Essen. Junkies sind durch das Virus besonders gefährdet. Die Suchthilfe Essen reagiert mit Notfallplan, Krisenstab und einer Task Force für die Straße.
Während die Bahnhofsmission, die Caritas und das Diakoniewerk Essen ihre Angebote für Bedürftige in Corona-Krisenzeiten eingedampft haben, geht die "Suchthilfe direkt" in die Vollen: Mit Beginn der Woche sind nun auf den Straßen der Stadt zusätzliche Sozialarbeiter unterwegs, die die Versorgung der drogenabhängigen und durch Infektionen besonders gefährdeten Menschen sicherstellen sollen.
Dies berichtete Suchthilfesprecher Frank Langer am Montag auf Nachfrage dieser Zeitung: "Es gilt Ansteckung zu verhindern und Überleben zu sichern." Auch andere Angebote, wie etwa die Verteilung nahrhafter warmer Mahlzeiten für Jugendliche und Erwachsene, wurden aufgestockt oder die Öffnungszeiten bestimmter Anlaufstellen verlängert.
Die neue "Task Force Straße" gibt neue Spritzen aus und sammelt alte ein
Die neue fünfköpfige "Task Force Straße" übernimmt ab sofort nicht nur die Versorgung und Beratung ihrer "Kunden" im gesamten Stadtgebiet, sondern gibt auch neue Spritzen aus, sammelt alte ein und verteilt Faltblätter mit den wichtigsten "Minimalregeln im Umgang mit Corona".
"Haltet Euch nicht in Gruppen auf", heißt es darin unter anderem. Dennoch mussten die Streetworker bereits Hinweisen auf Szenebildungen im Stadtgebiet nachgehen. Nicht allein, um die Kontaktsperre durchzusetzen, sondern auch, um die Süchtigen weitestgehend von der Straße zu holen und in die Angebote etwa des Drogenhilfezentrums an der Hoffnungstraße zu lotsen, so Langer: "Es hat bereits Informationen gegeben, dass an der Papestraße verstärkt gedrückt werde." Es handelte sich offenbar um eine Gruppe von etwa 6 Drogenabhängigen, denen unter anderem mitgeteilt wurde, dass der Konsumraum der Suchthilfe 70 Stunden an acht Tagen und selbst am Wochenende geöffnet habe.
Die Suchthilfe stößt an ihre personellen Grenzen
Die medizinische Versorgung in den Ambulanzen und eine Grundbetreuung in den Anlaufstellen zu gewährleisten, sei in Zeiten der Pandemie das Gebot der Stunde, so Langer, selbst wenn die Suchthilfe selbst an ihre personellen Grenzen stößt, weil es krankheitsbedingte Ausfälle in den eigenen Reihen gebe.
So wurde der akute Ausbau der Straßensozialarbeit letztlich nur möglich, weil Beschäftigungsprojekte für drogenkranke Menschen wie "Opti" oder "Pick up", als auch das Café "Plan B" für Substituierte an der Kibbelstraße auf nicht absehbare Zeit geschlossen bleiben. Erst dadurch sei schließlich das notwendige Personal freigesetzt worden, so Langer.
Bei den Wohnungslosen unter den Süchtigen geht es ums Überleben
Gerade bei den Wohnungslosen unter den Drogenabhängigen gehe es inzwischen mehr denn je ums Überleben. Die Menschen seien geschwächt und gegenüber dem Virus schutzlos. "Ihre" Hilfsangebote wie das Krisencafé an der Hoffnungstraße, der Drogenkonsumraum, die Notschlaf- und die Beratungsstelle haben sich deshalb auf die geänderten Bedingungen unter Corona einstellen müssen. Die eh schon hohen Hygienestandards wurden weiter forciert, mindestens alle zwei Stunden werden alle Flächen im Haus desinfiziert.
Auch wenn es bislang noch keinen bekannt gewordenen Infektionsfall unter den Drogenkranken gibt, wurde ein Notfallplan erstellt und einen Krisenstab ins Leben gerufen, der sich täglich trifft. Ein Teilnehmer berichtet: "Wir passen uns von Tag zu Tag an." So lange es eben geht - an der Hoffnungstraße.
Über 40.000 Mal wurden im Druckraum Drogen konsumiert
Den Drogenkonsumraum am Rande der Essener Innenstadt nutzten in 2018 exakt 704 Abhängige, um unter hygienischen Bedingungen Drogen zu konsumieren. Die Zahl der Konsumvorgänge stieg gegenüber 2017 um 42 Prozent auf 42.503 an. Entsprechend kam es zu 19 Prozent mehr Notfällen durch Überdosierungen. 55 Mal mussten Ärzte Leben retten.
Insgesamt starben 2018 in Essen zwölf Menschen an den Folgen ihrer Rauschgiftsucht. Das waren drei weniger als im Jahr zuvor.
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