Essen. Ein Mitglied im Sozial Liberalen Bündnis fühlt sich untergebuttert und will nun dessen Ratskandidatur verhindern. Oder gehörte der Mann nie dazu?

Diese mühsame Suche nach Kandidaten, der ganze Bürokratiekram, das nervige Unterschriften-Sammeln: Fürs neugegründete Sozial Liberale Bündnis (SLB) war der Weg zur Wahl ziemlich steinig; mangels Unterstützern wird die Vereinigung in neun von 41 Kommunalwahlbezirken wohl nicht antreten dürfen. Das wäre womöglich zu verschmerzen, doch jetzt macht ein vermeintlich abserviertes Mitglied Stress und will gleich die komplette Kandidatur zu Fall bringen.

Aber gehörte der Mann auch wirklich dazu? Genau diese heikle Frage stellt sich an diesem Dienstag den Mitgliedern des städtischen Wahlausschusses wie auch Stadtdirektor Peter Renzel, der beim Urnengang am 13. September offiziell als Essener Wahlleiter fungiert.

Der Rechtsanwalt winkt von fern mit dem Stichwort „Wahlwiederholung“

Bei Renzel trudelte vergangene Woche ein Fax aus der Kanzlei des Bonner Rechtsanwalts Björn Seelbach ein. Dessen Inhalt lässt sich kurz so zusammenfassen: Die Reserveliste des SLB zum Stadtrat sei unzulässig korrigiert worden, und wenn auf dieser Grundlage die Kommunalwahl stattfinde, dann wäre sie, schreibt, Seelbach, „ungültig und zu wiederholen“.

Wahlwiederholung, oha. Das liest sich dramatisch und wäre es wohl auch, und nun liegt der schwarze Peter bei Renzel und dem Ausschuss, die schon in die Untiefen der Bündnis-Gründung beim SLB einsteigen

Der Wahlausschuss stellt die Weichen zur Wahl

Knapp sechs Wochen vor dem Urnengang am 13. September befindet an diesem Dienstag der Kommunalwahl-Ausschuss über die anstehenden Kandidaturen.

Die Debatten dort halten sich meist in Grenzen. Man verlässt sich gemeinhin auf die Vorprüfungen des städtischen Wahlamtes.

Dieses empfiehlt, zwei OB-Kandidaten – einen Einzelbewerber und den Kandidaten der Piratenpartei – sowie eine ganze Reihe von Rats- und Bezirksvertretungs-Kandidaten zurückzuweisen. Hauptgrund: Sie bekamen die nötige Zahl an Unterstützer-Unterschriften nicht zusammen.

müssten, um abschließend diese eine Frage zu klären: War denn Sascha Ojstersek-Lemm, der Mann von dem hier die Rede ist, tatsächlich jemals offiziell Mitglied des SLB, oder war er es nicht?

Von 0 auf Rang 6 und dann 4: Je kleiner die Truppe, desto steiler die Karriere

„Ich war’s“, beteuert der in einer Eidesstattlichen Versicherung. Dort beschreibt der Altenessener ausführlich, dass er zum Umfeld des einstigen SPD-Frontmanns Willi Nowack zählt und Mitte März zusammen mit diesem und dem Chef der Essener Tafel Jörg Sartor bei der Jahreshauptversammlung des frisch gegründeten SLB nicht nur Mitglied wurde, sondern dort – je kleiner die Truppe, desto steiler die Karriere – prompt auf Platz 6 der Reserveliste für den Rat gewählt wurde.

Dass Sartor wie Nowack später wieder Abstand nahmen vom Bündnis, der eine mehr, der andere weniger freiwillig, empfand Sascha Ojstersek-Lemm nur als so eine Art Karrierebeschleuniger: Da die beiden bis dato ja vor ihm in der Liste platziert gewesen seien, müsste er mithin auf Rang 4 vorgerückt sein.

Das vermeintliche Protokoll – ein „Vorbereitungspapier“ und ziemlich ungeschickt

Doch als er nach Wochen der Corona-Funkstille mal wieder mit dem Sozial Liberalen Bündnis Kontakt aufnahm, beschied man ihm dort, eine neue Versammlung habe getagt, eine neue Liste beschlossen, und

Ratsherr Peter Lotz ist Spitzenkandidat und Vorsitzender des Sozial Liberalen Bündnisses und beteuert: Den Mann, der da auf die Ratsliste drängt, „hab’ ich noch nie gesehen“.
Ratsherr Peter Lotz ist Spitzenkandidat und Vorsitzender des Sozial Liberalen Bündnisses und beteuert: Den Mann, der da auf die Ratsliste drängt, „hab’ ich noch nie gesehen“. © WAZ FotoPool | Dirk Bauer

er, Ojstersek-Lemm, also Entschuldigung, sei ja eh nie wirklich Mitglied gewesen.

Dabei steht dies so in einem Dokument, das als „Protokoll der Jahreshauptversammlung des Sozial Liberalen Bündnisses Essen (SLB)“ überschrieben, allerdings nicht handschriftlich unterzeichnet ist. Tatsächlich handle es sich dabei um ein „Vorbereitungspapier“, betont der SLB-Vorsitzende und ehemalige SPD- wie FDP-Ratsherr Peter Lotz: „Ein Entwurf, um mit anderen Mitglieder zu klären, ob wir so vorgehen können“. Der Mutmaßung, dass das Schriftstück, einmal in Umlauf gebracht, womöglich auch eine ziemliche Ungeschicklichkeit war, widerspricht Lotz nicht.

Trotz alledem: Das SLB strebt im neuen Stadtrat auf Anhieb drei Mandate an

Sondern beteuert nur, dass allein dem Wahlamt das richtige und auch formal korrekte Protokoll der Kandidatenaufstellung vorliege. Sascha Ojstersek-Lemm, um das gleich zu sagen, taucht darin nicht auf. So wenig wie Nowack, der ihn als Mitglied und Kandidat vorgeschlagen hatte. Über Ojstersek-Lemm sagt SLB-Gründer Lotz, er habe „den Mann noch nie gesehen“, über Nowack, dass dieser das Papier lancierte, um Streit zu säen. Ein Streit, der reichlich „Nerven gekostet“ hat.

Gleichwohl geht Lotz davon aus, dass der Wahlausschuss an diesem Dienstag den juristischen Einwand verwerfen wird und es bei der Kandidatur bleibt. Nicht weniger als Fraktionsstatus strebt das Bündnis an, versichert Ratsherr Karlheinz Endruschat, das wären immerhin drei Mandate. Und damit so viel, wie die FDP bei der letzten Kommunalwahl errang. Die Stimmen dafür in nur 32 Kommunalwahlbezirken stadtweit zusammenzubekommen, darf als ausgesprochen ehrgeiziges Unterfangen gelten.