden nach den Zahlen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) derzeit in Essen 48 Covid-Patienten intensivmedizinisch versorgt, Ende 2020 waren es noch 65. Allerdings weist die Divi von den insgesamt 349 Intensivbetten in Essen aktuell nur 42 als frei aus – zum Jahresende waren es noch 51. Das mag auch daran liegen, dass inzwischen wieder vermehrt Patienten mit anderen Krankheitsbildern behandelt, abgesagte Eingriffe neu terminiert werden.

Zu Ostern könne man über weitere Lockerungen nachdenken

Renzel bestätigt, dass Essener Kliniken auch in den vergangenen Wochen immer mal wieder einzelne Notfallsysteme oder Betten abmelden mussten. Das diene der Steuerung der Bettenkapazitäten und funktioniere gut. „Wir haben auch für Covid-Patienten ausreichend Kapazitäten, es besteht kein Grund zur Sorge.“ Bevor man über weitere Lockerungen spreche, müsse aber die Impfquote deutlich steigen: „Wir können nur hoffen, dass es auf Ostern hin Perspektiven für weitere Lockerungen gibt.“

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Das Krupp-Krankenhaus bemerkt an seinen beiden Standorten in Rüttenscheid und Steele jedenfalls noch nicht allzu viel von einer Entspannung: „Zurzeit sind unsere Betten auf den Intensiv- und Covid-Stationen in beiden Häusern alle belegt. Wir verfügen über keine freien Kapazitäten“, betont Sprecherin Anette Ehrke-Schön. Dazu komme, dass man weiter mit den Folgen der inzwischen fast ein Jahr lang währenden Pandemie zu kämpfen habe: „Unsere Mitarbeiter haben in den letzten Wochen über ihre Leistungsgrenze hinaus gearbeitet und versuchen nun alle verschobenen Operationen nachzuholen.“

„Man kann von einer Entspannung der Situation sprechen“

Prof. Jochen Werner, Ärztlicher Direktor Universitätsmedizin Essen erinnert an die besondere Beanspruchung der Uniklinik Essen: „Wir sind bundesweit die Klinik mit den zweitmeisten Covid-19-Patienten nach der Charité in Berlin. Bei uns werden weiterhin noch relativ viele Covid-19-Patienten intensivmedizinisch behandelt: Aktuell sind es 29 von insgesamt 91 Patienten mit einer Covid-Erkrankung.“ Zu anderen Zeiten hätten auch mal 50 Covid-Patienten auf der Intensivstation gelegen, „insofern kann man natürlich von einer Entspannung der Situation sprechen“.

Andererseits sei die Uniklinik auch überregional eine Einrichtung, die die Versorgung schwerstkranker Patienten aus unterschiedlichsten Fachgebieten leisten müsse. „Covid kam da einfach noch mal obendrauf, so dass wir eine Reihe Patienten nicht behandeln konnten: Bei der ersten Corona-Welle im vergangenen Frühjahr mussten wir 2000 geplante Eingriffe verschieben.“ Erst in den vergangenen Tagen habe man die Balance zwischen Covid-Patienten und anderen Schwerkranken endlich wieder verbessern können.

„Wir müssen auf immer neue Herausforderungen eingestellt sein“

Man dürfe daher nicht allein auf die Inzidenz-Zahlen schauen, sondern müsse sämtliche Krankenhausbetten inklusive der Intensivbetten betrachten, sagt Werner. Und der kaufmännische Direktor der Universitätsmedizin, Thorsten Kaatze, ergänzt: „Aktuell haben die Krankenhäuser in der Stadt Essen aber noch so viele Covid-19-Patienten, dass diese nicht allein in der Uniklinik behandelt werden können.“ Eine echte Entspannung könnte es erst geben, wenn endlich genug Impfstoff vorhanden sei, sagt Kaatze. „Auch der von Astrazeneca ist willkommen und wirksam!“ Das zweite wichtige Element seien regelmäßige Testungen, ergänzt Werner. Greifen diese beiden Elemente, sieht der Klinikdirektor Öffnungs-Perspektiven: „Ich halte auch nichts davon, aus lauter Furcht vor einer neuen Welle jetzt in eine Starre zu verfallen. Natürlich muss man auch über Lockerungen nachdenken.“

Essener Kliniken richteten 53 zusätzliche Intensivbetten ein

Für jedes bis zum 30. September 2020 zusätzlich geschaffene Intensivbett mit Beatmungsmöglichkeit erhielt das jeweilige Krankenhaus einmalig einen Betrag in Höhe von 50.000 Euroaus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds. In Essen wurden 53 zusätzliche Intensivbetten mit einem Förderbetrag in Höhe von 2,65 Millionen Euro genehmigt.

Den Löwenanteil organisierte die Uniklinik mit 37 Betten, gefolgt vom Alfried-Krupp-Krankenhaus in Rüttenscheid mit neun. Am Krupp-Standort in Steele wurden zwei Betten eingerichtet, an der Ruhrlandklinik vier, im Elisabeth-Krankenhaus eins. Ob diese Betten auch belegt wurden, wird laut Ministerium nicht erfasst. Eine Regelung, wie lange die Krankenhäuser die zusätzlich geschaffenen Intensivbetten vorhalten müssen, um nicht eine Verpflichtung zur Rückzahlung zu riskieren, gibt es zudem nicht.

Beim katholischen Krankenhausträger Contilia mag man noch keine Entwarnung geben. Dank einer guten Infrastruktur und des großen Zusammenhalts unter Medizinern und Pflegekräften hätten die Essener Kliniken eine „hochwertige Versorgung“ der Patienten erbringen können, betont Thomas Kalhöfer von der Unternehmenskommunikation. „Aber die letzten Monate haben auch gezeigt, dass wir in dieser Pandemie auf immer neue Herausforderungen vorbereitet sein müssen.“ Kalhöfer mag nicht über mögliche Öffnungen von Gaststätten, Kinos oder Theatern spekulieren, sondern verweist auf anstehende politische Entscheidungen: „Wir werden weiterhin mit aller Kraft daran arbeiten, dass wir die Entscheidungen, die Politik in diesen schwierigen Tagen treffen muss, bestmöglich unterstützen.“

Die Belegung der Intensivstation ist saisontypisch

Lediglich bei den Kliniken Essen Mitte sieht man eine Normalisierung: „Die Belegung unserer Intensivstationen liegt im Rahmen der erwartbaren saisonalen Anforderung.“ Aktuell habe man 20 Covid-Patienten, von denen einer intensivmedizinisch behandelt werde, sagt Unternehmenssprecherin Sabine Loh. Und so teilen die Kliniken Essen-Mitte die Haltung des Chefs der Deutschen Krankenhausgesellschaft:„Wie Herr Gaß sehen wir, dass sich die Situation insgesamt entspannt.“

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