Essen. In Essen sind fast 1700 Lehrstellen unbesetzt - deutlich mehr als vor einem Jahr. Offenbar zögern die Firmen. Aber es gibt auch weniger Bewerber.

Kurzarbeit, Einstellungsstopp, drohende Entlassungen. Die Essener Wirtschaft kämpft noch stark mit den Folgen der Corona-Krise. Das spüren auch angehende Azubis. Für sie könnte es dieses Jahr schwerer werden, eine Lehrstelle zu finden. Denn die Unternehmen zögern vielfach noch beim Thema Ausbildung.

So sind kurz vor dem Ausbildungsbeginn am 1. August noch ungewöhnlich viele Ausbildungsplätze in Essen unbesetzt. Offensichtlich hat die Corona-Pandemie den Ausbildungsmarkt kräftig nach hinten geworfen. Die Chefin der Essener Arbeitsagentur, Andrea Demler, ist besorgt: „Es gilt, eine Corona-Generation zu vermeiden.“

Nach der jüngsten Erhebung der Arbeitsagentur waren Ende Juni in Essen noch 1684 Lehrstellen frei. Das sind fast 18 Prozent mehr als zum gleichen Zeitpunkt vor einem Jahr. Vor allem im Handel, in Büroberufen und im medizinischen Bereich gibt es noch offene Plätze.

Die gleichen Erfahrungen macht derzeit die Industrie- und Handelskammer in Essen. Sie zählt regelmäßig, wie viele Ausbildungsverträge tatsächlich abgeschlossen sind und hat daher ein sehr realistisches Bild. Die jüngsten Zahlen sind dramatisch: Ende Juni gab es 23 Prozent weniger Ausbildungsabschlüsse als vor einem Jahr. „Das sind schon erhebliche Rückgänge“, meint Geschäftsführer Franz Roggemann, bei der IHK für den Bereich Ausbildung zuständig. Vor allem im Einzelhandel und in der Gastronomie, die vom Lockdown besonders betroffen waren, sind die Rückgänge signifikant.

Trotz Kurzarbeit halten Unternehmen aber an Ausbildung fest

Arbeitsmarktexperten machen mehrere Gründe aus, woran es liegt, dass kurz vor Beginn des traditionellen Ausbildungsjahres noch viele Jugendliche ohne einen Lehrvertrag dastehen. Die Arbeitsagentur sieht den Hauptgrund in der Zurückhaltung der Unternehmen: „Wegen Corona, sind viele Ausbildungsverhältnisse noch nicht eingegangen worden. Betriebe in Kurzarbeit verschieben den Ausbildungsbeginn“, sagt Andrea Demler. Derzeit haben in Essen fast 5300 Unternehmen Kurzarbeit angemeldet.

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Während der Zeit des Lockdowns hatten Unternehmen offenbar andere Sorgen, als sich um die Einstellung von Azubis zu kümmern. Viele Mitarbeiter waren im Homeoffice, Bewerbungsgespräche fanden nicht statt. Und manche Firmen warten wohl auch noch ab, wie sich die Geschäfte in den kommenden Wochen entwickeln. „Aber es geht jetzt wieder los, dass die Unternehmen das Thema Ausbildung in den Fokus nehmen“, betont Ulrich Kanders, Hauptgeschäftsführer beim Essener Unternehmensverband.

Viele Betriebe wüssten, dass sie sich nur durch Ausbildung die Fachkräfte von morgen sichern können. Daran habe Corona nichts geändert. Auch die Arbeitsagentur stellt fest: „Bis dato sind von den Unternehmen kaum Ausbildungsplatzangebote storniert worden und der Wille, dieses Jahr weiter auszubilden, bleibt.“

Kanders erwartet, dass sich wegen Corona der Ausbildungsbeginn in vielen Unternehmen nach hinten verschiebt. „Ich denke, dass es sich in manchen Fällen sogar noch bis Anfang des nächsten Jahres hinzieht.“

Weniger Jugendliche interessieren sich für eine Berufsausbildung

Doch nicht nur bei den Unternehmen scheint es eine Zurückhaltung zu geben: So kommen Kanders zufolge aus den Unternehmen auch Hinweise, dass die Bewerbungen der Jugendlichen in diesem Jahr weiter zurückgegangen sind. „Personaler berichten uns, dass es dieses Jahr weniger Initiativbewerbungen gab. Und das trifft auch Unternehmen, bei denen man das nicht vermuten würde“, sagt er.

Die Top 10 der offenen Ausbildungsplätze

In Essen waren Ende Juni noch 1682 Lehrstellen unbesetzt. Das sind die Berufe, wo es die meisten Ausbildungsplätze noch gibt

Verkäufer/in 127

Kaufmann/-frau im Einzelhandel 112

Kaufmann/-frau - Büromanagement 112

Medizinische/r Fachangestellte/r 67

Zahnmedizinische/r Fachangestellte/r 60

Bachelor of Laws (FH) - Verwaltung 58

Bankkaufmann/-frau 53

Fachverkäuf.-Lebensm.handwerk - Bäckerei 42

Kaufmann - Groß-/Außenhandel - Großh. 40

Maler/Lackierer - Gestaltung/Instandh. 38

Für Schüler wie Betriebe ist die Arbeitsagentur Essen unter 0201 181 1234 zu erreichen.

Auch IHK-Ausbildungsexperte Roggemann glaubt, dass es zum Teil an den Jugendlichen liegt, dass es noch so wenige Ausbildungsverträge gibt. Viele haben sich offenbar noch nicht um eine Perspektive nach der Schulzeit gekümmert. Nicht gerade verwunderlich, meint Roggemann. Denn die klassischen Informationswege funktionierten wegen Corona nicht mehr. So gab es keine Berufsorientierung an den Schulen, Lehrstellenbörsen fanden nicht statt. Das Berufsinformationszentrum der Arbeitsagentur war geschlossen.

Das belegen auch die Zahlen: So meldeten sich bei der Arbeitsagentur in diesem Jahr bislang fünf Prozent weniger Schüler, die sich für eine Ausbildung interessieren. Aber auch bei den Berufskollegs, eine beliebte Alternative bei Jugendlichen, wenn sie sich nicht für eine Ausbildung in einem Unternehmen entscheiden wollen, sollen die Anmeldezahlen bislang niedriger sein als sonst. „Wir fragen uns deshalb gerade, wo die Jugendlichen sind“, meint Roggemann.