Das corona-bedingte Besuchsverbot macht Bewohner von Altenheimen einsam. Im Seniorenstift St. Franziskus in Essen senden Verwandte nun Videoclips
Michael Schütz ist kein Youtuber, trotzdem produziert der 49-Jährige neuerdings kleine Videoclips. Er hat nur einen Follower, aber dem bedeuten die Nachrichten umso mehr: Bernhardine Schütz, seine Mutter. Die 78-Jährige lebt im Seniorenstift St. Franziskus in Bedingrade, wo vor knapp drei Wochen ein Besuchsverbot verhängt wurde, um die Bewohner vor dem Coronavirus zu schützen. „Ich möchte meiner Mutter ein Lächeln schenken“, sagt Schütz. Und das machen inzwischen viele Angehörige per WhatsApp, Video-Telefonat oder gefilmter Botschaft – unterstützt von den Mitarbeitern des Seniorenheims.
Videoclips entstehen ungeschminkt und in der Küche
Es war der Altenpfleger Detlef Nachtwey, der Schütz nach einer Woche Besuchsverbot vorschlug, er solle doch mal ein Foto für seine Mutter schicken. Die alte Dame ist dement, wenn sie etwas überfordert, wird sie erst ängstlich, dann häufig aggressiv. „Telefonieren geht deswegen leider gar nicht“, sagt Michael Schütz. „Das macht ihr nur Angst.“ Also nahm er das Angebot gern an, Bilder auf Nachtweys Smartphone zu schicken und fragte: „Soll ich nicht gleich ein Video machen?“
Schütz produziert seine Filme „ungeschminkt und in der Küche“, er spricht langsam, wiederholt manche Sätze, beruhigt die Mutter. Sie hätten sich schon lange nicht gesehen und das mache ihn auch traurig, „aber jetzt auf diesem Film sehen wir uns“. Das Experiment gelang besser als erhofft, wohl auch weil der Detlef Nachtwey sie so sensibel mit dem neuen Medium bekannt gemacht habe.
„Am besten erreiche ich meine Mutter, wenn ich singe. Daran hat sie Freude“, sagt Schütz. Sein Repertoire umfasst vor allem Volks- und Fahrtenlieder wie „Horch, was kommt von draußen rein“, „Lustig ist das Zigeunerleben“, „Die Gedanken sind frei“ oder „Wenn die bunten Fahnen wehen“. Die Tipps gibt ihm seine Tante, die den Geschmack der Schwester kennt. Wenn seine Mutter die Videos sehe, singe sie sogar mit.
Senioren greifen nach dem Tablet, um Sohn oder Tochter zu berühren
Drei Clips hat er bislang geschickt, der vierte ist in Arbeit. An Material mangelt es nicht; auch Gedichte wie Schillers Glocke sind der alten Dame vertraut, wobei Schütz sich auf die berühmte erste Strophe des 30-strophigen Werks beschränken würde.
Mittlerweile hat das Seniorenstift St. Franziskus den Impuls von Pfleger Nachtwey aufgenommen und ermöglicht den Angehörigen aller 104 Bewohner, digitale Grußbotschaften zu senden. „Wir haben ein Tablet angeschafft, weil das einen größeren Bildschirm hat als ein Smartphone. Die Filme kann man direkt auf die Telefonnummer des Geräts schicken“, erklärt der Leiter des Hauses, Jan Sonnenfeld. Die Familien wurden informiert, dass man den neuen Draht zu ihren Lieben ab Montag (30.3.), 9 Uhr freischalte – der erste meldete sich um 9.06 Uhr.
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Die einen erzählen, andere schicken ein Flötenkonzert – und alles trifft ins Herz der alten Menschen. Es gebe keine Scheu vor dem Gerät, die Bewohner gingen sofort ganz natürlich damit um. Mancher greife sogar nach dem Tablet, um Sohn oder Tochter zu berühren. „Es gibt hier sehr emotionale Momente, wir brauchen jetzt viele Taschentücher“, sagt Sonnenfeld.
Enkel können jetzt per WhatsApp mit Oma und Opa plaudern
Als er vor knapp drei Wochen erklären musste, dass keine Besucher mehr kommen dürften, habe es viele besorgte Fragen gegeben: „Wie lang soll das gehen?“, „Wie soll ich jetzt meinen Geburtstag feiern?“ Ehepartner, die noch zu Hause wohnen, seien verzweifelt gewesen, dass sie den geliebten Menschen nicht sehen sollten. Nun sehen sie einander, können sich sogar ganz direkt austauschen: Zweimal am Tag bietet das Seniorenstift Zeitfenster für Video-Telefonate an.
Sonnenfeld sieht in dem Angebot, das in einer nie gekannten Krisensituation entstanden sei, auch eine Chance für den Post-Corona-Alltag: „Per WhatsApp und Video-Chat könnten nun auch Enkel, die in anderen Städten oder im Ausland leben, Kontakt zu Oma und Opa halten.“
Belastende Situation für Pflegekräfte
Alte Menschen sind durch das Coronavirus besonders gefährdet, dementsprechend hoch sind die Sicherheitsauflagen für Alten- und Pflegeheime. Für die Mitarbeiter sei das natürlich belastend, sagt Jan Sonnenfeld. Er leitet das Seniorenstift St. Franziskus in Essen-Bedingrade, das zur Contilia-Gruppe gehört.
Bei allen Sorgen sei sein Team aber sehr motiviert und mache viele Anregungen. So entstand nicht nur das Angebot an Angehörige, Videobotschaften zu schicken. Es gebe auch eine Kollegin, die gelernte Friseurin sei. Weil Friseursalons geschlossen sind, komme sie nun an ihren freien Tagen, um Bewohnern die Haare zu schneiden. Das sei mehr als ein Haarschnitt, sagt Sonnenfeld: „Das ist Balsam für die Seele.“