Essen. Die Caritas hat ein UNHCR-Zelt wie im Lager Moria in der Essener Innenstadt aufgestellt. Die Besucher können mit Flüchtlingen sprechen.

Christoph Zenses zeigt ein Foto auf seinem Smartphone. Es zeigt große, weiße UNHCR-Zelte, die wie Inseln in einer riesigen, schlammigen Lache stehen. Das Bild ist am Morgen im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos entstanden. In der Nacht zuvor hat es unwetterartige Regenfälle gegeben. Das Lager ist überschwemmt. Zenses ist Arzt und war schon häufig in Moria 2 und dem Vorgängerlager. „Die Zustände dort sind katastrophal“, sagt er.

Zenses steht am Samstagmittag auf dem Burgplatz in Essen ebenfalls vor einem weißen UNHCR-Zelt. Auch das steht im Wasser und im Dreck. Ein karierter Schal, Kinderhosen und ein Pullover hängen auf der Zeltleine zum Trocknen. In Essen nieselt es leicht, das Thermometer zeigt fünf Grad. Doch im Gegensatz zu Zenses Foto ist die Lagerkulisse hier künstlich entstanden. Es ist eine Aktion der Caritas und der Initiative „Ein Herz für Moria“, die mit dem Zelt auf die Situation der Menschen in dem Flüchtlingslager aufmerksam machen wollen.

Caritas muss wegen AfD-Gegendemo auf den Burgplatz umziehen

Im Inneren des Zeltes liegen drei Schlafsäcke auf Europaletten, gegenüber stehen drei schmale Feldbetten. Mülltüten und leere Plastikflaschen liegen auf dem Boden. Socken, Hosen, Jacken hängen auch hier an den Zeltstäben. An der Rückwand des Zeltes laufen bewegte Bilder, die live aus dem Lager in Moria nach Essen übertragen werden. Große braune Kinderaugen blicken durch die Kamera, eine Frau mit einem Kopftuch.

Eigentlich sollte das Zelt an der Marktkirche mitten im weihnachtlichen Wohlstands-Trubel zwischen Bratwurstbude und dem Verkaufsstand mit Maronen und Süßkram stehen. Doch weil im Rücken der Marktkirche eine Gegendemo zur AfD genehmigt wurde, musste die Caritas kurzerhand umziehen.

Caritasdirektor Björn Enno Hermans, Bischof Franz Overbeck und Sozialdezernent Peter Renzel (v.l.) vor dem Flüchtlingszelt auf dem Burgplatz.
Caritasdirektor Björn Enno Hermans, Bischof Franz Overbeck und Sozialdezernent Peter Renzel (v.l.) vor dem Flüchtlingszelt auf dem Burgplatz. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Auf dem Burgplatz ist das Zelt freilich deutlich weniger präsent. Bis zum Mittag sind es erst wenige Besucher, die sich für die Aktion interessieren. „Die Menschen haben derzeit offenbar andere Sorgen“, sagt Thomas Sterner aus Altenessen, der in die Innenstadt gekommen ist. Seine Worte passen fast sinnbildlich zu den Arbeiten nebenan: Dort wird gerade das große Riesenrad wieder abgebaut, das sich dieses Jahr wegen Corona nicht mehr drehen wird.

Thomas Sterner selbst hat mitten in der Flüchtlingskrise die Flüchtlingsunterkunft in der Erbslöhstraße besucht. Das sei schon schlimm gewesen, aber Moria sei eine „humanitäre Katastrophe“, meint er. In der Erbslöhstraße hätten die Flüchtlinge wenigstens eine Heizung und regelmäßig dreimal am Tag Essen gehabt. In Moria, so berichtet es der Mediziner Zenses, frieren die Menschen. Nachts gehe es derzeit an die null Grad, eine Heizung gebe es nicht. Die Menschen waschen sich im Meer und bekommen eine Mahlzeit am Tag.

Mediziner: Zeltkulisse zeigt wahre Lage nicht im Ansatz

Verharmlost das Zelt in der Essener Innenstadt die wahren Zustände nicht sogar? Zenses, der von der Initiative „Solingen hilft“ kommt, räumt ein, dass das Zelt auf dem Burgplatz die Lage nicht annähernd wiedergibt. „Das ist noch viel zu harmlos. Aber man kann das natürlich nicht 1:1 zeigen“, meint er. Aber das Zelt, der Schlamm, die klammen Schlafsäcke sollen die Menschen aufrütteln.

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Wendy Nikolaizik verlässt das Zelt berührt. Sie konnte mit einer afghanischen Familie aus dem Lager kurz sprechen. Eine Dolmetscherin hat ihre Fragen übersetzt. Auf einem kleinen Monitor werden die Bilder und Worte übertragen. Die Familie lebt seit 14 Monaten in Moria. „Sie haben mir gesagt, dass sie keine Hoffnung mehr haben, dass sich etwas an ihrer Lage ändert. Sie seien geflohen, weil sie in Frieden leben und für ihre Kinder ein besseres Leben haben wollen. „Wenn ich höre, dass die Menschen die Hoffnung aufgegeben haben, dann macht mich das sehr traurig aber auch wütend“, sagt die 24-Jährige. Wütend, weil Europa, die Politik, eine solche Katastrophe zulasse.

Caritas fordert schnelle Hilfe für die Menschen in Moria

Hintergrund der Aktion ist die Konferenz der Innenminister der EU-Mitgliedsstaaten am Montag. Es ist die letzte, die unter deutscher Ratspräsidentschaft stattfindet. Dort soll über das „Migrations- und Asylpaket“ gesprochen werden. „Hier muss nun endlich im Sinne der Menschen gehandelt werden“, fordert die Caritas. Nach dem verheerenden Brand in Moria soll bis September ein neues Lager gebaut werden. „Man kann aber nicht bis dahin warten. Jetzt kommt der Winter. Und deshalb brauchen die Menschen schnell eine Lösung“, fordert Caritas-Direktor Björn Enno Hermans.

Die Caritas und die Initiative „Ein Herz für Moria“ versuchen seit Monaten mit Geld- und Sachspenden die Lage der Menschen vor Ort wenigstens ein bisschen zu verbessern. „Wir sind auch weiterhin auf Spenden angewiesen“, wirbt Hermans.