Essen. Am 18. Juni 2019 starb Adel B. in Altendorf. Vor diesem Jahrestag und nach umstrittenen Rassismusvorwürfen bringen sich die Lager in Stellung.

Je näher der Jahrestag des gewaltsamen Todes Adel B.s bei einem Polizeieinsatz am 18. Juni in Essen-Altendorf rückt, desto mehr scheint sich in der Stadt die Debatte um angebliche Polizeigewalt und Rassismus zuzuspitzen: Bevor am Samstag voraussichtlich rund 200 Demonstranten im Stadtteil einmal mehr "Gerechtigkeit für Adel" fordern werden und nachdem eine Verdi-Sprecherin den tödlichen Einsatz an der Drügeshofstraße auf Nachfrage dieser Zeitung als Beispiel für rassistisch motivierte Gewalt bei der Essener Polizei angeführt hatte, haben sich die unterschiedlichsten Institutionen in Stellung gebracht.

Heiko Müller, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Essen/Mülheim, geht mit Verdi und seiner Kollegin Uschi Gerster hart ins Gericht: Einen Zusammenhang zwischen dem Mord an George Floyd in Minneapolis und der Essener Polizei herzustellen und unberechtigte Vorwürfe öffentlich zu verbreiten, "ist unsäglich und unerträglich", macht Müller in einem Schreiben an die Geschäftsführung der Verdi Ruhr-West deutlich. Die Richtigstellung, die die Gewerkschaft im Nachgang des Vorwurfs veröffentlicht hat, geht dem GdP-Mann beileibe nicht weit genug. Müller erwartet unter anderem eine eindeutigere Klarstellung und Distanzierung: „Ich denke, es ist nicht zu viel verlangt, wenn sich Frau Gerster für ihre Aussagen entschuldigt."

Generalstaatsanwaltschaft stuft Handeln der Polizei als Notwehr ein

Polizeipräsident Frank Richter hatte in der vergangenen Woche in einem Interview mit dieser Zeitung "so etwas wie systemischen Rassismus" bei der Polizei ausgeschlossen und noch einmal betont, dass der Fall Adel B. zuletzt von der Generalstaatsanwaltschaft eindeutig als Notwehr eingestuft worden sei. Zuvor hatte Oberbürgermeister Thomas Kufen Gersters Vorwurf als "völlig inakzeptabel" bezeichnet und von einer "bewussten Diffamierung“ der Beamten gesprochen.

Diese Reaktion des OB ist für Vertreter des Anti-Rassismus-Telefon wiederum Anlass für einen Offenen Brief, in dem sie ihre "Empörung" über die Haltung der Stadtspitze zum Ausdruck bringen. Kufens Einlassung erscheine als "willkommene Ablenkung und Spiegelfechterei", die einem Zweck dienten: So müsse man nicht über die "zum Teil ungeheuerlichen Fälle sprechen, die in den letzten Wochen und Monaten in Essen öffentlich geworden sind".

Polizei Bochum ermittelt in drei Fällen angeblicher Gewalt durch Beamte

Dabei wird nicht nur auf den Todesschuss in Altendorf, sondern auch auf drei weitere "offene" Verfahren angespielt: Nach einem aus dem Ruder gelaufenen Einsatz wegen Ruhestörung bei einer Familie an der Zinkstraße in Essen-Bochold stehen Misshandlungsvorwürfe gegen rund ein Dutzend Polizeibeamte im Raum. Die Bochumer Polizei ermittelt, wie auch nach zwei weiteren Einsätzen, bei der es zu Gewalt durch Beamte gekommen sein soll.

Anfang März sollen Polizisten Mitglieder einer dunkelhäutigen Familie, die wegen eines gestohlenen Portemonnaies Anzeige erstatten wollten, auf der Wache rassistisch verhöhnt und verprügelt haben. Die Behörde zeigte sich entsetzt über die Vorwürfe und wies sie genau so zurück wie die, die nach einem angeblichen Übergriff auf einen Türken mit libanesischen Wurzeln erhoben wurden. Der hatte in einem Video auf Facebook die „grundlose Gewalt und die rassistischen Beleidigungen“ angeprangert, die er im Gewahrsam durch Essener Polizisten erlitten habe. In allen drei Fällen laufen die Ermittlungen noch, sagte Frank Lemanis, Sprecher der Polizei Bochum am Montag auf Nachfrage.

Linke solidarisiert mit dem Sprecher von "Essen stellt sich quer"

Für die Linke Essen ist indes klar: "In der Polizei existiert wie in allen Teilen der Gesellschaft struktureller Rassismus", mit dem sich "auf allen gesellschaftlichen Ebenen" auseinandergesetzt werden müsse. Linke Solidarität gelte im Übrigen auch für den Sprecher von "Essen stellt sich quer". Der kassierte eine Anzeige der Polizei Essen wegen Beleidigung, nachdem er behauptet hatte, der Stadtteil Altendorf „sei immer wieder Ziel rassistischer Kontrollen durch die Polizei“ geworden. Der Kreisverband der "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) fordert "Schluss mit der Diffamierungskampagne gegen Uschi Gerster" und ist überzeugt: "Rebellion gegen Rassismus und Antikommunismus ist gerechtfertigt."

Das Sozial Liberale Bündnis Essen hingegen spricht von haltlosen Vorwürfen gegen die Polizei, die "vollkommen daneben" seien und letztlich "unser aller Sicherheit schaden".