Essen. Essener Schulleiter begrüßen den Schulstart im Mai. Dass das Land an Abi- und Abschlussprüfungen festhalten will, sehen einige aber kritisch.

Essener Schulleiter begrüßen den auf den 4. Mai verschobenen Schulstart. Den nordrhein-westfälischen Sonderweg dürften viele dagegen mit Sorge sehen: Landesschulministerin Yvonne Gebauer kündigte am Mittwochabend an, dass die Schulen „wenige Tage“ nach dem 20. April „für die Schülerinnen und Schüler wieder öffnen, für die Abschlussprüfungen anstehen“.

„Wir hätten uns nicht in der Lage gesehen, die nötigen Hygienemaßnahmen bis Montag, 20. April, umzusetzen“, sagt Olaf Kehlert, Leiter der Geschwister-Scholl-Realschule in Borbeck und Sprecher der Essener Realschulen. Deswegen hatten die Realschulen am Mittwoch noch einen Brief an die Bezirksregierung in Düsseldorf verfasst, in dem sie vor einem Schulstart gleich nach den Osterferien warnten.

Eine Handvoll Seifenspender für die ganze Schule

In dem Schreiben weisen die Realschulleiter etwa auf praktische Probleme hin, die die vom Land festgelegten Hygienestandards mit sich bringen. „Da wird etwa eine Grundreinigung der Schulen angeregt. Dabei sind die Reinigungskräfte der Stadt derzeit in Kurzarbeit“, sagt Kehlert. Angesichts der personellen Situation frage sich auch, wer täglich die Schultische und andere Oberflächen desinfizieren solle.

Selbst für die Hand-Hygiene seien die Schulen bisher bestenfalls notfallmäßig gerüstet, sagt Kehlert. Vor der Schließung habe die Stadt Seifenspender und Papierhandtücher geschickt. „Aber wir haben weder fest installierte Seifen- noch Handtuchhalter.“ Sprich: Die Papiertücher lägen offen am Waschbecken, den Seifenspender nehme jedes Kind in die Hand. Auch verschließbare Abfalleimer fehlten in seiner Schule. Das dürfte kaum den Regeln entsprechen, die nötig seien, um das Ansteckungsrisiko mit dem Coronavirus einzudämmen.

Die Seifenvorräte reichten bestenfalls für ein paar Tage, den weiteren Bedarf habe er angemeldet. Wann er mit einer neuen Lieferung rechnen darf, sei ebenso offen, wie die Frage: „Mit wie vielen Lehrkräften die einzelnen Schulen überhaupt starten können.“ Klar sei, dass ältere und vor-erkrankte Lehrer nicht unterrichten sollen, „aber reicht es, wenn mir ein Kollege sagt, er habe eine relevante Vorerkrankung - oder muss er ein Attest vorlegen?“

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Mit einem deutlich verkleinerten Kollegium sei es umso schwieriger, Klassen zu teilen, um die Abstandsregeln beachten zu können. „Und wie sollen die in der Pause oder auf dem Schulweg in Bus und Bahn eingehalten werden?“ fragt Kehlert. Die Schulleiter hätten eine Fürsorgepflicht gegenüber Kindern und Kollegen, darum hätten sie die Risiken jetzt in ihrem Brief an die Bezirksregierung benannt.

Mindestens ein Drittel des Kollegiums zählt zur Risikogruppe

Julia Gajewski, die die Gesamtschule Bockmühle in Altendorf leitet, teilt Kehlerts Bedenken: So seien an ihrer Schule 25 Seifenspender eingetroffen – für 1450 Schüler. Der vom NRW-Schulministerium ursprünglich angepeilte Schulstart nach den Osterferien sei „ein Witz“ gewesen, sagt Gajewski. „Auch weil nach einer groben Schätzung ein Drittel unseres Kollegiums nicht arbeiten kann.“ An anderen Schulen geht man davon aus, dass die Hälfte der Lehrer zur Risikogruppe gehören, an den Hauptschulen sind es nach Einschätzung der Lehrergewerkschaft GEW sogar 75 Prozent.

Ein Schulstart gleich nach den Osterferien wäre „ein Witz“ gewesen, sagt Julia Gajewski, die die Gesamtschule Bockmühle in Essen-Altendorf leitet.
Ein Schulstart gleich nach den Osterferien wäre „ein Witz“ gewesen, sagt Julia Gajewski, die die Gesamtschule Bockmühle in Essen-Altendorf leitet. © Marc Albers

Die lange Schließung bereitet Gajewski auch Bauchschmerzen: Viele ihrer Schüler lebten in prekären Verhältnissen und hätten zu Hause kaum oder keine Unterstützung: „Es tut schon weh, die Kinder nicht zu sehen.“ Denen gehe es umgekehrt offenbar genauso: „Die rufen die Lehrer an und fragen, wann es wieder losgeht.“ Im jetzigen Hausunterricht versäumten die Schüler viel Stoff. Gajewski hält daher wenig davon, die anstehenden Prüfungen noch durchzuführen wie es die Schulministerin plant. „Für unsere Schüler wäre es ein massiver Nachteil, wenn sie in dieser Situation Abiturprüfungen ablegen sollten.“

Sie halte es daher für gerechter, den persönlichen Notenschnitt aus den Vorjahren als Abischnitt zu nehmen. Beides weiche meist ohnehin kaum voneinander ab. Auch für die Schüler, die jetzt vor dem Abschluss der Realschule stünden, sei ein solches Vorgehen vernünftig, meint Olaf Kehlert: „Die bisher erbrachten Leistungen sind eine angemessene und faire Grundlage für die Notengebung.“

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