Essen. Der OB und Peter Renzel führten die Stadt ruhig durch die Corona-Krise, ohne die Bürger mit autoritären Gesten zu traktieren. Das verdient Lob.

In Krisenzeiten wollen die Bürger das Gefühl haben, entschlossen und umsichtig regiert zu werden, nicht wenige Menschen bevorzugen auch die härtere Variante: Je mehr ihnen die Regierenden das eigene Denken abnehmen und ihnen im Detail sagen, was sie tun sollen, desto größer das Ansehen. Dass Ministerpräsident Laschet in NRW in Umfragen relativ schlecht, Bayerns Söder hingegen so gut dasteht, hat wenig bis nichts mit konkreten Erfolgen gegen die Pandemie zu tun, denn Bayern hat schlechtere Zahlen als NRW. Hier geht es vielmehr um die völlig unterschiedlichen Gesten und Regierungsstile, die beide Politiker pflegen: eher nachdenklich und tastend der eine, autoritär und scheinbar nie irrend der andere.

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Vor diesem Hintergrund ist es schwer zu sagen, ob Oberbürgermeister Thomas Kufen nun in der Gunst der Essener gefallen oder gestiegen ist, seit die Corona-Pandemie ab Herbst noch einmal richtig Anlauf nahm. Denn anders als viele andere Stadtoberhäupter - und das ist hier als Lob gemeint - hat Kufen nicht ein einziges Mal zu jenen drohenden Gesten Zuflucht genommen, die einem als mündiger Bürger immer das Gefühl geben, man sei aus Versehen in einen Kindergarten geraten. Wobei es da heutzutage ja eher antiautoritär zugeht.

Verzicht auf Symbolpolitik und der Mut zur Differenzierung

In Essen wurde exakt das umgesetzt, was jeweils landesgesetzlich verlangt wurde, nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Das führte zu dem eigentlich peinlichen Problem, dass der Oberbürgermeister dienstags verkündete, er persönlich halte aus vielen guten Gründen zum Beispiel nichts von Gastromomie-Schließungen, um genau diese dann freitags umsetzen zu müssen, weil das Land anders entschied. Beim Thema Maskenpflicht blieb Essen eine der ganz wenigen Großstädte, die sich nicht in Symbolpolitik flüchtete. Der Zwang zur Mund-Nasen-Bedeckung geht völlig in Ordnung, wenn Hoffnung besteht, so Infektionen verhindern zu können. An der frischen Luft bei ausreichend Abstand aber sollte es jedem selbst überlassen bleiben, wie er sich in diesem Punkt verhält. Soviel Freiheit zur Differenzierung und soviel gesunder Menschenverstand müssen sein, fand Kufen, und er hat Recht damit.

Als grundliberalem Christdemokraten sind Kufen autoritäre Gesten wesensfremd, und auch der derzeit wichtigste Spitzenbeamte in Essen, Gesundheitsdezernent Peter Renzel, ist aus ähnlichem Holz geschnitzt. Renzel sieht jeden Tag, was Corona anrichtet, trotzdem hat er noch vor wenigen Tagen klargestellt, dass er zum Beispiel Ausgangssperren für kein geeignetes Mittel hält.

In einer freien Gesellschaft muss es auch in der Pandemie um mehr gehen als um Gesundheitsschutz

Obwohl Renzels politisches Fundament eindeutig die Geisteswelt der klassischen Sozialpolitik ist, hat er in diesem schwierigen Jahr immer und immer wieder an die Vernunft und die Eigenverantwortung jedes einzelnen Bürgers appelliert. Staatsfrömmelnde Zyniker und Freunde eines gebieterischen Wir-Gefühls, die von der Freiheit des Einzelnen oft schon vor Corona nicht viel hielten, mögen das belächeln. Aber selbst in der Pandemie muss es in einer freien Gesellschaft noch um mehr gehen als um Gesundheitsschutz, so wichtig der auch ist.

Die nackten Fakten stellten Kufen und Renzel jedenfalls nicht ins Unrecht und sie entfachten keinen zusätzlichen Druck, dem man womöglich nur schwer hätte standhalten können. Essen kam ausweislich der Infizierten- und Totenzahlen bislang besser durch die Pandemie als viele vergleichbare Städte - auch besser als jene, wo man wegen Hilflosigkeit oder Neigung (oder beidem) Ausflüge in die Symbolpolitik und ins Autoritäre meinte machen zu müssen.

Früh wurde begriffen, wie wichtig der Schutz von Senioren ist

Warum das gelang ist schwer zu sagen, auch Glück und purer Zufall spielen da gewiss eine Rolle. Ein Grund aber könnte sein, dass Peter Renzel relativ früh erkannte, wie wichtig der Schutz älterer Menschen, vor allem jener in Senioreneinrichtungen ist. Andererseits gab er nicht den populistischen Impulsen Marke "Jung gegen Alt" nach. Als zu Anfang der Pandemie jüngere Leute sich polemisch darüber beschwerten, dass in den Supermärkten auch Alte anzutreffen seien, hat der Gesundheitsdezernent sich ohne Wenn aber Aber vor sie gestellt und diese Art primitiver Ausgrenzung verurteilt. Es war und ist jedenfalls ein Wert an sich, Panik, Angst und überbordende Emotionen eher runterzukühlen als sie städtischerseits noch zusätzlich zu befeuern.

Essen hatte außerdem die Kraft, nach einer allerdings langen Schamfrist wenigstens einige Übertreibungen und Fehlentscheidungen in der Ordnungspolitik rückgängig zu machen. So wurde die sinnfreie Schließung, dann Teilschließung des Grugaparks aufgehoben - heute kann hier wieder jeder frei ein- und ausgehen, wobei natürlich wie überall die Abstandsregeln einzuhalten sind.

Der Datenschutz setzt auch dem Essener Gesundheitsamt enge Grenzen

Auch die bundesweit bekannt gewordene Denunziations-App wurde entschärft. Durch die bundesweite Anprangerung dieses Fehlers durch den Bundestagsvizepräsidenten und FDP-Politiker Wolfgang Kubicki kam ausgerechnet Essen in den Ruf, eine Hardliner-Kommune in Pandemie-Fragen zu sein, was schon etwas Tragisches hatte. Dass auch das Essener Gesundheitsamt sich im Geflecht eines überzogenen Datenschutzes bewegt, der einer effektiven Nachverfolgung der Infektion enge Grenzen setzt, lässt sich kommunal nicht ändern und ist dem Rathaus nicht anzulasten.

Es ist üblich, auch in der Kommunalpolitik viel zu misstrauen und die Akteure mit Kritik zu überziehen, und oft ist das auch berechtigt. Doch am Ende dieses Jahres gibt es, was die Leistung der Stadtspitze betrifft, eindeutig mehr Licht als Schatten. Neben der strittigen Verkehrspolitik, den Krankenhaus-Schließungen und vielleicht noch der Bebauungspolitik, gab es nur die Pandemie als wirklich relevantes kommunalpolitisches Thema. Hier wuchsen einige über sich selbst heraus. Und da darf man durchaus mal danke sagen.

Mit einem Schuss Idealismus und Liebe zur Stadt Essen

Zu nennen ist besonders Gesundheitsdezernent Peter Renzel, der seit nun zehn Monaten eine hohe Arbeitsleistung erbringt, die niemand verordnen kann und die ohne einen Schuss Idealismus und Liebe zur Stadt Essen überhaupt nicht denkbar wäre. Das gilt übrigens, obwohl wir als lokales Medium mit seiner manchmal eigenwilligen Informationspolitik nicht immer einverstanden waren. Ihm vor allem, aber auch manchem anderen, möchte man wünschen, dass sie den Raubbau an ihren Kräften verringern können - und dass das Jahr 2021 ihnen dabei behilflich ist.