Essen. Viele Essener suchen Arzt oder Klinik zu spät auf. Die Folgen können fatal sein, sagt ein Gefäßchirurg: Aktuell steige die Zahl der Amputationen
Aus Angst vor einer Ansteckung mit Corona zögern viele Patienten Arztbesuche hinaus – und gehen damit hohe gesundheitliche Risiken ein. So sei die Zahl vermeidbarer Amputationen zuletzt deutlich gestiegen, sagt Prof. Johannes Hoffmann, Chefarzt für Gefäßchirurgie und Phlebologie am Elisabeth-Krankenhaus. Er appelliert darum: „Es ist wichtig, dass Patienten bei Beschwerden zu ihrem Hausarzt gehen, im Notfall auch direkt in die Klinik.“
Wäre der Patient später gekommen, hätte er sein Bein verloren
Genau das habe sein Patient Gerd Schulze gerade noch rechtzeitig getan. Zunächst hatte sich der 70-Jährige sorglos eine Blutblase am kleinen Zeh aufgestochen. Aufgrund seiner Diabetes-Erkrankung sei die Wunde jedoch nicht verheilt. Sie war durch diabetes-typische Durchblutungsstörungen verursacht worden, die sich auch im linken Bein bemerkbar machten.
Alarmiert ging Schulze ins Elisabeth-Krankenhaus, wo ihm der Zeh amputiert werden musste. Aber: „Wenn ich länger gezögert hätte, wäre ich um eine Amputation des Unterschenkels oder des gesamten Beines nicht herum gekommen.“
So sei es jüngst leider in vielen anderen Fällen geschehen, sagt Chefarzt Hoffmann. „Wir hatten bis zur Jahresmitte 30 solcher großen Amputationen, sonst sind es 40 im ganzen Jahr.“ Der Anstieg falle genau in die Corona-Zeit ab März: Risikopatienten fürchteten wohl, sich im Krankenhaus zu infizieren. Dabei gebe es in seiner Klinik strenge Sicherheitsvorkehrungen: „Es ist in der Gefäßchirurgie noch niemand positiv auf Covid-19 getestet worden.“
Für alte Menschen bedeutet eine Amputation oft den Verlust des sozialen Lebens
Hoffmann treibt das Thema auch deshalb um, weil es für alte Menschen fatale Folgen habe, ein Bein zu verlieren. „Für viele bedeutet das den Verlust ihres sozialen Lebens.
Wer vorher unabhängig und aktiv war, landet nach der Amputation im Pflegeheim und oft in der Isolation.“ Darum unternehme man auch bei hochbetagten Patienten alles, um die Durchblutung zu verbessern. Verengte Gefäße weite man etwa mittels Ballonanwendung oder durch das Einpflanzen von Stents. „Wir haben Patienten, die im Rollstuhl zu uns kommen und das Krankenhaus auf beiden Beinen verlassen.“
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Voraussetzung für solche Erfolge sei, dass die Betroffenen rechtzeitig kommen. „Wenn eine Schlagader über sechs Stunden verschlossen ist, ist es um ein Vielfaches schwieriger, sie wieder zu öffnen. Dann müssen wir oft Amputationen durchführen, die man hätte vermeiden können.“
Er ermuntere daher besonders Diabetiker und Patienten mit peripherer arterieller Verschlusserkrankung (PAVK), rasch auf Warnsignale zu reagieren. Eine nichtheilende Wunde wie bei Gerd Schulze könne auf Durchblutungsstörungen hindeuten. „Schmerzhafte Schwellungen der Beine können auf eine Thrombose weisen.“ Ein Facharzt könne diese mit einer Ultraschalluntersuchung einfach ausschließen.
Auch erste Anzeichen auf einen Schlaganfall möge man nicht unterschätzen, mahnt Hoffmann. Das könnten zeitweilige Sprachschwierigkeiten oder Sehstörungen ebenso sein wie ein Taubheitsgefühl in der Hand sein: „Fällt jemandem die Kaffeetasse aus der Hand, ist das ein typisches Schlaganfall-Frühsymptom.“ Und Anlass für einen Arztbesuch.
Je rascher operiert wird, desto geringer die Gefahr einer halbseitigen Lähmung
Je eher der Patient mit Halsschlagaderverengung operiert werde, „desto zuverlässiger kann ein großer Schlaganfall mit halbseitiger Lähmung verhindert werden“. Leider nähmen Betroffene aktuell diese Vorboten nicht so ernst – oder schätzten die Gefahr einer Corona-Infektion höher ein. „Allein in der vergangenen Woche haben die Operateure unserer Klinik acht Schlaganfallpatienten operiert, die schon vier bis sechs Wochen zuvor erste Symptome hatten.“