Essen. „Don Carlo“ vor dem Altenheim: Essens Philharmoniker erfüllen Wilma Schohsmann zum 82. Geburtstag einen Herzenswunsch – mit einem Opernnachmittag

Wer Geburtstag feiert, der hat natürlich Wünsche frei. Wilma Schohsmann muss man kein Geld mehr schenken, um glücklich zu sein. Wenn sie noch einen Wunsch frei hätte, dann sei das keine Million, sondern eine „Don Carlo“-Vorstellung im Aalto-Theater, hat die Seniorin einem Journalisten vor ein paar Wochen erklärt. Als sie das sagte, hatte die Corona-Pandemie gerade alle Kulturveranstaltungen lahm gelegt. Die Don Carlo-Premiere im Aalto war abgesagt. Die Produktion auf irgendwann verschoben. Und die schönen Opern-Tickets von Frau Schohsmann lagen nutzlos im Nachttisch.

Ungewöhnliche Kulisse für ein Bläser-Quintett: Tubist Alexander Kritikos (2. v. links) hatte die Idee zu diesem Hofkonzert im Malteserstift St. Bonifatius.
Ungewöhnliche Kulisse für ein Bläser-Quintett: Tubist Alexander Kritikos (2. v. links) hatte die Idee zu diesem Hofkonzert im Malteserstift St. Bonifatius. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Alexander Kritikos, Tubist der Essener Philharmoniker aber hatte von Schohmanns Herzenswunsch in dem FAZ-Artikel gelesen. Und handelte. Am 19. Juni, pünktlich zum 82. Geburtstag der an Krebs erkrankten Seniorin, erlebte „Don Carlo“ nun eine einzigartige Premiere im Innenhof des Bonifatiusstifts an der Selmastraße.

Große Stimmen, glühende Leidenschaft und musikalisch Erstklassiges auf ein bisschen Asphaltfläche. Es ist die Kunst der Improvisation, die die Vorstellung an diesem Nachmittag so unvergesslich macht. Dafür haben sie ein paar Stühle und Notenständer auf den Parkplatz gerückt, während Wilma Schohsmann mit glühenden Wangen hinter der geöffneten Terassentür des Heimrestaurants sitzt. Neben sich einen großen Blumenstrauß und ein Sektglas voller Mineralwasser, „wegen der Aufregung“. Für die Champagnerlaune müssen an diesem Nachmittag die Musiker sorgen, und die sind bestens vorbereitet.

Die Jubilarin ist aufgeregt: „Ich konnte es nicht glauben, bis sie alle da waren“

Alexander Kritikos hat eigens für den Nachmittag aus Schohsmanns Lieblingsoper „Don Carlo“ Passagen für ein Blechbläser-Quintett arrangiert. Auch ein Cello-Quartett der Essener Philharmoniker ist dabei. Und Aalto-Sopranistin und Publikumsliebling Jessica Muirhead lässt sich zusammen mit ihrem Partner Daniel Luis de Vicente von Solorepetitor Christopher Bruckman am E-Piano begleiten. Glut- und seelenvoll füllen die Töne und Stimmen den Innenhof. Und Schohsmann kann ihr Glück kaum fassen: „Ich habe es nicht geglaubt, bis sie alle da waren. Aber jetzt ist es Realität.“

Schon geht’s los mit der Ouvertüre. „Frau Schohsmann, sind Sie bereit?“, fragt Maria Schraa, Hausleiterin des Maltesterstift. Und dann darf die 82-Jährige endlich ihrem Lieblingskomponisten lauschen – Verdi.

Glutvoller Auftritt auch ohne große Bühnenkulisse: Aalto-Sopranistin Jessia Muirhead stimmt zusammen mit ihrem Mann, dem Opernbariton Daniel Luis de Vicente, Verdi-Duette an.
Glutvoller Auftritt auch ohne große Bühnenkulisse: Aalto-Sopranistin Jessia Muirhead stimmt zusammen mit ihrem Mann, dem Opernbariton Daniel Luis de Vicente, Verdi-Duette an. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

18 Jahre hat sie für den Essener Theaterring gearbeitet, kaum eine Premiere verpasst. An den legendären „Don Carlo“ von Dietrich Hilsdorf kann sie sich natürlich gut erinnern. „Die Leute haben getobt.“ Und nun ist Schohsmann wieder hingerissen, wie Daniel Luis de Vincente den Marquis von Posa singt. „Und das Duett aus ,La Traviata’, da wo Germont Violetta ausreden will, Alfredo zu heiraten: Wunderbar.“ Wilma Schohsmann kann die Stelle leise mitsingen, während Fernsehteams und Kameraleute um sie herumwuseln.

Dass ihr 82. Geburtstag in Corona-Zeiten alles andere als eine einsame Angelegenheit werden würde, das hätte die Essenerin vor ein paar Wochen nicht geahnt. Ihre Tochter lebt in Wien, lange schien der 19. Juni ein Tag zu werden wie derzeit viele: still und zurückgezogen. Doch nun steht sie im Mittelpunkt des Geschehens und nicht nur Hausleiterin Maria Schraa sagt andächtig: „Für uns ist das legendär.“

„Selbst zum Hundertsten gibt’s sowas wohl nicht noch mal“

Es freut auch Mitbewohner Günter Schwerdtfeger, der der Musik eine Glastür weiter mit Hingabe lauscht. „Seit März bin ich nicht mehr aus dem Haus gekommen. Das ist schon eine tolle Abwechslung“, erklärt der ehemalige Druckereileiter der WAZ und zwinkert Frau Schohsmann zu, die nach dem großen „Happy Birthday“-Finale mit Geigen und Trompeten am vorgehaltenen Mikrofon kaum noch ein Wort herausbekommt, außer „Danke“.

„Selbst zum Hundertsten gibt’s sowas wohl nicht noch mal“, seufzt die stolze Jubilarin leise zum Abschied. Auch wenn Frau Schohsmann inzwischen weiß, dass manche Wünsche in Coronazeiten tatsächlich in Erfüllung gehen.