Essen. Keine Reisen, kaum Veranstaltungen, Fitnessstudios lange dicht: Die Bürger schwingen sich aufs Rad. Handel und Werkstätten sind überlaufen.

Die Corona-Krise beflügelt den Umsatz in Essens Fahrradgeschäften. Die Händler registrieren eine nie dagewesene Nachfrage in allen Sparten. Das betrifft sowohl neue Räder als auch Reparatur-Aufträge: Wer jetzt sein Rad in die Werkstatt bringt, muss Wartezeiten in Kauf nehmen, die bis in den Monat Juli reichen. Unter sechs bis acht Wochen geht derzeit fast gar nichts.

„Als wir unser Geschäft endlich wieder öffnen durften, kamen die Leute mit ihren 20 Jahre alten Rädern aus dem Keller“, berichtet Verkäufer Thommy vom Bredeneyer Fachgeschäft „Loco Cycles“. „Die Leute berichten, dass sie nach langer Zeit mal wieder aufs Rad steigen. Denn das meiste war ja lange verboten, und Zeit zum Ausmisten hatten viele Leute auch.“

Kunden: „Uns bleibt ja nur das Radfahren“

Fitnessstudios, Schwimmbäder, Sporthallen – alles hat oder hatte lange geschlossen. „Uns bleibt ja nur das Radfahren, berichten die Kunden“, sagt auch Stephan Klasen, der in Kupferdreh das Rad-Geschäft „Bergetappe“ betreibt. Bei neuen Fahrrädern bleibt das Thema „E-Bike“ dominierend - in allen Sparten und sämtlichen Generationen: „Mittlerweile kommen auch 30-Jährige, die nach Mountainbikes mit Motor fragen.“ Die Zuwachs-Raten seien weiterhin „enorm, davon kann die Auto-Industrie nur träumen.“

Die Corona-Krise hat auch die Nachfrage nach neuen Kinder-Rädern angeschoben: „Zu uns kommen Familien, die decken sich komplett neu ein“, heißt es bei „Loco Cycles“ in Bredeney. Modelle mancher Marken sind derzeit im ganzen Ruhrgebiet vergriffen. Und Verena Baumgarten vom „Fahrradladen“ auf der Huyssenallee (Südviertel) geht davon aus, dass „die Kunden das Geld, das sie eigentlich für ihren Sommerurlaub ausgeben wollten, jetzt in ein neues Fahrrad investieren.“ In ihrem Geschäft seien derzeit rund 90 Prozent aller verkauften Neu-Räder E-Bikes. „Sonst, vor Corona, waren es 40 bis 60 Prozent.“ Einen Ansturm wie im Moment hat Verena Baumgarten „noch nie“ erlebt. Sie ist seit 18 Jahren in der Branche beschäftigt.

Fahrrad woanders gekauft? Dann kein Termin möglich

Wegen der unklaren Lage an den Grenzen werde für viele Bürger auch das Rad-Reisen innerhalb von Deutschland interessant: „Wir merken, dass Kunden kommen mit speziellen Wünschen nach hochwertigen Reise-Rädern, die gut bepackbar sind“, berichtet Stephan Klasen vom Geschäft „Bergetappe".

Routentipps in Essen im Internet

Die Stadt Essen betreibt eine Internet-Seite, die gute Routen-Tipps versammelt. Die Routen sind als Karten kostenfrei herunterzuladen. Unter der Adresse perpedal.essen.de gibt es zum Beispiel Thementouren: die „Biergarten-Tour“, die „Krupp-Tour“, die „Kirchen-Tour“ in mehreren Abschnitten und viele mehr.

Die Homepage versammelt außerdem Links zu Radverbänden, wichtige Nord-Süd- und Ost-West-Achsen für Radler im Stadtgebiet und einen - zugegebenermaßen etwas sperrigen - Routenplaner.

Die gestiegene Nachfrage spüren alle Rad-Händler - die kleinen, inhabergeführten Geschäfte wie auch die großen Filial-Betriebe. Bei ihnen, den großen, kommt man derzeit telefonisch nur schwer durch, und beim Traditionsbetrieb „Schlitzer“ an der Stadtteilgrenze Rüttenscheid/Bredeney hören Anrufer direkt vom Band die Ansage: Reparatur-Aufträge werden derzeit nur dann entgegengenommen, wenn das Rad auch vor Ort gekauft wurde.

Auftragslage ist schon lange gut

Dabei war die Auftragslage in den Essener Rad-Werkstätten schon gut, bevor sich Corona ausbreitete: Schon im Februar berichteten Essener Händler auf der Rad-Messe, dass Kunden mehrere Wochen Wartezeit hinnehmen müssten - das lag damals vor allem an den E-Bikes, die längere Zeit in der Werkstatt brauchen. Doch Corona hat die Lage nochmal deutlich verschärft.

„Die Leute hatten viele Wochen Zeit zum Aufräumen, da soll jetzt auch ein altes Rad mal wieder flott gemacht werden“, sagt Arnd Bauch, der bei „Tretobratze“ arbeitet, einem Geschäft an der Friedrich-Ebert-Straße (nördliche Innenstadt). Immerhin: Bei ihm dauert es bis zum nächsten freien Werkstatt-Termin nur drei Wochen. Noch.