Essen-Schonnebeck. Der allererste Aldi entstand vor über 100 Jahren in Essen-Schonnebeck. Das ist nun Geschichte. Zum Abschied schwelgten viele in Erinnerungen.

Drei Schaufenster in einer rot-braunen Klinkerfassade und ein schmaler Eingang: Wer die Aldi-Filiale an der Huestraße 89 in Schonnebeck vorher nicht kannte, hätte sie leicht übersehen können. Nur das blau-weiße Firmenlogo macht deutlich: Hier gibt es Butter, Kaffee, Mehl, Milch und Zucker. Und all die anderen preisgünstigen Nahrungsmittel, mit deren Verkauf das Brüderpaar Theo und Karl Albrecht einen Weltkonzern schuf. Um 16 Uhr ist hier Schicht am Samstag. Der erste und älteste Aldi-Laden schloss am 28. November.

Im schlichten Mehrfamilienhaus – in der Beletage, einen Stock über dem Geschäft – kamen die berühmten Geschäftsmänner vor rund 100 Jahren zur Welt: 1920 Karl und 1922 Theodor Paul Albrecht. Der Tante-Emma-Laden, vom Konzern intern „Markt Nummer eins“ oder „Aldi 1“ genannt, ist sozusagen das große „A“ in der Chronik der Discount-Riesen von Nord und Süd. Eröffnet im Jahr 1919 als „Kaufhaus für Lebensmittel Karl Albrecht“. In Schonnebeck , einem Stadtteil mit Bergbautradition und einem Namen, der sich von „schöner Bach“ (=schöne Becke“) ableitet.

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Nostalgie-Aldi in Essen ist in die Jahre gekommen

 So sah es in den 30er Jahren an der Huestraße aus.
 So sah es in den 30er Jahren an der Huestraße aus. © Aldi-Nord

Der Vater von Theo und Karl ist gelernter Bäcker, handelt später mit Brot. 1946, nach dem Zweiten Weltkrieg, übernehmen die Söhne den elterlichen Betrieb. Schnell kommt eine Filiale hinzu, 1950 ist bereits eine Kette mit 31 Geschäften im Besitz der Albrecht-Brüder.

Schlicht wie das Äußere ist das Interieur des Schonnebecker Nostalgie-Aldi . Die sichtlich in die Jahre gekommen Einkaufswagen verschiedener Bautypen lassen sich nicht ineinanderschieben. Auch das sorgt für Gesprächsstoff vor der schmalen Ladentür. Wie die Firmengeschichte. Die Albrecht-Söhne – kreuzbrav, konservativ, katholisch – sind den meisten ein Begriff, die heute noch einmal das Stammhaus besuchen.

Auf dem Boden verlegt sind diese typischen weißen Quadratfliesen mit dem grau-schwarzen Konfettimuster. Wer kennt sie nicht? Rote Etiketten und Schilder signalisieren Schnäppchen in einem Drahtkorb im Gang ganz links. Chipstüten, Mini-Salamis und sechseckige Geschenkboxen mit 225 Gramm Schokotäfelchen. Vollmilch und Edelbitter liegen da im wilden Mix. Mit dem Aufdruck „Frohes Fest“ könnten sie noch unterm Tannenbaum landen.

Ein paar Meter weiter verengt ein Turm von zwölf aufeinander gestapelten Europaletten den ohnehin schon schmalen Gang des 500-Quadratmeter-Ur-Aldi. Die Tiefkühltruhen sind leer gefegt in der letzten Stunde vor der offiziellen Schließung.

Klopapier und Nudeln: Frank Berger zeigt seinen Einkaufszettel.
Klopapier und Nudeln: Frank Berger zeigt seinen Einkaufszettel. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Gourmet-Öl mit Gewürzen, Balsamico-Creme und Fischkonserven suchen noch Käufer. Was übrig ist, wird später eingepackt, wie der Bohneneintopf und Tomaten in großen Dosen. Eine umfangreiche Retoure kurz vor dem finalen Kassenschluss verlangt von den Kunden eine letzte Geduldsprobe im Kassenbereich.

Aber heute haben alle Zeit: Die wartende Schlange rückt einfach eine Reihe weiter. An der Tür schaut sich mancher noch einmal um. Letzte Blicke in den alten Laden. Bis unter beide Arme bepackt, tritt Frank Berger auf den Bürgersteig. Reporter-Glück!

Essener erinnern sich an Aldi-Erlebnisse

Der 51-Jährige strahlt übers ganze Gesicht. Ergattert hat er eine Packung „Kokett 4-lagig“. Acht Rollen à 200 Blatt. „Und das im ältesten Aldi Deutschlands. Im Corona-Jahr “, sagt er stolz. Und toppt das Ganze, indem er zwei Packungen Spaghetti aus der Jacke zieht. Die Klassik-Hamster-Kombi 2020: Klopapier und Nudeln. Drei Artikel für 3,52 Euro. Wie eine Trophäe hält der Haarzopfer den weißen Kassenbon in die Kamera. „Den werde ich mir einrahmen“, verrät der Lehrer.

Das Zeitungsfoto gibt`s dazu, versprochen. Als Student habe er Nachhilfe gegeben. „Die Oma eines Schülers war hier im Nachbarhaus aufgewachsen und mit einem der Gründer in die Schule gegangen“, berichtet er. Für ihn als gebürtigen Essener seien „Karstadt, Krupp und natürlich Aldi spannende Unternehmen.“ Der letzte Einkauf war für Berger quasi Ehrensache.

Petra Stegemann zieht es zum Abschied gegen 15.20 Uhr noch einmal zur Huestraße . Die Schonnebeckerin hofft auf Schnäppchen. „Mit meiner Mutter habe ich bereits hier eingekauft“, erzählt die 57-Jährige. Aus der Kindheit ist ihr die frühere Holzausstattung in Erinnerung. Ihre Tochter Jennifer (29) hat hier als Mädchen kleine Besorgungen getätigt, hüpfte mit ein paar Mark und Liste durch die Gänge.

Mit leeren Händen kommt Mario Del Vecchio heraus. „Nichts gekauft?“ – „Nein“, lautet die Antwort. „Milch war schon aus.“ Für die sei er nach Schonnebeck gefahren, aus alter Verbundenheit. Mit so viel Auflauf hat der Essener nicht gerechnet: Journalisten aus Essen und ganz NRW stehen mit Mikrofonen, TV- oder Digitalkameras auf der Straße bereit. Alle möchten die letzten Minuten des Ladens an der Huestraße dokumentieren.

Gefragtester Mann ist Norbert Scholz (52). Doch der Markt-Chef hält sich im Hintergrund. Seit 30 Jahren für den Discounter tätig, hat er im Vorfeld ein offizielles Statement zur Schließung abgegeben. Bereits sein Vater Günter, gelernter Metzger, hatte den „Aldi 1“ geleitet, zu Beginn der 1970er. „Es ist wirklich schade“, so der O-Ton aus der Marketingabteilung, „dass wir diesen Standort aufgeben, aber wir sind hier einfach zu klein und haben keinen Platz für neue Produkte.“ Ein großer Trost für Scholz und sein Team: Kein Mitarbeiter soll seine Arbeit verlieren, so Aldi-Nord-Sprecher Axel vom Schemm auf Nachfrage.

Eine Aufnahme aus dem Jahr 1971: Das Aldi-Geschäft in Schonnebeck.
Eine Aufnahme aus dem Jahr 1971: Das Aldi-Geschäft in Schonnebeck. © WAZ FotoPool | KINGLER-BUSSHOFF, Marga

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