Essen. Sondersitzung: Der Ordnungs-Ausschuss müht sich um einen sachlichen Blick auf Silvester in Altenessen - und relativiert die Empörung.
"Rocket-Dreams" und "Revolution", "Meteorschlag" und "Mega Burst": Es sind die fantasievollen Feuerwerks-Namen, die an Silvester bei manchem das ganz große Kopf-Kino anknipsen - um danach mitunter für einige Ernüchterung zu sorgen, wenn der große Knaller gar keiner war. So ähnlich erging es wohl den Politikern im Ordnungs-Ausschuss des Stadtrates, die sich am Freitagnachmittag der Silvester-Randale in Altenessen annahmen. Und die später größtenteils zu der Erkenntnis kamen: Ganz so explosiv war das vielleicht gar nicht.
Das nimmt nichts weg von der Empörung über die wohl zwei Dutzend junge und gar nicht mehr so junge Leute, die am letzten Tag des Jahres in neun Minuten Zerstörungswut Papierkörbe hochjagten und anzündeten, Glasscheiben einschlugen und Müllcontainer umkippten. Die das ganze noch filmten und ihre selbstfabrizierte Altenessen-Randale unterlegt mit ein paar fetten Beats im Internet feierten.
Die Politik auf der Suche nach dem angemessenen Maß des Entsetzens
Daniel Herring, Polizeioberrat und Leiter der Polizeiinspektion Nord, war der richtige Mann, um der versammelten Politikerschar auf ihrer Suche nach dem angemessenen Maß des Entsetzens die Fakten zu liefern. Und die besagen nach den bisherigen Erkenntnissen der polizeilichen Ermittlungskommission "Knaller": Was da an Silvester auf dem Altenessener Markt stattfand, war die sicherlich traurige, aber leider übliche Randale, die es immer wieder mal gibt - auch in anderen Essener Stadtteilen und sicher auch jenseits der Stadtgrenzen.
Nichts deute derzeit darauf hin, dass der Krawall vorbereitet war, dass er gezielt städtischem Mobiliar galt, dass gezielt ein Zeitfenster genutzt wurde, in dem die Ordnungshüter für gerade mal neun Minuten wegen eines anderen Einsatzes nicht vor Ort waren. Oder dass da womöglich Krawall-"Touristen" aus anderen Stadtteilen, gar anderen Städten gezielt angereist wären.
Keine Krawall-Touristen aus anderen Stadtteilen, sondern junge Männer aus dem Viertel
Im Gegenteil: Die mittlerweile sieben tatverdächtigen Beteiligten - zwei Erwachsene, drei Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren sowie zwei Jugendliche - wohnen alle offenbar ums Eck, sind in Altenessen groß geworden, hier zur Schule gegangen oder haben anderweitige Bezüge dorthin.
Sie alle sind Deutsch-Türken, Deutsch-Libanesen, Deutsch-Marrokaner, von denen der AfD-Vertreter im Ordnungs-Ausschuss gern hätte, dass man ihre Vornamen vorliest. Den Gefallen tut ihm Herring nicht, sie sind aber auch keine geheime Verschlusssache, sondern standen zum Teil schon im öffentlich zugänglichen Bericht an den Innenausschuss des Landtags.
Die Statistik zählt weniger Straßenkriminalität - und weniger Beschwerden
Denn auch die Polizei war ja anfangs alarmiert, nahm die Fahndung wegen "Landfriedensbruch/Sachbeschädigung" in ihr landesweites Fahndungsportal auf. Vielleicht auch, weil die jungen Männer "sich der Tat gebrüstet und das Video unverfroren gepostet hatten - das gab's noch nicht", räumt der Leiter der Polizeidirektion vor Ort ein.
Aber er sagt eben auch, dass da viel "Eigendynamik" im Spiel war. Wenn man so will: ein Vorfall gegen den Trend. Denn die Statistik, so Daniel Herring, zeige in letzter Zeit keine Erhöhung, sondern vielmehr einen "signifikanten Rückgang der Straftaten" in Altenessen, "insbesondere im Bereich der Straßenkriminalität", und auch die Zahl der Beschwerden sei, so berichteten ihm die Polizeibeamten vor Ort, "eher rückläufig: Nichts deutet darauf hin, dass die Situation in Altenessen schlimmer wird."
Ein Fake-Video aus Berlin, um die Altenessen-Riots aufzublasen
Schon wahr: Der erste Eindruck geht in diese Richtung, erst recht, wenn die Zerstörungswut in ein Video gepresst wird und durch die klassischen Medien ebenso Verbreitung findet wie über soziale Medien. Dass da manche Szenen doppelt vorkommen, nur aus anderen Blickwinkeln, fällt kaum auf. Und auch nicht, dass ein anderes Video mit eingeblendeter Altenessen-Marke kursiert, welches aber gar nicht aus Altenessen stammt. "Das ist Fake", sagt Herring, vermutlich eine Randale-Szene aus Berlin.
Altenessen hat es so oder so landesweit traurige Berühmtheit verschafft, seufzt Ordnungsdezernent Christian Kromberg, ja, "ein Stück weit stigmatisiert", beklagt Michael Kretschmer von den Linken. Und FDP-Ratsherr Eduard Schreyer, selbst pensionierter Polizist und als solcher womöglich unempfindlicher als mancher Altenessener Bürger, kommt gar zu der Erkenntnis, dass da am Silvester-Tag "nichts passiert ist, worüber man reden muss": Denn Essen sei nun "vielleicht da angekommen, wo eine Großstadt hingehört".
Der Botschaft entgegentreten, "man könne dort tun, was man will"
Dass der Liberale diese Erkenntnis mit einem Vorwurf an Oberbürgermeister Thomas Kufen verbindet, dieser hätte mit seinem Besuch im Stadtteil die ganze Chose doch nur noch "aufgewertet", mag der Ordnungsdezernent so allerdings nicht stehen lassen: "Es ging darum, der Botschaft entgegenzutreten, man könne dort tun, was man will."
Zugleich treten Kromberg wie auch CDU und Grüne dem Vorwurf der Sozialdemokraten entgegen, ein Abbrennverbot von Böllern hätte die Randale verhindert. "Diese Leute wären auch mit einem Böllerverbot nicht zu stoppen gewesen", meint der Dezernent, der den Kommunalen Ordnungsdienst einstweilen zu einem Zwei-Schicht-Dienst aufgestockt und noch ein City-Serviceteam zur Verstärkung nach Altenessen beordert hat. Die Streifen auch freitags und samstags länger loszuschicken, so wie von Julia Klewin (SPD) gefordert, dazu fehle ihm aber das Personal.
Und gegen die Randalierer Ordnungsgelder zu verhängen, wie Jens Schmitz (AfD) anmahnte, sei schon deshalb kein Thema, weil es ausreichend Abstand und keine Vermummungspflicht für die Krawallbrüder gab. Zum Glück. So ging der "Knaller" für sie nach hinten los.