Essen. Christian Stratmann denkt trotz Corona nicht ans Aufhören. Was der Theaterprinzipal aus Essen für die Zeit nach der Pandemie noch alles plant.
Viele Freunde in seinem Alter sind bereits im Ruhestand. Doch der kommt für ihn nicht in Frage. Jetzt in der Corona-Krise spürt Christian Stratmann das besonders deutlich. „Ich muss lernen, faul sein. Ich sitze zuhause und sage mir: Man müsste doch was machen“, sagt der Theaterprinzipal. Und dann macht er sich Gedanken. Dagmar Schwalm sprach mit ihm über 70 Jahre eines wechselvollen Lebens.
Herr Stratmann, wie leben Sie als kontaktfreudiger, vor Ideen sprühender Mensch in Zeiten von Corona?
Ich lese viel. Gerade von Alexander Osang „Fast hell“ und „Ein September in New York“. Da hat mir mein E-Book-Reader schon angezeigt: Sie haben ihr Jahresziel erreicht. Dafür hatte ich früher keine Zeit. Die alten Zustände hätte ich gern wieder. Ich möchte wieder mit Schauspielern zusammen sein, Gäste begrüßen und ihnen sagen, wo die Toilette ist.
Woher kommt die Leidenschaft für das Theater?
Die kommt von klassischen Konzerten und Kleinkunst. Es gab jemanden in der Familie, der war Schüler von Karajan. Er ist ihm hinterher gereist und ich mit ihm. Da war ich 20, 25. Ich war fasziniert vom Dirigieren. Als ich in Hamburg lebte, ging ins St. Pauli Theater und ins Schmidt Theater, wo Ernie Reinhardt alias Lilo Wanders fragte: Sitzen Sie gut? Ich dachte: So muss das sein. Da ist jemand, der sich kümmert. Das habe ich ausgeweitet.
Sie haben auf Ihrem beruflichen Weg viel unternommen. Wie kommt man auf die Idee, eine Bühne zu eröffnen?
Ich habe Unternehmensberatung gemacht, einen Blumenladen gehabt und als Bereichsleiter beim „Leserkreis Daheim“ gearbeitet. Ich habe mich gerne auf Projekte gestürzt, die absehbar waren. Nichts war konzipiert. Etwas mit meinem Bruder Ludger zu machen, hatte ich lange vor. Ich hatte das Gefühl, er muss auf die Bühne. Als wir 1994 ins Europahaus einzogen, waren die Bemühungen, Kleinkunst zu machen, zunächst nicht sehr erfolgreich. Nicht erfolgreich genug für die Höhe des Kredits. Mit dem Kabarett meines Bruders kam dann der Durchbruch.
Nach der Trennung von Ihrem Bruder war der Schritt zum Mondpalast in Wanne-Eickel nicht weit.
Mit dem Gastspiel von Sigi Domkes „Freunde der italienischen Oper“ war der Gedanke zu einem Volkstheater gewachsen. Ich wollte dem Ruhrgebiet den Spiegel vorhalten. Den Auftrag, intelligent zu unterhalten, habe ich mir immer selbst erteilt. Und dass sich das Publikum sich wohlfühlt. Dahinter steht ein großer Servicegedanke.
Neben Erfolgen gab es Verluste. Wie gehen Sie mit Scheitern um?
Das mit den „Kammerspielchen“ in Wanne-Eickel hat nicht geklappt. Das war nicht wirtschaftlich. Scheitern ist keine persönliche Niederlage. Ich schau mir aber sehr genau meine Fehler an. Es hat mich nie davon abgehalten, es wieder zu versuchen.
Hat Sie je etwas richtig umgehauen?
Der Tod meines Mannes Ryszard Prusak hat mich arg mitgenommen. Da war ich 64 und hätte nie gedacht, dass ich diese Vertrautheit noch mal finden würde. Seit 2018 bin ich mit Mohammed Shbieb zusammen und sehr glücklich.
Was sind die Meilensteine in Ihrem Leben?
Die Hochzeit mit Ryszard. Und das mit dieser Veranlagung. Das war für mich grandios. Von sich verstecken bis dazu stehen - das musste ich vom 14. Lebensjahr mit mir selbst abmachen. Mit der Heirat war für mich spürbar, in der Gesellschaft angekommen zu sein.
Und beruflich?
Die Eröffnung des Mondpalast. So ein Riesenerfolg von Anfang an. Was ich mir ausgedacht habe, hat funktioniert. Jetzt sind es weit mehr als eine Million Zuschauer.
Bei so viel Verbundenheit zu Wanne-Eickel - das Stadion wurde in Mondpalast-Arena umbenannt - warum sind Sie nie aus Essen weggezogen?
Ich bin hier aufgewachsen. Hier sind die Orte meiner Jugend. Ich fühle mich hier sehr wohl.
Welche Orte waren das?
Das war ein Discokeller in der Nähe der Michaelschule in Huttrop. Ich habe gerne Tennis im Etuf am Baldeneysee gespielt. Auch der Dom zählt dazu, weil ich als Domsingknabe der ersten Stunde dort viel Zeit verbracht habe und das Jagdhaus Schellenberg, wo man in meiner Jugendzeit die größten Stücke feinsten Erdbeerkuchens serviert bekam.
Sie haben sich, seit Sie wieder in Essen wohnen, immer kleiner gesetzt.
Das ist so. Das Haus in Kettwig hatte 260 Quadratmeter, am Landgericht waren es 180, nun sind es 70 in Rüttenscheid. Im Altersheim werden es wohl 10 sein.
Von Ruhestand kann aber auch mit 70 nicht die Rede sein?
Ich habe das, was ich tue, nie als Arbeit empfunden. Ich habe auch mit 65 nie gedacht: Ich kann nicht mehr. Vielleicht, wenn die körperliche oder geistige Beweglichkeit eingeschränkt wäre. Es ist ja nicht so, dass mir nichts mehr einfiele.
Es gibt also Pläne?
Beim Mondpalast gibt es noch viel Luft nach oben. Auch der Revuepalast in Herten hat noch viel Potenzial. Ich habe schon konkrete Vorstellungen für Tourneetheater. Der Name Mondpalast ist eine Marke, die man verwenden kann. Dazu braucht man ein zweites Ensemble. In Städten, die ein Theater, aber kein eigenes Ensemble haben, wie Gladbeck oder Kamen, waren wir schon zu Gast. Es war ausverkauft. Das Geschäft will ich noch machen.
Wie lange möchten Sie noch arbeiten?
Ich werde gut beschäftigt sein, so lange ich kann. Ich bin allerdings dabei, mit meinen Mitarbeitern über die Nachfolge zu sprechen. Auch meine Kräfte sind endlich. Der Mondpalast ist im Ruhrgebiet angekommen und sollte kein zeitlich begrenztes Projekt sein.