Essen. Essen: OB Kufen steht zum städtischen Melde-Portal für Corona-Verstöße, kündigt aber juristische Prüfung an. Kubicki lehnt Entschuldigung ab.
Oberbürgermeister Thomas Kufen hat die Vorwürfe von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki zum Melde-Portal der Stadt Essen als „Talkshow-Gequatsche“ zurückgewiesen. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende hatte am Dienstag im Netzwerk Facebook von „chinesischen Verhältnissen“ gesprochen und die Möglichkeit von Bürgern, in Essen Corona-Verstöße an die Stadt zu melden, mit den Spitzel-Praktiken in totalitären Staaten verglichen.
Kufen: Es war nie unsere Absicht, das Denunziantentum zu fördern
Kufen zufolge sei es nie Absicht gewesen, das Denunziantentum zu fördern. Vielmehr habe man seit Beginn der Corona-Pandemie Anrufe von Bürgern erhalten, die sich über Verstöße beklagten. „Es ging darum, diese Hinweise mit Hilfe des Internets zu kanalisieren.“ Dazu stehe er.
Der OB will aber prüfen lassen, ob Kubicki bei einigen rechtlichen Bedenken womöglich richtig liegt. So erlaubt das Melde-Portal, Fotos von vermeintlichen oder tatsächlichen Delinquenten hochzuladen und diese an die Stadt zu senden. Kubicki hält dies für ungesetzlich und führt zum Beleg ein Urteil des Landgerichts Bonn aus dem Jahr 2015 an.
Kubicki moniert vor allem die Möglichkeit, Fotos an die Stadt zu senden
„Die behördliche Ermunterung an Private, andere zu filmen oder zu fotografieren, steht nicht mehr auf dem Boden unserer freiheitlichen Grundordnung“, erklärte Kubicki, der selbst Jurist ist, am Mittwoch auf Nachfrage dieser Zeitung. Dies könne für die Fotografierenden „zivilrechtliche Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche nach sich ziehen“.
Man nehme Hinweise auch dann entgegen, wenn sie in einem unsachlichen Umfeld ausgesprochen würden, kommentiert dies der OB. Auch das Thema Anonymität will Kufen prüfen lassen. Das Portal erlaubt es, Anschuldigungen und Beobachtungen ohne Nennung des Namens vorzubringen. Bei den Diskussionen im Internet über das Melde-Portal wurde dieser Punkt ebenfalls stark kritisiert.
Im Kern will der OB aber nichts an dem Portal ändern. „Ich sehe uns zu Unrecht am Pranger.“ Jede Regel brauche Kontrolle, die Stadt werde die Hinweise verantwortlich und ohne Übereifer prüfen. „Wenn wir den Hinweis bekommen, dass in einem Restaurant niemand Maske trägt oder die Tische zu nah stehen, dann gehen wir dem nach.“ Lappalien werde man aber sicherlich nicht verfolgen.
Bundestagsvizepräsident nimmt Vergleiche mit Diktaturen nicht zurück
Keinen Grund, von seinen Aussagen abzuweichen, sieht auch Wolfgang Kubicki. Seine Vergleiche mit Diktaturen nimmt er nicht zurück, und eine Entschuldigung, wie von Stadtdirektor Peter Renzel verlangt, ist offenbar ebenfalls kein Thema: „Ich habe nichts zurückzunehmen. Es ist aus meiner Sicht unverantwortlich, dass sich einige Behörden nicht mehr an Recht und Gesetz gebunden fühlen“, so der Bundestagsvizepräsident.
Rückendeckung bekommen Kubicki und andere Kritiker von den Essener Grünen: „Behörden sollten niemanden einladen, andere zu denunzieren. Denn Falschmeldungen und Willkür sind kaum auszuschließen“, heißt es in einer Erklärung der Parteivorsitzenden Kai Gehring und Gönül Eğlence. Ob die Mitarbeiter des Ordnungsamts durch das Portal entlasten würden, bleibe zweifelhaft. „Die Stadtverwaltung sollte die breite Kritik ernstnehmen und das Meldeportal daher besser abschalten.“