Essener Norden. Das zweite Kunstspur-Wochenende in Essen lockt in den Norden und Osten der Stadt. Trotz der Nähe zur Uni: Studenten sieht man selten.

136 Ateliers und Ateliergemeinschaften mit 318 Künstlern sind bei der nunmehr 22. „Kunstspur“ dabei. Zuviel für ein Wochenende, so gibt es nach dem ersten Teil in der vergangenen Woche einen zweiten. Auch hier senkt Corona die Besucherzahlen.

Weniger schick, aber nicht minder interessant, präsentieren sich lokale Kunstwerkstätten am Samstag und Sonntag im Norden und Osten der Stadt. Die Hemmschwelle für Besucher liegt in Hinterhöfen oder inmitten von Industriekultur niedriger, vermuten einige Aussteller. Was die Ateliergemeinschaften oder Einzelkünstler jedoch alle bedauern: Kunststudenten sind selten unter den Kunstspur-Gästen. Dabei wünschen sich viele Etablierte mehr Kontakt und einen kreativen Austausch mit den Jungen.

Im Schatten des Doppelbocks wird viel experimentiert

Halle 12, im Schatten des Doppelbocks, ist den Mitgliedern der Arka-Kulturwerkstatt seit 1994 künstlerische Heimat. „Beim Umzug gab es uns schon 17 Jahre“, sagt Ilse Straeter. Die freischaffende Künstlerin freut sich über das Interesse zur „Kunstspur“ am anderen Ende der Stadt. Die Gäste rekrutieren sich vor allem aus Besuchern des Ruhr Museums. Sie schauen im Anschluss gern vorbei. Doch auch zum bloßen Ateliergucken zieht es Menschen in die Kunsträume.

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Viele Jahre hat Straeter als Grafik-Designerin gearbeitet, sie lebt im Essener Süden und hat ein Atelier an der Girardetstraße. Zollverein ist für die Künstlerin und die anderen Arka-Ehrenamtlichen ein kreativer Ort. Hier geben Michael Siewert, Herbert Siemandel-Feldmann, Christoph Lörler und weitere, meist studierte Künstler, Workshops und Kurse für Laien. Es gibt eine Druckwerkstatt, es wird regelmäßig gemalt, gezeichnet und mit verschiedenen Materialien experimentiert.

Die Kulturwerkstatt ist eine attraktive Spielwiese

„Über Nachwuchs würden wir uns freuen“, sagt Siemandel-Feldmann. An Ausstellungen seien die Studenten auf dem Campus zwar interessiert. Doch Helfer für die Kulturwerkstatt hätten sich leider trotz der Nachbarschaft auf dem Weltkulturerbe-Areal kaum gefunden, so der 66-jährige Kunstpädagoge, seit 2016 an der Arka. In Bredeney hat er eine Galerie, zur „Kunstspur“ zeigt er in Werkstattatmosphäre Tier-Motive: Drucke ursprünglicher Kohle-Zeichnungen. 50 Elefanten, Geparden, Löwen, Schimpansen, Tiger und Zebras – eine Hommage auf Afrikas bedrohte Tierwelten.

Eine Hommage an Afrikas bedrohte Tierwelten sind die Zeichnungen von Herbert Siemandel-Feldmann.
Eine Hommage an Afrikas bedrohte Tierwelten sind die Zeichnungen von Herbert Siemandel-Feldmann. © FFS | Julia Tillmann

„Studenten sind hier relativ unsichtbar“, meint Christof Lörler, ebenfalls Arka-Mitglied. Seine Sparte ist die Fotografie. Studiert hat er etwas anderes: Philosophie. Eine Verbindung, die ihm gefällt. „Der erste neugierige Blick macht vielleicht sehend, bei genauerem Hinsehen und der Nutzung vielfältiger Perspektiven blitzt möglicherweise Verstehen auf. Am Ende aber bleibt immer das rätselhaft Ungewisse...“, so Lörlers Motto. Die Arka-Kulturwerkstatt sei eine attraktive Spielwiese, um Neues auszuprobieren.

Täglich kommen Leute zu Besuch – nur leider selten junges Publikum

Thomas Mack zeigt er in seiner Werkstatt in der Passage von Halle 12 ein beachtliches Spektrum von Radierungen, Aquarellen, Kalligrafien und Fotofrottagen. 1953 in Stuttgart geboren, hatte es ihn 1972 bis 1980 zum Designstudium an die Essener Folkwang Universität gezogen. Seit 2001 arbeitet er im offenen Atelier auf Zollverein. „Wir leben hier lebendige Kultur. Es kommen täglich Leute, die sich umschauen.“ Studenten leider selten. Aber eine junge Frau aus China ist ihm in Erinnerung geblieben. „Sie kannte sich bestens aus, sogar mit mittlerweile seltenen Drucktechniken wie Aquatinta-Radierungen.“

Mit Hilfe eines sehr präzisen 3D-Scanverfahrens digitaler Bildbearbeitung und eines besonderen Druckverfahrens experimentiert Mack an großformatigen Bildern, die eigentlich keine sind. Zumindest nach herkömmlichen Maßstäben. „Der Scanner erweitert unsere Sichtweise. Er betrachtet das Gemälde quasi als Gebirge.“ Zweimeterzehn mal zweimeterzwanzig misst „Incognita I“, ein Werk der Extraklasse. „10.000 Euro hat allein die Herstellung gekostet“, so der Künstler. Ein fließendes Farbenmeer.

Studium ist keine Voraussetzung für künstlerische Arbeit

Kunst macht einen Bruchteil der Kreativen berühmt und erfolgreich. Mack ist einer der wenigen, die von der Kunst leben können. „Seit 2005“, sagt er. Aber die Anfänge als Künstler hat er nicht vergessen. „Der Dekan stellte sehr hohe Ansprüche an uns. Täglich um 16 Uhr mussten wir die Ergebnisse der Malklasse vorstellen. Mit Kritik war der Professor nicht sparsam“, erinnert sich Mack. Doch diese Strenge habe ihn gelehrt, sich stets zu hinterfragen. „Zufriedenheit ist der Tod der Kunst“, betont Mack. Ein Künstler brauche Fleiß und einen kreativen Ideenfluss aus dem Inneren. „Das vermag oft mehr als ein Studium.“

Künstler öffnen ihre Ateliers

Die „Kunstspur“ im Essener Norden und Osten bietet auch am heutigen Sonntag, 27. September, noch Gelegenheit für viele Einblicke. Ein Flyer mit teilnehmenden Ateliers ist im Internet unter https://essen.de/leben/kultur_/kunstspur/kunstspur.de.html zu finden.

Bereits zum 22. Mal in Folge öffnen im Jahr 2020 Künstler ihre Räume und stellen sich und ihre Arbeit dem breiten Publikum vor. Die „Kunstspur“ bietet einen guten Überblick über das breite Spektrum der Essener Künstlerszene.

Wie zum Beweis: Sein früherer Professor habe einmal einen Bauarbeiter in den Zeichensaal gebeten. „Der Mann hatte sich beim Akt-Kurs die Nase an der Scheibe platt gedrückt.“ Das Experiment glückte. Der Arbeiter zeichnete das Modell. Und gar nicht schlecht.

Die Nähe zur Uni scheint im Übrigen nicht unbedingt ausschlaggebend: Im Krayer Hinterhof-Atelier Am Bocklerbaum begrüßen Karin Brosa und Robert Matthes immerhin zwei Studenten zur „Kunstspur“. Brosa kennt beide aus ihrer Zeit als Dozentin. Auf 60 Quadratmetern präsentiert das Künstler-Paar Gemälde, Druckgrafiken und Radierungen. Über mehr junges Publikum würden auch sie sich freuen: studiert oder nicht.

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