Essen. Bei der Kommunalwahl will das Bündnis stadtweit antreten. Schwung verhofft es sich von neuen Mitstreitern. Im Gespräch: Tafel-Chef Jörg Sartor.

Corona, immer wieder dieses Corona. Eigentlich sollte die erste Veranstaltung vor Publikum schon Anfang April steigen. Da wollte sich das "Sozial Liberale Bündnis Essen" (SLB) der Öffentlichkeit vorstellen und weitere Mitstreiter gewinnen.

"Sozial Liberales Bündnis Essen"? Der Frintroper Ratsherr Peter Lotz hat es im November vergangenen Jahres gegründet - nach über 30 Jahren Mitgliedschaft in der SPD und einem Intermezzo bei den Freien Demokraten. Bei der Kommunalwahl im September wollen die Sozial-Liberalen stadtweit antreten.

Was ihn antreibt? Die SPD sei ihm zu weit nach links gerutscht. Und überhaupt sei er damals ein Fan der sozial-liberalen Koalition gewesen, beschreibt Peter Lotz, Inhaber eines Reisebüros, sein persönliches Motiv. Damals, bis 1983 hieß der Kanzler Helmut Schmidt (SPD) und Hans-Dietrich Genscher (FDP) sein Außenminister. Lange ist's her.

Lotz vollzog 2015 die Wende und wechselte zur FDP, doch die Liberalen waren ihm dann doch zu liberal, wie er selbst sagt. Außerdem: "Wenn zwei Alphatiere aufeinander prallen, dann geht das nicht gut." Neben seiner zählt Lotz auch FDP-Fraktionschef Hans-Peter Schöneweiß zu dieser Gattung.

Im Stadtrat bildet das Bündnis eine Fraktionsgemeinschaft mit der Tierschutzpartei

Nun also das SLB. Seine Frau Anja habe ihm abgeraten, aber er habe noch nicht genug von der Kommunalpolitik gehabt. Einen prominenten Mitstreiter aus der Kommunalpolitik hat Lotz in Karlheinz Endruschat gefunden. Der Ratsherr aus Altenessen und ehemalige stellvertretende Parteivorsitzende der Essener SPD ist im Unfrieden aus der Partei ausgeschieden. Im Rat der Stadt bilden die beiden Sozial-Liberalen nun mit der Tierschutzpartei eine Fraktionsgemeinschaft. Die bunt zusammengewürfelte Truppe ist damit auf fünf Köpfe angewachsen und zumindest zahlenmäßig schlagkräftig.

Bei der Kommunalwahl aber werden Tierschutzpartei und SLB getrennte Wege gehen und mit eigenen Listen antreten, betont Peter Lotz und formuliert für seine Wählergemeinschaft ehrgeizige Ziele. In allen 41 Wahlbezirken wollen die Sozial-Liberalen Kandidaten aufstellen, um in Fraktionsstärke in den Rat einzuziehen.

Wäre das Mittun von Willi Nowack ein Gewinn oder eine Belastung?

Wie soll das gelingen? Noch sei die Zahl der Aktiven überschaubar, räumt Peter Lotz ein. Regen Zulauf verspricht er sich von zwei weiteren Prominenten, von zwei "Hammer-Namen", wie er selbst sagt, ohne mehr verraten zu wollen. Mitstreiter Karlheinz Endruschat ist da redseliger: Mit Willi Nowack habe man sich zu einem Gespräch verabredet. Und auch mit Jörg Sartor, dem Chef der Essener Tafel.

Der Name Willi Nowack, einst mächtiger Fraktionsvorsitzender und gefürchteter Strippenzieher der Essener SPD, der wegen Insolvenzverschleppung im Gefängnis landete, machte schon vor Wochen die Runde. Ob Nowacks Mittun tatsächlich ein Gewinn wäre für das junge Wählerbündnis oder doch eine eher eine Belastung, wird eine spannende Frage, die der Wähler beantworten dürfte.

Anders verhält es sich mit Jörg Sartor, der bundesweit von sich reden machte, als er Ausländer vorübergehend von der Tafel ausschloss und so die öffentliche Debatte über Zuwanderung anheizte. Ein Mittun Sartors dürfte dem Sozial Liberalen Bündnis zumindest die Aufmerksamkeit bescheren, die es sich wünscht. Sartor selbst sagt zu einem möglichen Engagement nur soviel: "Ich schweige."

Bündnis fordert Korrekturbedarf in der Stadtentwicklung

Zuwanderung und Integration sind Themen, mit denen das Sozial Liberale Bündnis sich von anderen Parteien unterscheidbar machen will. Die soziale Ungleichheit in der Stadt ist ein weiteres, wobei das eine mit dem anderen durchaus zusammenhängt.

Endruschat sieht längst überfälligen Korrekturbedarf, fordert hochwertigen Wohnungsbau auch im Essener Norden und den Bau von Sozialwohnungen auch im wohlhabenden Süden. Wobei die Bemessungsgrenze für Bezieher von Sozialleistungen anzuheben wäre, damit sie sich eine solche Wohnung überhaupt leisten könnten.

Die Stadt müsse ferner mehr in Bildung investieren und den Erfolg ihrer Integrationsbemühungen kritisch hinterfragen. "Wenn jemand seit 40 Jahren hier lebt und immer noch kaum Deutsch spricht, haben wir alle etwas falsch gemacht", sagt Endruschat. Und dass, wer Bleiberecht genießt, aber kriminell wird, nicht schneller abgeschoben werde, verstehe kein Mensch, meint Peter Lotz.

Mehr Bildung und kostenloser öffentlicher Nahverkehr

So ist es eine Mischung aus Sozial- und Ordnungspolitik, mit der das Bündnis bei den Wählern punkten will. Am Programm für die Kommunalwahl, in dem auch der Ruf nach einem kostenlosen öffentlichen Personen-Nahverkehr eine Rolle spielen soll, wird noch geschrieben, Kandidaten werden noch gesucht.

Die Zeit drängt. Endruschat ist überzeugt, dass das SLB vom Linksruck der SPD profitieren könnte. Am Ende dürfte es darauf ankommen, ob dem Sozial Liberalen Bündnis in aller Kürze gelingt, was das Essener Bürgerbündnis (EBB) nach mehrjähriger Arbeit gelungen ist: sich als Marke zu etablieren.

"Es wird schwer", weiß Peter Lotz. Die Corona-Krise macht es ihm und seinen Mitstreitern nicht leichter. Eigentlich, meint Karlheinz Endruschat, "dürfte die Kommunalwahl unter diesen Bedingungen im September gar nicht stattfinden".

DAS SOZIAL LIBERALE BÜNDNIS ESSEN

Das Sozial Liberale Bündnis Essen nimmt laut Sprecher Peter Lotz derzeit keine neuen Mitglieder auf, wer sich engagieren will, sei dennoch willkommen. Das gelte auch für Interessenten an einer Kandidatur. Man wolle einander erst kennen lernen. Das Bündnis werde sich aber weiter öffnen, so Lotz.

Für jeden Wahlvorschlag in einem Kommunalwahlbezirk muss das Bündnis 20 Unterschriften von Unterstützern vorlegen. Hinzu kämen weitere 100 Unterschriften für eine Reserveliste.