Essen-Heisingen. . Willy Schüffler ist einer der letzten Schirmmacher-Meister Deutschlands. Der verregnete Sommer stört ihn keinesfalls – zumindest nicht beruflich.

Privat mag Willy Schüffler sonniges Wetter, da sein großes Hobby das Motorradfahren ist. Beruflich aber kurbelt der verregnete Sommer sein Geschäft an: Der 69-Jährige ist Schirmmacher und führt in Heisingen den letzten Meisterbetrieb Deutschlands, der eine nennenswerte Herstellung vorweisen kann. Rund 2500 Schirme werden pro Jahr an der Heisinger Straße 501 gefertigt und weltweit verkauft.

„Die Heisinger sind mit Schirmen versorgt“, sagt Willy Schüffler schmunzelnd, dessen Hauptstandbein heute das Internet-Geschäft ist. Pakete packen und nach Israel, Russland oder Portugal zu verschicken, gehört auch zu seinen Aufgaben in dem Handwerksbetrieb.

Weiterer Meister ist seit 62 Jahren im Betrieb

In dem sind neben seiner Frau Claudia auch Näherin Jennifer Kossuch

Als junger Mann kam Walter Wagner (82) zur Manufaktur Schüffler, wurde Schirmmacher-Meister und blieb bis heute. Auf dem Bild drechselt er einen Stock.
Als junger Mann kam Walter Wagner (82) zur Manufaktur Schüffler, wurde Schirmmacher-Meister und blieb bis heute. Auf dem Bild drechselt er einen Stock. © Socrates Tassos

(32) und Schirmmacher-Meister Walter Wagner (82) beschäftigt, der als junger Mann zu den Schüfflers kam. Sein Arbeitsplatz ist die Werkstatt, die man über den Hinterhof an der Heisinger Straße 501 erreicht. Dort stapeln sich zahllose Kartons mit Griffen, reihen sich Gestelle in Vitrinen aneinander, sind Regale mit Stöcken gefüllt. Diese drechselt der Meister, setzt Federn ein oder verschraubt abgebrochene Griffe. Sein Wissen und Können ist nicht zu ersetzen. Immerhin ist Schirmmacher seit 1998 kein Ausbildungsberuf mehr. Und so steigt Walter Wagner morgens in Kray weiterhin auf sein Motorrad und fährt zur Arbeit – seit 62 Jahren.

Begonnen hat die Historie des Betriebes bereits 1920 am Kornmarkt, als Großmutter Anni Schüffler ihren Kohlenhandel am Viehofer Platz aufgab und ins Schirmgewerbe wechselte. Es waren Zeiten, als die benachbarte Limbecker Straße eine der bedeutenden Einkaufsmeilen Europas gewesen ist und Deutschland eine Schirm-Nation, erzählt Schüffler. Das Gewerbe florierte nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1970er Jahre.

Vom Kornmarkt ans Kettwiger Tor

Schüfflers zogen bereits in den 1950ern in der Essener Innenstadt mit

Das Gründungsjahr 1920: Großmutter Anni Schüffler (r.) mit einem Lehrmädchen am Kornmarkt.
Das Gründungsjahr 1920: Großmutter Anni Schüffler (r.) mit einem Lehrmädchen am Kornmarkt. © Schüffler

ihrem Unternehmen ans Kettwiger Tor, wo sie zeitweise bis zu 24 Näherinnen beschäftigten. Für Willy Schüffler selbst war der Schirmmacher-Beruf in seiner Jugend weniger ein Traumjob. Doch er wuchs in den Familienbetrieb hinein, beschäftigte sich zunehmend mit Textilien und absolvierte schließlich sowohl die kaufmännische als auch die handwerkliche Ausbildung. 1975 übernahm er den Betrieb.

Heute kümmert sich der Schirmherr neben der Produktion und Reparatur auch um die Heisinger Werbegemeinschaft, deren Büro er leitet. Er gehört zudem zur Interessengemeinschaft der Schirm- und Stockhändler aus Deutschland und Österreich mit dem Ziel, das Qualitätsgefühl für Schirme hochzuhalten. 26 Millionen würden jedes Jahr in Deutschland verkauft, die meisten aber, sagt Schüffler, stammten nun aus Fernost. „Als die Billigware den Markt flutete, bekämpften sich deutsche Hersteller statt Kräfte zu bündeln, so dass bekannte Marken verschwanden“, fasst er die Entwicklung seiner Branche zusammen und sagt: Billigschirme verursachten jede Menge Müll und hätten etwa den gleichen Effekt wie eine Zeitung über dem Kopf.

Online-Geschäft sichert das Fortbestehen

Willy Schüffler hat das Fortbestehen seines Unternehmens vor allem mit

Materialien machen Schirme wertvoll: ein Griff mit Swarovski-Kristallen.
Materialien machen Schirme wertvoll: ein Griff mit Swarovski-Kristallen. © Socrates Tassos

dem Online-Geschäft gesichert. „Dadurch habe ich heute Kunden, an die hätte ich zu den besten Zeiten auf der Kettwiger Straße nicht gedacht“, sagt er zufrieden. Und so entstehen in Heisingen nach wie vor handgemachte Stock- und Taschenschirme. 1998 zog die Manufaktur in den Stadtteil, den Willy Schüffler aus seiner Kindheit kannte. Geboren wurde er zwar in Huttrop, sein Paddelboot aber lag am Baldeneysee, erinnert er sich. Inzwischen lebt er seit rund 30 Jahren in Heisingen, wo zahlreiche Kunden die Werkstatt ansteuern, um Schirme reparieren zu lassen, die sie noch bei seinem Vater kauften.

„Topaktuell sind Schirme mit Karomuster“, sagt Willy Schüffler zum Trend. Darunter seien auch Karos, die Prinz Charles auf seiner Hose trägt, sagt er augenzwinkernd. Die Herren wählten jedoch oft schwarze oder graue Modelle, während die Frauen farbenfroher und mutiger seien. Der Meister fertigt aber auch ganz individuelle Exemplare, die die Kunden mit Bildern ihrer Hunde, Katzen oder Landschaften bedrucken lassen. „Preislich fangen die Heisinger Eigenproduktionen bei 50 Euro an, nach oben gibt es kaum eine Grenze“, sagt Schüffler.

„Das Qualitätsmerkmal ist die Anzahl der Speichen“

© Schüffler

Über den Wert entscheiden Materialien: Wer einen Griff mit Swarovski-Kristallen oder aus Sterling-Silber wünscht, zahlt bis zu 800 Euro. Bei den Stoffen wählen die Kunden zwischen Baumwolle, für eher schwere, rustikale Modelle und synthetischen Produkten wie Mikrofaser (haltbar und wasserabweisend) oder Nylon. Aus den Stoffbahnen schneidet Willy Schüffler keilförmige Stücke, zehn für jeden Schirm. „Eine Millimeterarbeit“, sagt er, da der Schirm sonst flattere oder überspanne. An der Nähmaschine, die wie auch der Stopfdämpfer und der Schnellnäher seit Jahrzehnten bei den Schüfflers rattert, fertigt Jennifer Kossuch den Bezug. Die Gestelle für den Schirm gibt es aus leichtem Carbon, Stöcke gern auch aus gängigen Hölzern (Rotbuche) oder Kastanienwurzelrinde.

Das Qualitätsmerkmal eines Schirmes sei jedoch die Anzahl der Speichen, betont der Meister. „Genau zehn müssen es sein, wegen der Spannung und der optimalen Gestell-Geometrie“, erklärt Schüffler, für den die Schirme längst nicht nur Arbeit, sondern auch Leidenschaft bedeuten. Zuhause zählen rund 200 wertvolle und seltene Modelle zu seiner privaten Sammlung, und beruflich denkt er noch lange nicht ans Aufhören. Immerhin hat sein Vater noch mit 80 Jahren in der Werkstatt gestanden – da wird Willy Schüffler seine Kunden so schnell nicht im Regen stehen lassen.

>>EIN AUSSTERBENDES HANDWERK

Die Zahl der Schirmmacher-Meister in Deutschland schätzt Willy Schüffler heute auf höchstens 20, von denen er die meisten kennt. Der Unterschied: Die Kollegen etwa aus Hamburg oder Weimar produzieren nicht mehr oder nur wenige Exemplare.

Die Ausbildung wurde 1998 eingestellt, die Innung in NRW aufgelöst, da es zu wenig Azubis gab. Schüffler könne zwar jemandem das Handwerk beibringen, aber statt Gesellen- oder Meisterbrief gäbe es ein Zeugnis.