Essen-Borbeck. Vor rund 40 Jahren verhinderte der Essener Wolfgang Sykorra gemeinsam mit der Aktionsgemeinschaft A31 den Bau der Autobahn durch Essen.

Essen-Borbeck. Wenn Spaziergänger an der Raststätte des Wanderwegs „Riemelsbeck“, unmittelbar an der Stadtgrenze zwischen Essen und Mülheim die dort angebrachte Gedenktafel zur „Aktionsgemeinschaft A31“ vermissen sollten, dann sei beruhigend erklärt: Die Gedenktafel befindet sich vorübergehend im Ruhrmuseum auf Essen-Zollverein. Die Tafel dokumentiert den erfolgreichen Protest der Umweltschützer, die vor knapp 40 Jahren gemeinsam den Bau der Autobahn – zumindest teilweise – verhinderten. Schließlich wurde sie nur von Emden bis Bottrop gebaut.

Autobahn A31 sollte von Emden aus auch nach Essen führen

Anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Regionalverbands Ruhr als politische Klammer des Ruhrgebiets präsentiert die aktuelle Ausstellung „100 Jahre Ruhrgebiet“ eine der bevölkerungsreichsten Regionen Europas als vielseitige Metropole. Auch wenn das Ruhr-Museum auf Zollverein wegen der Corona-Pandemie erst einmal geschlossen werden musste, so soll hier an dieser Stelle an die Initiative, ihre Ziele und Erfolge erinnert werden. Wolfgang Sykorra (75), wohl der letzte aktive Essener Spross der AG, erinnert sich.

Die in den 1960er- und 1970er-Jahren projektierte Autobahn A 31 sollte von Emden aus die Nordseeküste mit dem Rheinland verbinden und quer durch das Ruhrgebiet bis vor die Tore Bonns führen. Dabei war der südliche Abschnitt besonders umstritten, weil städteüberschreitende Frischluftschneisen wie das Hexbach- und Winkhauser Tal ökologisch zerstört worden wären.

Im Jahr 1973 zur "Aktionsgemeinschaft A31" gestoßen

Wolfgang Sykorra schloss sich der Aktionsgemeinschaft im Jahr 1973 an. „Ich war damals 28 Jahre jung, hatte gerade mein Studium der Anglistik und Romanistik in Bonn beendet und kehrte nun in meine Heimat zurück.“ Kurz zuvor hatte er seine Frau Lore geheiratet. Beide wohnten in Bergeborbeck, ganz in der Nähe der Zinkhütte an der Germaniastraße.

Asche der Zinkhütte verteilte sich überall

„Dort habe ich Umweltzerstörung und Umweltverschmutzung bereits als Kind am eigenen Leib erfahren“, sagt Sykorra heute. „Die Asche aus der Zinkproduktion wurde in den 1950er Jahren einfach abgeschüttet. Dort, wo heute die Altenberg-Siedlung zu finden ist. Aber der Dreck lag praktisch überall.“ Die attraktive Wohnsiedlung wurde in den 1980er Jahren erbaut und praktisch auf Altlasten errichtet. Der Boden musste vorher aufwändig saniert werden. „Es war also die persönliche Betroffenheit, die dazu führte, selbst aktiv zu werden.“

Der Keim seines Protestes jedoch wurde Sykorra schon viel früher eingepflanzt. Zu den Unterstützern der Aktionsgemeinschaft A31 zählte damals auch der Dellwiger Arzt Clemens Schmeck, der Vorsitzende der bereits 1962 gegründeten ersten großen bundesweit agierenden „Interessengemeinschaft gegen Luftverschmutzung“. Ein Pionier des Umweltschutzes, wenn man so will. „Clemens Schmeck hatte ich bereits als Schüler im Borbecker Gymnasium gehört, als er dort referierte“, sagt Sykorra. „Das war sicherlich ein Schlüsselerlebnis für mich.“

Die Geschichte vom "Ostfriesenspieß"

Wolfgang Sykorra selbst kehrte nach dem Studium an das Borbecker Gymnasium zurück, wo er in den Jahren von 1974 bis 1981 unterrichtete, bevor er mit 36 Jahren zum Gymnasium Überuhr wechselte. 1984 führte ihn sein Beruf dann ans Max-Planck-Gymnasium in Duisburg, bevor er im Jahr 1987 das Amt als Schulleiter am Gymnasium Borbeck übernahm. „Aus gesundheitlichen Gründen bin ich dann 2006 aus dem Schuldienst ausgeschieden.“

Trotzdem fand Sykorra die Zeit, sich für den Umweltschutz zu engagieren. Zu gravierend erschienen ihm die negativen Konsequenzen, die der Bau der Autobahn 31, der so genannte „Ostfriesenspieß“, für den Regionalen Grünzug B gehabt hätte. Der ungewöhnliche Name geht auf die Aktivitäten der Aktionsgruppe zurück: Bei einer Protestveranstaltung im Hexbachtal wurde ein Flugblatt des Werdener Architekten Horst Leiermann ausgelegt, das den geplanten Verlauf der Autobahn aufzeichnete und dabei die anliegenden Naherholungsgebiete so darstellte, als würden sie wie Fleischstückchen aufgespießt. „Erstmals erwähnt wurde der Name „Ostfriesenspieß“ dann in den Borbecker Nachrichten, die es heute aber nicht mehr gibt“, sagt Sykorra.

Das Ruhrgebiet galt als der Schwerpunkt des Protestes

Als Sykorra 1973 zur Aktionsgruppe A31 stieß, war die Gruppe bereits aktiv. „Ich besuchte damals eine ihrer Veranstaltungen im Hexbachtal und bin dabei geblieben. Es gab keine formelle Aufnahme.“ Aber es gab jede Menge zu tun und so setzte Sykorra bald selbst Akzente. „In Mettmann im Bergischen Land habe ich dann selbst eine Veranstaltung wie diese geleitet.“

Überhaupt galt das Ruhrgebiet als ein Schwerpunkt der Protestbewegung. Besonders in den großen Anrainer-Kommunen Mülheim und Essen. Beide Kommunen - und somit auch Borbeck - wurden zu einer der Wiegen des „außerparlamentarischen und -behördlichen“ Umweltschutzes, wie es in der Ausstellung des Ruhrmuseums bezeichnet wird.

In Borbeck waren damals neben Wolfgang Sykorra auch Friedrich Kunze, Hildegard Münstermann und Rolf Roskothen aus Bedingrade aktiv. Nicht zu vergessen auch Horst Pomp, damals Chef der Gynäkologie am Borbecker Bethesda-Krankenhaus, der neben Horst Leiermann im Wissenschaftlichen Beirat saß. Doch auch Karl-Heinz Jäger und Dietmar Matzke (beide Haarzopf) sowie Heinrich Weinrich aus Essen-Werden sollten nicht unerwähnt bleiben.

Bis heute für den Umweltschutz aktiv

Ein Zeitungsausschnitt in den Borbecker Nachrichten aus dem Jahr 2001 zeigt die Umweltschützer bei einem Treffen im Hexbachtal. „Da war Rolf Roskothen leider schon verstorben“, erinnert sich Sykorra, der gemeinsam mit Klaus Scholz und Wolfgang Görnert am Treffen teilnahm. „Die Zeit hat die Aktivisten auseinander dividiert“, sagt Sykorra. „Ich bin wohl der letzte aus diesem Kreis, der immer noch in Sachen Umweltschutz aktiv ist. Ich war eben damals einer der Jüngsten.“

Den Regionalen Grünzug verfolgt er auch heute noch aufmerksam. Denn mit der Aufgabe der Autobahnplanung waren die Gefahren für den Naturraum längst nicht vorbei. Postverteilungszentrum, Justizvollzugsanstalt, Umspannwerke, Deponie oder vor allem Gewerbegebiete haben die Siepentäler bis in die jüngste Vergangenheit immer wieder bedroht, die Gefahren mussten also immer wieder abgewehrt werden. So plante Mülheim beispielsweise einen Gewerbepark, der weit in den Grünzug hineingereicht hätte. „Die Planer sprachen von 46 Hektar. Das ist so groß wie der gesamte Borbecker Schlosspark“, rechnet Sykorra vor.

Er selbst ist noch immer in der Bürgerinitiative „Rettet die Schönebecker Grünflächen“ aktiv, die 2019 gegründet wurde. „Im Moment herrscht Ruhe, unsere Ziele sind erreicht. Doch wir haben natürlich ein waches Auge auf den neu gewählten Stadtrat. Wir schauen, welche Signale von dort aus künftig gesendet werden.“

Gedenktafel erinnert an den Sieg der Aktionsgruppe A31

An die Aktivitäten der „Aktionsgemeinschaft 31“ erinnert eine Gedenktafel: „Liebe Mitbürger, hier sollte eine Autobahn die Landschaft zerstören. 31 Bürgerinitiativen von Bottrop bis Siegburg haben das verhindert. Helfen Sie mit, dass uns hier und anderswo auch in Zukunft die Natur erhalten bleibt (1973-1982.)“ Nicht nur diese Tafel, sondern auch die Borbecker Bemühungen für den Umweltschutz veranschaulicht ein umfangreicher Bild- und Textband des Ruhrmuseums.

Großer Bild- und Textband zur Ausstellung im Ruhrmuseum

Alle, die nicht auf die Öffnung der Ausstellung warten wollen, können den Band bereits jetzt erwerben. Heinrich Theodor Grütter und Frank Kerner (Herausgeber): „100 Jahre Ruhrgebiet. Die andere Metropole“. Klartext Verlag: Essen 2020, 304 Seiten, Ladenpreis 29,95 Euro