Essen. Mutter, Ärztin – und Wissenschaftlerin? Damit all das klappt, gibt es an der Uniklinik Essen ein Programm, das junge Medizinerinnen unterstützt.
Das Programm heißt „Willkommen zurück“, weil es sich an Ärztinnen wendet, die aus der Elternzeit an den Arbeitsplatz zurückkehren. Perspektivisch soll es die Medizinerinnen dahin bringen, wohin es noch viel zu wenige von ihnen schaffen: auf eine Professorenstelle. Denn viele unterbrechen ihre wissenschaftliche Karriere nicht nur, wenn sie ein Kind bekommen, sondern nehmen sie anschließend nicht mehr auf.
Zu Beginn des Medizinstudiums sind die Frauen noch in der Überzahl
„Dabei sollte doch jeder Arzt, der an einer Uniklinik arbeitet, nicht nur an der Krankenversorgung Interesse haben, sondern auch an der Forschung“, sagt Prof. Stefanie Flohé, Gleichstellungsbeauftragte an der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Für Ärztinnen sehe die Wirklichkeit leider anders aus: Zu Studienbeginn seien Frauen noch in der Überzahl, bei den Doktorarbeiten liege das Verhältnis bei 50:50, bei Professorenstellen sind Frauen dann klar in der Minderheit.
Darum bemühe man sich an der Uniklinik Essen schon länger, forschende Frauen zu fördern, Hürden aus dem Weg zu räumen. Bei „Willkommen zurück“ erhält jede Teilnehmerin 40.000 Euro für ihr Forschungsprojekt. Sie sei dabei völlig frei, ob sie es für Personal- oder Materialkosten ausgebe. Außerdem sei das Antragsverfahren extrem niederschwellig, lobt Dr. Julia Lortz, eine der fünf Frauen, die in Runde eins von dem Programm profitierten.
Noch in der Schwangerschaft beantragte die Gelder für ihr Forschungsprojekt
Die 36-Jährige arbeitet seit zehn Jahren an der Uniklinik, hat promoviert, ist seit 2017 Fachärztin für Kardiologie und seit 2018 Oberärztin. Im September 2019 kamen ihre Zwillinge Philipp und Frederick zur Welt und Julia Lortz ging erstmal für ein halbes Jahr in Elternzeit. Ihr Karrieretempo musste sie dennoch kaum drosseln: „Noch in der Schwangerschaft habe ich mich um die 40.000 Euro-Förderung beworben“, erzählt sie. Anfang November 2019 sei das Geld bewilligt worden. Bei anderen Institutionen seien die Anträge viel komplexer, es vergehe leicht ein Jahr und mehr bis zur Bewilligung. „Ich aber konnte mein Projekt schnell anschieben.“ Als sie zunächst auf einer 40-Prozent-Stelle ans Uniklinikum zurückkam, stand der Rahmen für ihre Forschungsarbeit bereits. „Ich musste nicht bei Null anfangen, auch wenn die Coronazeit eine Herausforderung war.“
Julia Lortz hat eine App erarbeitet, die Patienten mit Arteriosklerose hilft, ihre Gefäßverkalkung besser zu verstehen. Eine Heilung gibt es für Betroffene nicht, aber wer auf Risikofaktoren wie Rauchen oder fettreiche Ernährung verzichtet, kann das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen. „Die App visualisiert die Gefäße der Patienten“, erklärt Lortz. Sie zeigt ihnen also auch die Folgen ihres Verhaltens – und bestärkt sie damit im besten Fall im Verzicht auf Nikotin und übermäßiges Essen.
Gemeinsames Fußballgucken oder Golfspielen gelten schon mal als weiche Karrierefaktoren
Die technische Seite der App wird an der Fachhochschule Vorarlberg von einer Wissenschaftlerin entwickelt, mit der Julia Lortz schon früher eine „Super-Kooperation“ hatte. „In die App-Entwicklung geht der größte Batzen Geld.“ Viel Zeit koste es, Einkauf, Rechte- und Ethikfragen zu klären. „Auch zu Hause fällt immer noch etwas an.“ Solche Extraarbeit könne sie sich mit ihren Kindern nicht mehr so einfach erlauben.
Noch viel weniger könnte sie jetzt gemeinsam mit Kollegen Fußballgucken oder eine Runde auf dem Golfplatz drehen: weiche Karrierefaktoren, wie sie von manchen Chefs in der Forschung stillschweigend erwartet würden – und für Ärztinnen mit Kind kaum zu erbringen seien. Sie sei daher froh, dass ihr Chef sie sehr gut unterstütze. „Denn man kann noch so ambitioniert sein, ohne Mentor geht es nicht.“
„Man hat eine ganz andere Wertschätzung für die Familie, wenn man auch arbeitet.“
Ohne die Familie hätte es die Zwillingsmutter auch nicht geschafft: Ihr Mann, der als Anwalt arbeitet, halte ihr den Rücken frei, ihre Eltern und Schwiegereltern kümmern sich regelmäßig um Frederick und Philipp. Wenn sie demnächst auf eine 75-Prozent-Stelle aufstockt, werden die beiden von einer Tagesmutter betreut. Natürlich freue sie sich immer, wenn sie ihre Söhne sehe, aber es freue sie auch, Beruf und Forschung nicht aufgeben zu müssen. „Man hat eine ganz andere Wertschätzung für die Familie, wenn man auch arbeitet.“
So sehen es offenbar viele Ärztinnen an der Uniklinik: Auf die fünf Förderplätze haben sich im vergangenen Jahr fast viermal so viele Medizinerinnen beworben. Gut, dass das Programm mit Mitteln aus dem NRW-Wissenschaftsministerium und von der Stiftung Universitätsmedizin dieses Jahr fortgesetzt wird.