Essen. „Mit wie wenig man auskommen kann“: Trotz coronabedingter Schließung zeigen Essens freie Bühnen Durchhaltevermögen und entwickeln neue Formate.

Wir sind bereit, wenn es wieder losgeht“, sagen alle. Es ist eine Kampfansage. Waren manche im ersten Lockdown noch in Schockstarre, begegnen die freien Bühnen der zweiten Schließung mit Kreativität. In der Studio-Bühne herrscht Premierenstau, im Theater Freudenhaus wird ein Stadtteilprojekt gestartet oder im Theater Essen-Süd eine Online-Serie und ein Podcast realisiert. Beim Überleben hilft sie wie das treue Publikum.

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„Ausdauer und Zuversicht haben bei uns Tradition“, sagt Michael Steinhorst, der Leiter der Studio-Bühne. Schließlich wurde sechs Jahre gekämpft, bis die Sanierung des Standorts an der Korumhöhe gesichert war. Dass alle hier ehrenamtlich spielen, macht die Situation einfacher. „Für die, die Theater als Brotberuf machen, ist es schwieriger.“ Leicht fällt die Schließung dennoch nicht. Also wird geprobt für den Tag X. Mit viel Optimismus „konzentrieren wir uns auf Ein- bis Dreipersonenstücke“.

Monolog „Judas“ in der Studio-Bühne premierenreif geprobt

Treppenhaus-Theater in der Studio-Bühne: Johannes Brinkmann probt das Solostück „Judas“:
Treppenhaus-Theater in der Studio-Bühne: Johannes Brinkmann probt das Solostück „Judas“: © FUNKE Foto Services | Foto: Olaf Ziegler

Gerade wurde „Judas“, Lot Vekemans zutiefst menschlicher Monolog eines Verräters, bis zur Premierenreife geprobt. Gastregisseur Stephan Rumphorst hat ihn inszeniert ebenso wie aktuell „Heute Abend: Lola Blau“. „Love Letters“ ist schon lange startklar. „Die Zofen“ warten noch. „Wir haben viel in petto für die Öffnung“, so Michael Steinhorst. „Im Moment machen wir mit dem Verschieben von Terminen aber mehr Planungskunst als Theater.“ Und um die vielen älteren Mitglieder des Vereins kümmert man sich. „Von den 70- bis 85-Jährigen hört man: Wir haben ganz andere Sachen durchgestanden.“

Die Rü-Bühne wird bis auf die Reinigung des Hauses ebenfalls ehrenamtlich organisiert. 20 bis 30 Gruppen vereinnahmen die Bretter, die die Welt bedeuten, pro Jahr. Darunter das „Inclusiv“-Festival von Menschen mit und ohne Behinderung. „Das alles musste abgesagt werden“, bedauert Fritz Jäger von der Rü-Bühne. Von den acht Theaterpädagogen bietet ein Großteil Kurse online an. „Sie erhalten die Kursgebühr. Die Kursteilnehmer sind da entgegenkommend“, so Jäger. „Wir können uns ganz gut retten, da wir institutionelle Förderung von der Stadt erhalten und gerade die Novemberhilfe gezahlt wurde.“

Theater Courage bereitet 80er-Jahre-Musikrevue vor

Das Theater Courage in Rüttenscheid bekommt die Corona-Krise „ordentlich zu spüren. Das letzte Geld kam im November“, berichtet Peter-Maria Anselstetter. Auch hier haben die meisten Mitstreiter einen Hauptberuf. Die kleine Theater-Familie um ihn herum mit Gabi Dauenhauer und Falk Hagen kommt mit Rente, Kurzarbeitergeld und einem Mini-Gehalt irgendwie über die Runden. „Ich bin als Simulationspatient im Essener Klinikum und spiele Studenten 30 Mal einen Kranken vor.“ Ansonsten werde gearbeitet - nur eben ohne Publikum, was alle schmerzt.

„Wir sind sehr produktiv“, meint der Schauspieler und Autor. Stücke werden von Gabi Dauenhauer geschrieben und gesichtet. Die Musikrevue „99 Luftballons im Sperrbezirk“ haben sie im Anstich sowie ein Drama über einen Alkoholiker. „Wir tun alles, um zu überleben. Was ein Glück, dass wir ein eigenes Theater haben.“ Seit letztem Jahr sogar mit Zelt im Hof, das mit einem Zuschuss der Stadt Essen angeschafft werden konnte. „Die Leute schrieben uns, sie würden auch mit Decken kommen“, erzählt Peter-Maria Anselstetter sehr gerührt. Bei der derzeitigen (Wetter)-Lage wäre selbst das unmöglich.

„25 Jahre in Steele“ feiert das Theater Freudenhaus

„Man muss Ziele haben“, bestätigt Rainer Besel, künstlerischer Leiter des Theater Freudenhaus. Diese hier landen langfristig auf der Bühne: „Wir planen eine Reihe am Nachmittag mit Konzerten und Repertoiretheater, die sich an Risikogruppen wendet, die absolute Sicherheit brauchen“, erklärt Besel. Die Schauspieler Orestes Fiedler und Johanna Wagner erarbeiten Lutz Hübners Stück „Gretchen 89ff.“ Und „wir feiern 25 Jahre in Steele“. Geplant ist eine stadtteilbezogene Collage, die sich zusammensetzt aus Filmmaterial von Steele TV, kleinen Szenen und Menschen, die erzählen.

Was das Einkommen angeht, so sind die Schauspieler alle frei tätig und verdienen nur, wenn sie auf der Bühne stehen. Geschäftsführerin Conni Sandmann und Mitarbeiter Frank Scho sind in Kurzarbeit. Rainer Besel ist in seiner Funktion als Honorarkraft angestellt. Für sein Duisburger Kindertheater bekam er Überbrückungsgeld. „Mit wie wenig man auskommen kann“, stellt Besel fest. Doch das Überleben ist gesichert.

Theater Essen-Süd findet mit Podcast Unterstützer

Raphael Batzik vom Theater Essen-Süd erzählt, dass er im ersten Lockdown kreativ blockiert war. „Das ging vielen Kollegen so“, sagt er. Seit vergangenem Herbst ist das Gegenteil der Fall. Neue Online-Formate werden ausprobiert. Zuschauerpakete und Podcast haben die Kreativen ins Leben gerufen, um Aufrufe zur Unterstützung an das Publikum zu bringen. Unter dem Titel „Im Süden nichts Neues“ wird über Stücke, Schauspieler, Spielstile geredet. „Der Podcast kam gut an“, so Raphael Batzik. Bis zu 1.000 Hörer finden sich. 38 sind schon unter die Leute gebracht. 6.000 Euro kamen in fast einem Jahr zusammen.

Auch „The Hive“ hat schon zehn Folgen. Die dystopische Pen & Paper-Serie ist Erzählung und Improvisationstheater zugleich und lässt Charaktere und Abenteuer am Tisch entstehen. In eine Produktion, die im Live-Stream zu sehen sein soll, fuchsen sie sich hinein. Der Kunstfilm „Nathan“ soll zum Abiturthema für Schulen käuflich zu erwerben sein. Alle Aktivitäten, Stipendien, Kulturhilfen reichen für die laufenden Kosten des Theaters und die drei von acht Kreativen, die davon leben, nicht ganz aus. Raphael Batzik: „Durchhalten, das ist der Plan. Ich versuche es mit einem Nebenjob als Essensliefererant.“