Essen. Die Montage der neuen Brücke für den Radschnellweg RS1 in Essen hat fast zwölf Stunden gedauert. Viele Schaulustige verfolgten das Spektakel.
So groß und so imposant ist wohl keine Radbrücke in Essen. Die neue RS1-Brücke über den Berthold-Beitz-Boulevard besticht durch Minimalismus und Funktionalität. Sie ist schlank und dank ihrer glatten Flächen obendrein pflegeleicht. Eröffnet ist sie noch nicht, aber die Montage der drei jeweils 48 Meter langen und 70 Tonnen schweren Brückenteile war am Samstag (19. September) erfolgreich. Um 20.15 Uhr legten die Schwerlastkrane das letzte der drei Brückenteile punktgenau auf die Widerlager.
Es ist ein Schauspiel, das seit dem frühen Morgen zahlreiche Schaulustige an die gesperrte Kreuzung Berthold-Beitz-Boulevard/Pferdebahnstraße lockt: Technikbegeisterte und Radfreunde sind gekommen, Blogger und Hobbyfotografen, junge Familien mit kleinen Kindern und viele neugierige Anwohner.
Baustellen-Frühstück mit Kaffee, Brötchen, Trauben und Klausurarbeiten
Ulrich Buddeberg und sein Schwiegersohn Jan Buddeberg haben es sich oben auf dem Damm der Rheinischen Bahn besonders gemütlich gemacht. Die Borbecker halten seit halb elf ein zünftiges Baustellen-Frühstück ab - mit Kaffee, Brötchen, Yoghurt, Trauben und Saft. Die Klappstühle und den Tisch haben sie mit ihren Rädern samt Anhänger mitgebracht. „Ich freue mich, dass die Brücke endlich fertig wird“, sagt Jan Buddeberg. Der Lehrer an der Frida-Levy-Gesamtschule ist Alltagsradler, den Weg zwischen Wohnung und Schule legt er bei Wind und Wetter mit dem Rad zurück. Die Bahntrasse zu verlassen sei nicht nur umständlich, „es ist auch eine gefährliche Ecke.“
Die aufwändigen Arbeiten haben pünktlich um halb neun begonnen, um spätestens 11 Uhr hätte schon das erste Teil montiert sein sollen. Doch es kommt zu einer unvorhergesehenen Verzögerung. Zwar haben zwei der vier Schwerlastkrane das erste Brückenteil auf dem Vormontage-Platz schon auf die beiden Auflieger gehievt. „Wir müssen das Teil aber noch besser sichern, damit es bei der langsamen Fahrt zur Kreuzung nicht verrutscht“, sagt Bauleiter Wolfgang Hensen vom Aachener Planungsbüro PSP. Bauherr des 3,1-Millionen-Euro-Projektes ist der Regionalverband Ruhr (RVR).
Selbstfahrende Montagefahrzeuge im Einsatz – „wie ein großes ferngesteuertes Auto“
Den Buddebergs macht die Verzögerung nichts aus. „Ich habe Klausuren dabei, die kann ich korrigieren“, lacht der Lehrer. Die Rentner ein Stück weiter sind hingegen ungeduldig. „Da ist was nicht in Ordnung“, sagt einer, als gegen Mittag immer noch nichts passiert. Dann endlich, um halb eins, setzen sich die schweren Transportfahrzeuge in Bewegung. Es geht im Schneckentempo voran, manchmal nur einen Meter pro Minute. Es ist ein ständiges Stop-and-Go.
Das anthrazitfarbene Brückenteil ruht auf zwei „SPMT“, „Selbstfahrenden Montagefahrzeugen“, das absolute Nonplus-Ultra für Schwerlasttransporte, der Stückpreis liegt bei einer Viertelmillion Euro. Das vordere SPMT hat fünf Achsen mit jeweils vier Zwillings-Rädern, alle steuerbar. Gelenkt werden sie von André Seichter (35) aus Duisburg, einem coolen Typen mit Vollbart, Mikro am Kinn, Helm, Sonnenbrille und Zigarette im Mundwinkel. „Das ist wie ein großes ferngesteuertes Auto.“ Äußerlich scheint er die Ruhe selbst zu sein, aber er gesteht: „Ein bisschen Aufregung ist immer dabei.“
Sicherheit vor Tempo: Erst um 13.30 Uhr ist das erste von drei Brückenteilen eingehoben
Vor den Augen der Zuschauer entwickelt sich auf der Kreuzung jetzt ein harmonisch orchestriertes und detailliert geplantes Schauspiel. Das Publikum zückt die Handys, auch zwei Drohnen stehen an diesem sonnigen Spätsommertag am blauen Himmel. Nun treten die beiden anderen Schwerlastkrane in Aktion. Der größere wiegt 300, der kleinere 250 Tonnen – zwei Kraftprotze. Um 13.15 Uhr hängt das 70-Tonnen-Monstrum sicher an den langen gelben Kranarmen, fast so, als würde es schweben. „Gut, dass es nahezu windstill ist“, sagt der Bauleiter mit Blick auf die sehr nahe 110-KV-Hochspannungsleitung. „Wir müssen mindestens fünf Meter Abstand halten.“ Bei Windstärke fünf wäre das viel zu riskant gewesen. „Dann hätten wir abbrechen müssen.“
Über Verkehrszeichen, Ampeln und Lichtmasten hinweg gleitet Brückenteil Nummer eins – das Mittelstück – mühelos seinem Ziel entgegen, den fertig betonierten Widerlagerwänden auf beiden Straßenseiten. Um Punkt 13.31 Uhr ist es mit fast millimetergenauer Präzision eingehoben, eine Punktladung wie im Bilderbuch. Bei aller Routine: Die Verantwortlichen in den orangenen und gelben Warnwesten atmen auf.
Das letzte Brückenteil erreicht um 20.15 Uhr sein Ziel
Ursprünglich sollte die Montage bis zum Nachmittag abgeschlossen sein. Doch die Verspätung vom Vormittag vermögen die Spezialisten nicht mehr aufholen. Man geht auf Nummer sicher. Um viertel nach acht abends, noch gerade rechtzeitig vor Anbruch der Dunkelheit, heben sie Brückenteil drei ein. Geschafft. Endlich Feierabend. Bauleiter Hensen ist zufrieden. „Zu keinem Zeitpunkt hatten wir eine kritische Situation.“
Wenig später rückt die Schwerlastkran-Flotte ab, die Kreuzung selbst wird am nächsten Morgen um acht Uhr wieder für den Verkehr freigegeben.