Essen. Ein wegen Missbrauchs vorbestrafter Priester kehrt nach 40 Jahren in sein Heimatbistum Essen zurück. Hier lebt er unter kirchlicher Aufsicht.
Nach 40 Jahren ist Priester Peter H. in diesem Jahr in sein Heimatbistum Essen zurückgekehrt. Der 72-Jährige ist wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger vorbestraft und offenbar immer wieder rückfällig geworden – unter den Augen der Kirche. Nun will man endlich genauer hinsehen und hat den Geistlichen unter Aufsicht gestellt. Bis hierhin hat man es mit einem Fall kirchlichen Versagens zu tun, bis in die Kreise höchster Würdenträger, bis in den Vatikan.
Ihren Ausgang nimmt die Geschichte, soweit aktenkundig, im September 1979, als drei Elternpaare einer Essener Pfarrgemeinde den jungen Kaplan Peter H. beschuldigen, ihre Kinder sexuell missbraucht zu haben. „Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe wurden von H. nicht bestritten“, heißt es in einer Erklärung des Bistums Essen von 2010. Also aus jenem Jahr, als sich die katholische Kirche bundesweit Missbrauchsvorwürfen ausgesetzt sieht und mit jahrzehntelanger Verspätung um Aufklärung, Aussöhnung und mehr Wachsamkeit ringt.
Das Ruhrbistum bleibt zeitlebens für den hier geweihten Priester verantwortlich
1979 händelt man die Dinge noch anders: Als die Eltern mit Rücksicht auf ihre Kinder keine Strafanzeige stellen, verzichtet auch das Bistum auf eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. „Den Eltern wurde versichert, dass Kaplan H. vom Bistum sofort aus dem Dienst der Pfarrei herausgenommen wird“, heißt es in der Erklärung von 2010. H. wird ans Erzbistum München-Freising abgegeben. Dort soll er eine Therapie machen, von der man sich im Bistum Essen erhoffte, „dass die gravierenden Störungen bei H. beseitigt würden“.
Denn trotz seines Wegzugs, bleibt das Bistum Essen zeitlebens für H. verantwortlich, weil er hier 1973 zum Priester geweiht wurde. „Auch wenn er in Bottrop und Essen nur sieben Jahre tätig war“, wie Bistumssprecher Ulrich Lota heute erklärt.
In der Therapie zeigt der junge Kaplan wenig Einsicht
Tatsächlich beginnt H. 1980 in München eine Therapie bei Prof. Werner Huth. Der renommierte Psychiater nimmt den Priester nur widerstrebend an: „Er zeigte wenig Einsicht in das, was geschehen war, er war nicht bereit, sich zu hinterfragen“, erinnerte sich Huth später in der Süddeutschen Zeitung (SZ). „Es gab bei ihm kaum das Bewusstsein, dass er sich ändern muss.“
Als einzigen Weg für den stark narzisstischen Priester sieht Huth eine Gruppentherapie. Außerdem macht er seinem Klienten drei Auflagen: Er solle sich von Kindern und Jugendlichen fernhalten, keinen Alkohol trinken und sich einen Supervisor suchen, der ihn kontrolliere. Dass sich der offenbar weder einsichts- noch therapiefähige H. nicht an diese Auflagen halten sollte, darf kaum überraschen.
Nach dem Urteil wegen Missbrauchs kehrt der Priester in den Dienst zurück
Irritierend ist dagegen, dass auch die Kirchenoberen, Huths Mahnungen in den Wind schlagen. Obwohl der Psychiater davor warnt, H. mit Kindern und Jugendlichen arbeiten zu lassen, wird er in den folgenden fast 30 Jahren dazu immer wieder Gelegenheit bekommen – ob im Religionsunterricht oder in der Jugendarbeit. „Ein Riesenfehler“, sagt der Sprecher des Bistums Essen Ulrich Lota. Wie man heute weiß, kommt es immer wieder zu sexuellen Übergriffen, meist unter Alkoholeinfluss. Sämtliche Opfer sind Jungen, manche erst elf oder zwölf Jahre alt.
Eines Tages wird H. doch noch von Eltern angezeigt und 1986 zu einer Bewährungsstrafe von 18 Monaten und einer Geldstrafe verurteilt wegen sexueller Übergriffe gegen neun Jungen im Alter von 13 bis 16 Jahren. Für die Kirche ist das Urteil nicht etwa ein letzter Weckruf, vielmehr soll es damals geheißen haben, das Verfahren sei „unter den gegebenen Umständen gut ausgegangen“, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) im Jahr 2018 berichtet. Das Schicksal der Kinder und ihrer Familien sei in all den Jahren dagegen nicht thematisiert worden. Vielmehr habe man immer wieder versucht, ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen.
Aufklärungsmängel und Desinteresse gegenüber dem Opferschicksal
In einem von der FAZ zitierten, innerkirchlichen Bericht heißt es Jahre später: „Die in der Vergangenheit zu verzeichnenden gravierenden Aufklärungsmängel … finden ihre Ursache in diesem Desinteresse gegenüber dem Opferschicksal.“ Erst im Jahr 2008 wird H. zur Auflage gemacht, „keine Kinder-, Jugend- und Ministrantenarbeit mehr machen zu dürfen“, heißt es in einer Erklärung des Bistums Essen.
Im Jahr 2010 versuchen der Münchner Erzbischof Reinhard Marx und Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck, die beide neu im Amt sind, Peter H. endlich aus dem Priesteramt zu entfernen. Doch wie die SZ dieser Tage anlässlich H.s Rückkehr ins Ruhrbistum berichtet, scheitern sie an einem Veto aus dem Vatikan: „Die Glaubenskongregation lehnt den Wunsch der beiden Bischöfe ab.“ Overbeck versetzt Peter H. im März 2010 zumindest in den Ruhestand.
Was wusste der spätere Papst Benedikt XVI.?
Auf dem Höhepunkt des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche erregt der Fall H. nun besondere Aufmerksamkeit: Denn als H. im Jahr 1980 nach München kam, war dort Joseph Ratzinger Erzbischof. Ob der spätere Papst Benedikt XVI. eine Mitverantwortung am Versagen im Fall Peter H. hat, interessiert nun auch die Weltpresse. „Ich hatte Anfragen von La Stampa, Le Figaro bis zur New York Times“ erinnert sich Ulrich Lota.
Was der heute heute emeritierte Papst wusste, ist wohl nicht mehr zu klären. Doch auch H. muss nicht mit einer schonungslosen Aufklärung rechnen: Strafrechtlich sind einige Taten inzwischen verjährt, ein kirchliches Dekret benennt im Jahr 2016 lediglich fünf Fälle mittelschweren Missbrauchs und zwei geringfügigere Taten. Peter H. darf sich nun nicht mehr „Priester im Ruhestand“ nennen, seine Pension wird gekürzt. Doch er bekommt Wohnung und Ruhegeld von der Kirche.
In Essen lebt der Priester nun unter kirchlicher Aufsicht
In dem aktuellen SZ-Bericht heißt es, das Erzbistum München-Freising habe H. loswerden, das Ruhrbistum ihn nur ungern aufnehmen wollen, inzwischen lebe er wieder in Essen. Ulrich Lota bestätigt lediglich, dass H. eine Wohnung im Bistum bezogen habe. „Da er hier zum Priester geweiht wurde, war immer klar, dass wir für ihn verantwortlich sind.“
H. sei Mitte Mai zurückgekehrt und stehe seither unter Aufsicht. Sprich: Man führe mit ihm regelmäßig Gespräche, er müsse an festen Treffen teilnehmen. Und während katholische Geistliche sonst regelmäßig bis zum 75. Lebensjahr im Amt sind, oft auch darüber hinaus, nehme der 72-Jährige H. nun keinerlei priesterliche Aufgaben mehr wahr. „Er soll sich mit seinen Taten auseinandersetzen“, sagt Ulrich Lota. Das könnte ein frommer Wunsch sein.