Essen. Der Klimaschutz in Essen geht einer Gruppe von Aktivisten nicht weit genug. Sie will den jüngsten Ratsbeschluss per Bürgerbegehren einkassieren.

Viel zu teuer! Viel zu personalaufwendig! Viel zu ehrgeizig! Mit dieser Begründung hat der Stadtrat vor zwei Wochen die aus GroKo-Sicht „völlig unrealistische“ Forderung verworfen, Essen beim Ausstoß von Treibhausgasen bis spätestens 2030 klimaneutral zu machen. Stattdessen wird das Jahr 2050 als Zielmarke angepeilt. Zu spät!, halten nun wiederum die Klima-Aktivisten dagegen. Sie wollen die Stadt per Bürgerbegehren zwingen, deutlich mehr Tempo zu machen. Am Mittwoch fiel dazu der Startschuss.

Dass „die Zeit drängt“, diese Floskel gilt damit nicht mehr allein für den Klimaschutz. Sondern auch für den Versuch, die Bürger beschließen zu lassen, was die politische Mehrheit eben noch verworfen hat. Denn gerade weil der Rat sich Ende August bereits mit der Materie befasst und ein „Aktionsprogramm Klimaschutz“ samt dem genannten Jahresziel beschlossen hat, kommt das ursprünglich geplante Initiativ-Begehren nicht mehr in Frage. Stattdessen läuft eine Drei-Monats-Frist, innerhalb der der gefasste Ratsbeschluss „kassiert“ werden kann.

Schritt für Schritt der „Netto-Null“ entgegen

Der Begriff „klimaneutral“ beschreibt den Umstand, dass für neue Produkte oder Dienstleistungen die Menge an klimaschädlichen Gasen in der Atmosphäre nicht erhöht wird.

Der Rat der Stadt hat jüngst beschlossen, den Ausstoß von Treibhausgasen Schritt für Schritt senken zu wollen – bis zur Netto-Nullemission (Klimaneutralität) im Jahr 2050. Als Zwischenschritte werden bis zum Jahr 2030 ein Anteil von 60 Prozent und bis zum Jahr 2040 ein Anteil von 85 Prozent angestrebt. Den Vergleichswert dazu bietet das Basisjahr 1990.

Die Stadtverwaltung soll bis Juli 2021 einen entsprechenden Aktionsplan für nachhaltige Energie und Klima sowie ein Handlungsprogramm zur Treibhausgas-Minderung vorlegen.

Fristablauf wird mit der Anmeldung des Bürgerbegehrens erst einmal gestoppt

Dass sie die dafür erforderlichen drei Prozent der kommunalwahlberechtigten Bürger – das sind immerhin rund 13.700 Personen – als Unterstützer finden, daran hegen die Initiatoren des Bürgerbegehrens keinen Zweifel: Das Thema sei bei den Menschen präsent, glauben Norbert Strauß, Petra Boesing und Sven Borghs, die als als sogenannte Vertretungsberechtigte das Begehren am Mittwoch im Rathaus anmeldeten und damit den Fristablauf erst einmal gestoppt haben.

Rund zehn Wochen Zeit bleiben damit, um Gleichgesinnte in einer Frage zu finden, die im Entwurf so klingt: „Sind Sie dafür, dass die Stadt Essen innerhalb von 6-12 Monaten einen Klimaaktionsplan mit einem Handlungsprogramm zur Erreichung echter Klimaneutralität 2030 erstellt?“

SPD an Grüne: „Ich bin hier in der Realpolitik und nicht im Traumland“

Eine wohlklingende unverschachtelte Forderung, die es aber mit Blick auf die Jahreszahl in sich hat, fand die große Koalition aus Sozial- und Christdemokraten jüngst im Rat: Die Vorgabe sei schlicht unrealistisch, „das Tempo – so bedauerlich das auch ist – nicht leistbar“, befand Hans-Peter Huch (CDU). Und Julia Kahle-Hausmann (SPD) sekundierte, man lebe ja in Essen schließlich nicht auf einer Insel, eine derart „brachiale“ Eile sei in der Metropole Ruhr schlicht „aussichtslos und überflüssig“.

Der Protest vor der jüngsten Ratssitzung in der Grugahalle hatte nicht die erhoffte Wirkung: Vor allem die Rats-GroKo aus SPD und CDU fand die Zielmarke 2030 für die Klimaneutralität der Stadt Essen allzu ehrgeizig.
Der Protest vor der jüngsten Ratssitzung in der Grugahalle hatte nicht die erhoffte Wirkung: Vor allem die Rats-GroKo aus SPD und CDU fand die Zielmarke 2030 für die Klimaneutralität der Stadt Essen allzu ehrgeizig. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Von den Kosten mal ganz abgesehen, oder hätten die Grünen, die sich in einem Ratsantrag die Forderung zu eigen machten, etwa „einen Goldesel im Keller“? Kahle-Hausmann begegnete ihren ehemaligen Parteikollegen deshalb betont schroff: „Ich bin hier in der Realpolitik und nicht im Traumland“.

Die Organisatoren sind sich einig: „Wir wollen eine mutige Politik auslösen“

Die Grünen hielten dagegen, „wir müssen schneller werden“, so Rolf Fliß, und auch Wolfgang Freye (Linke) betonte, die Anstrengung sei durchaus machbar: „Essen fängt nicht bei Null an.“ Das sehen die Initiatoren genauso: „Wir wollen eine mutige Politik auslösen“, sagt Norbert Strauß, von Beruf Betriebswirt und erst seit Jahresbeginn Essener Bürger. Gemeinsam mit Unternehmer Sven Borghs und Ärztin Petra Boesing weiß er neben Grünen, Linken und der Ratsfraktion Tierschutz/SLB auch eine Gruppe von rund 30 Klima-Aktivisten und den Naturschutzbund, die Gruppierungen Parents for Future oder Scientists 4 future an der Seite.

Gleichwohl bleibt – sobald der Fragetext abgesegnet ist – die kurze Sammelfrist eine Herausforderung, dies weiß das Trio. Aber man teilt den Optimismus, viele Bürger für ein ehrgeiziges Klima-Ziel begeistern können, erst recht nach dem dritten Dürresommer in Folge und dem für sie überall spürbaren Wunsch, Essen „als lebenswerte Stadt zu erhalten“.

Zu ehrgeizig? Zu teuer? Für Petra Boesing Argumente, die keine sind: „Wir werden unser Geld später weder essen noch trinken können.“

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