Essen-Rüttenscheid. Das Laienorchester Ruhrsound ist wegen Corona in finanzielle Schieflage geraten. Nun fürchten die Musiker um den Fortbestand ihres Vereins.
„Musik bewegt, verbindet und bringt Freude“: So titelt der Internetauftritt des Ruhr-Sound-Orchesters. Doch die Freude hält sich bei den Musikern derzeit in Grenzen, denn die Corona-Pandemie hat ihren Übungsplan ziemlich durcheinander gewirbelt – und auch die Vereinskasse.
Das Ruhr-Sound-Orchester wurde vor zehn Jahren von einer Handvoll engagierter Musiker in Rüttenscheid gegründet. Seitdem hat es sich zu einem der größten Laienorchester Essens gemausert. „Bis zu 50 Blasinstrumente begleiten unser Schlagzeug“, sagt Michael van de Löcht, der Musikalische Leiter des Ensembles.
Normalerweise probt und spielt das Orchester in der Rüttenscheider Reformationskirche an der Julienstraße. „Doch unser Proberaum wurde wegen Corona erst am 1. September wieder freigegeben. Deshalb haben wir uns seit den Osterferien bis Ende August mit Open-Air-Proben beholfen.“
Die Suche nach einem geeigneten Platz zum Proben war beschwerlich
Das war jedoch längst nicht so einfach, wie es klingt. Schließlich sei dies nur auf eingezäuntem Privatgelände erlaubt, erfuhren die Musiker. Auf der städtischen Sportanlage Schillerwiese wurde man endlich fündig. „Ein Anruf beim Platzwart reichte“, erinnert sich Michael van de Löcht. „Das hätte ich mir schwieriger vorgestellt. Er sagte, solange wir keinen Dreck machen, sei das kein Problem.“
Geprobt wurde fortan auf dem Dach der Umkleidekabinen, eine riesige Asphaltdecke, die genügend Platz zum Abstand halten bot. „Einmal haben zeitgleich die Judoka des PSV und eine Yoga-Gruppe auf dem Rasen trainiert“, sagt der Orchesterleiter. „Für die haben wir dann etwas von den Bluesbrothers gespielt. Das sei angesichts der schwierigen Lage sogar eine lustige Erfahrung für alle gewesen.“
Weniger lustig war da eine Probe im August. „Wie hatten gerade alle unsere Instrumente aufgebaut, da platzte ein ordentliches Sommergewitter dazwischen.“ Am nächsten Tag durfte van de Löcht alle Notenpapiere neu kopieren, „weil die komplett durchgeweicht waren.“
Doch auch seit die Musiker wieder am angestammten Ort proben, gestaltet sich der Orchester-Alltag schwierig. Normalerweise spielen bis zu 50 Musiker gemeinsam im Saal der Reformationskirche, doch anfangs durften nur 24 Musiker zeitgleich rein. Mittlerweile sind es 33. „Deshalb sind wir gezwungen, aktuell immer in zwei Gruppen, eine mittwochs, die andere freitags, zu proben, obwohl der riesige Saal locker Platz für alle hätte – trotz Abstandsregel.
Manche Musiker sehen sich wegen der Corona-Krise wochenlang nicht
Schlimmer als das: „Das Emotionale geht dabei ziemlich verloren“, hadert Michael van de Löcht. „Wegen Corona sehen sich manche unserer 54 Mitglieder oft wochenlang nicht. Das ist schon bitter, weil sich im Laufe der Jahre eine echte Gemeinschaft gebildet hat.“ Da seien Freundschaften und sogar Ehen entstanden, obwohl die Musiker aus Essen, Bochum, Duisburg und sogar von der holländischen Grenze kommen.
Das alles wäre zu verkraften, ginge nicht langsam, aber sicher die Existenzangst im Kreis der Musikanten um. Der gemeinnützige Verein, bei 30 Euro Beitrag pro Kopf und Jahr ohnehin nicht auf Rosen gebettet, pfeift finanziell aus dem letzten Loch. Zwar steuert der Essener Stadtverband jährlich einen niedrigen vierstelligen Zuschuss für Kinder und Jugendliche bis 27 Jahren, doch den Löwenanteil der Einnahmen generierte das Orchester durch Auftritte.
Orchester bestreitet im Jahr bis zu 45 Auftritte
„Im Jahr stehen wir normalerweise bis zu 45 Mal auf der Bühne“, rechnet Michael van de Löcht vor. „Zwar sei man immer ohne Gage aufgetreten, habe aber von Spenden der zahlreichen Besucher profitiert. „Damit sind wir bislang immer sehr gut gefahren.“ Beim letzten Neujahrskonzert in der Reformationskirche standen die Zuhörer bis draußen vor der Tür; einige gingen bedauerlicherweise leer aus, weil kein Platz mehr in der Kirche war.
Die freiwilligen Spenden sind dringend nötig: „Unsere Fixkosten für Dirigenten, Ausbilder, Versicherung für den Orchester-Anhänger plus Haftpflicht sowie ein Beitrag an die Gemeinde für die Proben liegen bei rund 6000 Euro im Jahr.“
Zwar besitzen die meisten Musiker eigene Instrumente, aber auch sporadische Neuanschaffungen sind teuer. So kostet ein Saxophon 1500 Euro, ein Susaphon gar 5000 Euro, „aber das ist bei uns ein 50 Jahre alter Oldie von hoher Qualität“, sagt der Musikalische Leiter. Alles in allem habe die Corona-Krise bislang knapp 11.000 Euro gekostet.
Das Orchester lebt von seinen Reserven
„Wenn wir in den vergangenen zwei Jahren nicht so viel gespart hätten, wären wir schon am Ende.“ Von den Rücklagen wollte das Orchester in diesem Jahr eigentlich für drei Tage und mit 60 Personen an den Bodensee reisen, um auf einem Festival zu spielen, doch wegen der Pandemie sind diese Pläne geplatzt wie Seifenblasen. „Gemeinsam mit einem befreundeten Fanfarenzug aus Friedrichshafen hatten wir alle Jugendherbergen schon gebucht, mussten dann alles stornieren.“ Die Enttäuschung sei riesig, „denn genau von solchen emotionalen Gruppenerlebnissen lebt unser Verein.“
Wenn es einmal schlecht läuft, dann kommt alles zusammen. Nach langer Pause ergab sich nun kurzfristig wieder einmal die Chance für einen öffentlichen Auftritt. Wenn auch an einem ungewöhnlichen Ort. Auf der Fahrfläche eines Autoscooters in Oberhausen, der auf der Pop-Up-Kirmes steht. „Der Besitzer des Fahrgeschäfts war Feuer und Flamme“, versichert Michael van den Löcht. Die Stadt Oberhausen spielte jedoch nicht mit und gab keine Erlaubnis. Kurioserweise nicht etwa wegen Corona, sondern wegen „Lärmschutz auf einer Kirmes“, so die offizielle Begründung.
Musikalischer Leiter: „Stadt muss sich mehr um Vereine wie diese kümmern.“
Was Michael van de Löcht nun fordert: Die Stadt muss sich Gedanken machen. Da sind wir im Moment total enttäuscht. Und eine direkte Anlaufstelle gibt es für Vereine wie uns nicht. Da wurde uns keine Hilfe angeboten.“ Auch nicht von Seiten der Bezirksvertretung. „Als wir dort einen Zuschuss für die Generalüberholung des Susaphons brauchten, sagte man uns: Dafür sind wir nicht zuständig. Aber selbst Karnevalisten bekommen Geld für den Erhalt des Brauchtums.“ Das ist für einen Stadtteil wie Rüttenscheid, der kulturell bewandert ist, schon traurig.“
Die Stadt müsse sich mehr um Vereine wie das Orchester kümmern, das ja auch eine gesellschaftliche Aufgabe erfülle, denn jeder sei hier willkommen, ungeachtet der Migration und des Könnens. „Es geht um das gemeinschaftliche Erlebnis“, erklärt Michael van de Löcht und malt ein düsteres Szenario: „Bis Mitte 2021 halten wir noch durch mit unseren Reserven, dann erklingt hier der Schlussakkord.“