Essen-Überruhr. Stundenlang suchen Essener einen Schlafplatz für einen Obdachlosen. Den gibt es dann in Bochum – und für die Geschichte eine überraschende Wende.

Der erste Schreck wandelte sich rasch in große Hilfsbereitschaft, nachdem Sven Klepke den fremden Mann in seinem Garten in Essen-Überruhr entdeckt hatte. Stundenlang suchte der 21-Jährige eine Unterkunft für den Obdachlosen (32). Dann gab es zumindest für diese Nacht eine Lösung in Bochum, manche Träne – und für die Geschichte eine überraschende Wende.

Seinen Anfang nahm das Ganze am Nachmittag, als Sven Klepke eigentlich nur kurz den Whirlpool säubern und dann auf seine Freunde warten wollte. Als er aber das Zelt öffnete, in dem das Becken steht, ließ er den Eimer fallen und sprang erst einmal zurück. Da schlief ein Fremder auf einer der Liegen, hatte nicht mehr bei sich als die alten Kleider, die er trug. Der 21-Jährige überlegte nicht lange, verscheuchte den Mann und rief die Polizei.

Polizei bestätigt drei Einsätze wegen des Obdachlosen in Überruhr

Die bestätigt gleich drei Einsätze und Anrufe, bei denen es ab 17.40 Uhr hieß: „Da ist ein fremder Mann auf unserem Grundstück.“ Als die Beamten eingetroffen seien, sei dieser zunächst verschwunden gewesen, berichtet Polizeisprecher Peter Elke. Nach dem zweiten Telefonat schließlich habe die Polizei den Obdachlosen angetroffen: „Die Kollegen haben einen Platzverweis ausgesprochen“, sagt Peter Elke.

Daniel Schneider und Sven Klepke suchten im angrenzenden Waldstück nach dem Obdachlosen, nachdem dieser von ihrem Grundstück verschwunden war.
Daniel Schneider und Sven Klepke suchten im angrenzenden Waldstück nach dem Obdachlosen, nachdem dieser von ihrem Grundstück verschwunden war. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Als der Fremde hartnäckig blieb, ein weiteres Mal zurückkehrte, hatten Sven Klepke und Daniel Schneider (24), der ebenfalls in dem Haus wohnt, längst erkannt, dass der 32-Jährige Hilfe benötigt. Er sei angetrunken gewesen und habe einfach nur schlafen wollen. Er habe berichtet, dass er seinerzeit aus Polen zum Arbeiten nach Deutschland gekommen sei. Inzwischen habe er die Arbeit verloren, sei auf der Straße gelandet. „Da er kaum Deutsch spricht, haben wir uns mit einer Übersetzung per Internet verständigt“, beschreibt Sven Klepke die Situation im Garten.

Geblieben sind ein wenig Wut und vor allem Fassungslosigkeit

Die beiden jungen Männer reichten dem Obdachlosen Wasser und eine Kleinigkeit zu essen, bevor sie sich ans Telefon klemmten. Dass sie dreieinhalb Stunden telefonieren würden, um dann in die Nachbarstadt zu fahren, war da nicht absehbar.

Geblieben sind ein wenig Wut und vor allem Fassungslosigkeit, dass es nicht möglich gewesen ist, eine Unterkunft in Essen zu finden. „Es kann doch nicht sein, dass jemand Hilfe braucht und niemand reagiert“, sagt Sven Klepke verständnislos. Der Garten wäre zwar für die Nacht eine Notlösung gewesen, aber ihr Wunsch sei es gewesen, dass sich auch danach jemand um den Mann kümmert.

In Bochum warteten warmes Essen, Dusche und Schlafplatz

Sie selbst brachten den Fremden schließlich nach Bochum, wo sie gegen 22.30 Uhr ankamen. Wo warmes Essen, Dusche und ein Schlafplatz warteten und wo sich der 32-Jährige weinend und dankbar von seinen Helfern verabschiedete.

Zuvor waren sie an der Unterkunft an der Essener Lichtstraße abgeblitzt. „Jemanden aufzunehmen, der nicht Essener Bürger ist, sei nicht möglich“, erinnert sich Daniel Schneider an die Antwort aus der Unterkunft, die sie gleich mehrfach anriefen. In anderen Unterkünften sei eine spontane Aufnahme nicht möglich gewesen. Erst viel später habe es den Tipp eines freundlichen Herren aus dem Raum 58 (einer Notschlafstelle für Jugendliche) gegeben, doch in Bochum anzurufen. „Kommen Sie her“, habe dort sogleich die Aufforderung gelautet.

Notübernachtungsstelle gelangte oft an die Kapazitätsgrenze

Ansprechpartner bei Obdachlosigkeit

„Ansprechstelle für Menschen ohne Wohnsitz, die sich in Essen aufhalten, ist die Zentrale Wohnungslosenberatung von Diakonischem Werk und CSE in der Lindenallee 55. Dort wäre jemand erreichbar gewesen“, erklärt Stadtsprecherin Silke Lenz, was in Fällen zu tun ist, wenn man einem obdachlosen Menschen helfen möchte. Durch das Amt für Soziales und Wohnen wäre eine Koordinierung des Falles ebenfalls erfolgt.

Bei der Lichtstraße handele es sich um eine Notschlafstelle für die Nacht – tagsüber sei die Erreichbarkeit nicht durchgehend gegeben. Die Notschlafstelle öffnet täglich ab 18 Uhr und schließt am Morgen um 8 Uhr bzw. 9 Uhr am Wochenende.

Zudem bestätigt Silke Lenz, dass die Lichtstraße zurzeit sehr gut ausgelastet sei – in erster Linie deshalb, da die dort genutzten Stockbetten wegen der Corona-Pandemie zurzeit nicht genutzt werden könnten und deshalb die Hälfte der 58 Plätze entfalle. Die Stadt Essen habe daher zusätzliche Plätze in einem Hotel in der Innenstadt angemietet und für Frauen eine eigene Notschlafstelle eingerichtet: „Menschen in Not werden grundsätzlich nicht fortgeschickt.“

Dass er in Essen nicht habe aufgenommen werden können, das führt Petra Fuhrmann auf eine Falschinformation zurück. Sie leitet bei der Diakonie den Bereich der ambulanten Wohnungslosenhilfe. Die Diakonie wiederum betreibt die städtische Notübernachtungsstelle an der Lichtstraße. Offenbar habe der Mitarbeiter vom Sicherheitsdienst nicht gewusst, dass sie durchaus einen Platz hätten anbieten können, als er ans Telefon gegangen sei.

Tatsächlich hätten sie an der Lichtstraße in jüngster Zeit ihre Kapazitätsgrenze oftmals erreicht, da die Plätze corona-bedingt von 58 auf 35 reduziert worden seien. „Die Situation haben wir aber relativ schnell wieder entzerrt, da wir für Frauen bereits im Mai eine separate Unterkunft eingerichtet haben und zudem Hotelzimmer angemietet werden konnten“, erklärt Petra Fuhrmann. Und so könne man nun jeden aufnehmen, auch Nicht-Essener könnten für eine Nacht unterkommen.

Jobverlust, prekäre Arbeits- und Wohnverhältnisse

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Zu Sven Klepke und Daniel Schneider hat sie bereits Kontakt aufgenommen und hatte für die beiden eine Überraschung parat: „Wir kennen den 32-Jährigen.“ Und sie kennen auch die Schicksale der Menschen, die einer schwierigen Situation aus Osteuropa entkommen wollen. Manche kämen mit falschen Vorstellungen, verlören hier dann mitunter ihre prekären Jobs, an denen vielfach auch ihre bescheidene Unterkunft hänge.

„Wir bieten ihnen Hilfe über die Beratungsstelle an“, sagt Petra Furhmann. Aber die Hilfsbedürftigen müssten diese eben auch annehmen wollen und können. So wie der 32-Jährige, der inzwischen in Deutschland sogar Leistungsansprüche erworben habe. In Überruhr besuche er wohl Bekannte in der dortigen Unterkunft. Sollte der ungebetene Gast jedenfalls nochmals im Garten auftauchen, könne er natürlich zum Übernachten zur Lichtstraße kommen, sagt sie. Und: „Jetzt gerade sitzt er wieder ganz ruhig vor dem Eingangsbereich.“