Ruhrgebiet/Bochum. Soziale Distanzierung ist angesagt. Der Corona-Abstand trifft Menschen auch emotional. Aber nicht nur Senioren tragen ein Risiko, einsam zu sein
Einsamkeit in Zeiten von Corona ist das Thema, mit dem sich Susanne Bücker derzeit wissenschaftlich beschäftigt. Die 27-Jährige lehrt und promoviert an der Ruhr-Uni Bochum am Lehrstuhl für psychologische Methodenlehre. Einsamkeit, Glück, Persönlichkeit und Wohlbefinden sind sonst ihre Themen, aber nun steht erstmal eine Studie zu den Auswirkungen der Krise an.
Macht Quarantäne zwangsläufig einsam?
Wir unterscheiden zwischen Alleinsein und Einsamkeit. Einsamkeit beschreibt die wahrgenommene Diskrepanz zwischen den Beziehungen, die wir haben und denen, die wir uns wünschen. Sowohl hinsichtlich der Qualität, als auch hinsichtlich der Quantität. Es ist also sowohl relevant wie tiefgreifend meine Beziehungen sind, als auch, ob ich genug Personen habe, an die ich mich wenden kann. Das Alleinsein dagegen ist ein objektiver Zustand und kann auch als positiv wahrgenommen werden, zum Beispiel, wenn man sich in die Natur begibt. Aber die meisten Menschen sind soziale Wesen und brauchen soziale Kontakte. Wenn ihnen die nun genommen werden, kann es dazu führen, dass Menschen sich einsam fühlen.
Gibt es auch gegenläufige Faktoren? Kümmern sich Menschen zum Beispiel verstärkt um Nachbarn?
Empirische Daten liegen dazu noch nicht vor. Aber es ist denkbar, dass die Menschen nun denken: Wir sitzen alle im gleichen Boot. Wir müssen alle zusammen gegen diese Pandemie ankämpfen. Es gibt ja bereits verschiedenste Aufrufe, dass man sich gerade um ältere Nachbarn kümmern soll. Dass man ihnen anbieten könnte, Einkäufe zu erledigen. Wir stehen nun vor einem Scheideweg: Entweder die Menschen solidarisieren sich und sehen die aktuelle Herausforderung als Chance. Oder das Gegenteil passiert und Menschen werden zunehmend einsam.
Was bewirkt die Einschränkung von Besuchen in Seniorenheimen?
Auch das ist nur Spekulation, aber aus meinen eigenen Erfahrungen stelle ich fest, dass meine Großeltern zum Beispiel die Situation gar nicht so mitbekommen, wie wir das tun, da Informationen und tagesaktuelle Änderungen nicht so schnell abgerufen und nachvollzogen werden können. Für diese älteren Menschen ist es erst einmal eine Situation, die sie gegebenenfalls nicht vollumfänglich begreifen können. Sie stellen fest, dass sie weniger Besuche erhalten. Und ich kann mir gut vorstellen, dass dies Sorgen, Fragen und Ängste auslöst.
Es trifft ja auch demente Menschen.
Demenz ist ja ein hochkomplexes Krankheitsbild. Für Menschen, die keinen Bezug mehr zur aktuellen Welt haben und die sehr schnell vergessen, wen sie gerade gesehen haben, wird sich die Situation anders darstellen, als für Menschen, die in einem Anfangsstadium sind. Man kann hier also keine generelle Aussage treffen.
Was können Enkel und Kinder nun tun?
Die Empfehlungen gehen hin zu telefonischem oder digitalem Kontakt. Der kann sehr wahrscheinlich nicht den physischen Kontakt ersetzen, vor allem, wenn die Distanzierung über längere Phasen fortgesetzt wird. Aber die Distanzierung kann sicher abgepuffert werden, wenn man mit Freunden und Familienangehörigen im regelmäßigen Austausch bleibt.
Ist Video besser als das Telefon?
Ich würde sagen, dass Video mehr davon wiedergibt, was wir sonst im realen Kontakt erleben. Man sieht sofort, wie jemand reagiert, nimmt die Mimik und Gestik wahr. Entsprechend kann Video einen Vorteil bieten, indem so Nähe aufgebaut und ein besserer Austausch ermöglicht wird.
Wenn trifft die Situation noch?
Einsamkeit ist ein Phänomen, das über die gesamte Lebensspanne hinweg auftreten kann. Auch das junge und mittlere Erwachsenenalter ist eine vulnerable Phase. Wenn Familiengründung ein Thema wird, wenn man sich beruflich etablieren muss und verschiedenste Interessen gleichzeitig verfolgen müsste. Junge Erwachsene definieren sich auch stark über soziale Kontakte. Und wenn ganze Unterstützungsnetzwerke wegbrechen, kann das eine große Herausforderung sein. Gerade, wenn man an junge Familien denkt, die mit ihren Kindern nun die ganze Zeit zu Hause sein müssen. Auch das kann mit Einsamkeit einhergehen - und mit anderen zwischenmenschlichen Problemen.
Auch Kinder haben nun weniger soziale Kontakte.
Hier gelten ähnliche Empfehlungen wie bei den ganz alten Menschen: Auch jüngere Kinder verstehen die Situation noch nicht, und dass diese soziale Distanzierung einem höheren Ziel dient. Für sie steht im Vordergrund, dass sie ihre Freunde nicht treffen können und darüber entsteht vielleicht Unmut, der von den Eltern aufgefangen werden muss, was wiederum für das ganze Familiensystem eine große Herausforderung darstellt. Aber selbst jüngeren Kindern kann man versuchen, die Lage bestmöglich und kindgerecht zu erklären.
Ist digitaler Kontakt auch für Kinder empfehlenswert, zum Beispiel das Videogespräch mit dem Kindergartenfreund?
Wenn man es gut begleitet, spricht erst mal nichts dagegen. Je nach Altersgruppe kann man das gut machen.
Wie wirkt sich die Situation auf Menschen mit psychischen Problemen aus?
Wer verletzlicher ist und anfälliger, sich Sorgen um die Zukunft zu machen, wird stärker betroffen sein, weil das Thema Corona alles dominiert. Auch Menschen, die eine Tendenz haben, traurig und nachdenklich zu sein, würden eigentlich sehr von sozialen Kontakten profitieren. Es ist häufig eine therapeutische Maßnahme für depressive Menschen, Aktivitäten aufzubauen. Wenn das jetzt stark eingeschränkt wird, kann das zu Problemen führen. Zwei Wochen Quarantäne alleine werden wahrscheinlich nicht direkt eine schwere Depression auslösen. Aber je länger der Zustand anhält, desto kritischer wird es.
Was kann man diesen Menschen empfehlen?
Auch hier ist digitaler Kontakt als Ersatzmedium erstmal das geeignetste Mittel. Psychotherapeutische Behandlung findet zumindest aktuell weiter statt. Es wird viel darüber diskutiert, ob das digital fortgeführt werden kann, wenn es zum Äußersten kommt. Generell sollte man sich austauschen und vermitteln, dass man nicht alleine ist in dieser Situation, sondern dass es gerade sehr vielen Menschen so geht. Dass sie sich ähnliche Gedanken und Sorgen machen. Und ich glaube jeder einzelne kann versuchen, anderen Menschen zuzuhören und einmal nachzufragen, wie es dem Gegenüber gerade in dieser Situation geht.
Was macht es mit uns, wenn wir uns weniger berühren und auseinanderrücken?
Wir wissen aus der Forschung, dass körperlicher Kontakt zum Beispiel in Konfliktsituationen hilft, eine leichte Berührung am Arm oder der Schulter kann schon helfen, wieder Nähe aufzubauen. Auch Berührung von Eltern und Kind beeinflusst das Immunsystem positiv.
Sind Restaurant- und Barbesuche gesellschaftlicher Kit?
Grundsätzlich können sich öffentliche Räume positiv auswirken auf das Wohlbefinden und das Zugehörigkeitsgefühl zur Gesellschaft. Wir wissen aus einer aktuellen Studie, dass Menschen, die das Gefühl haben, sie leben weit weg von Sport- und Freizeiteinrichtungen, sich tendenziell eher einsam fühlen. Zumindest in der Wahrnehmung der Betroffenen scheint es einen Zusammenhang zu geben. Ob aber die Einschränkung von Restaurant- und Barbesuchen für einen begrenzten Zeitraum sich massiv negativ auswirkt, das wage ich zu bezweifeln. Für diejenigen, die ihre Restaurants und Bars schließen müssen, ist es sicher eine schwierige Situation.
Wie wirkt eine Ausgangssperre auf den Gefühlshaushalt?
Auch hier kommt es sicher darauf an, wie lange sie aufrechterhalten wird. Je länger, desto kritischer. Wir alle kennen das: Wenn das Wetter schön ist und wir nicht raus können, kann das ein Stimmungsdrücker sein. Hinzu kommt, dass es sicher Konfliktpotenzial birgt, wenn man mit einem anderen Menschen zusammenlebt und es gar nicht mehr gewohnt ist, mehrere ganze Tage mit ihm oder ihr zu verbringen. Es gibt anekdotische Evidenz aus China, dass nach dem Auflösen der Quarantäne viele Scheidungen eingereicht wurden. Es ist für viele eben ein Ausnahmezustand und nicht unbedingt etwas, dass sich auf Paarzufriedenheit positiv auswirken muss.
Auf der anderen Seite haben wir in ein paar Monaten vielleicht statistische Evidenz, dass es mehr Kinder gibt.
Ja, das könnte sein.
>> Info: Studie zur Corona-Krise
Die persönlichen und sozialen Auswirkungen der Corona-Krise stehen im Fokus einer neuen Studie, für die die Ruhr-Uni Probanden sucht. Dabei soll auch untersucht werden, wie sich die Lage im Laufe der Zeit ändert. Darum werden die Testpersonen regelmäßig zu Ihrem Erleben, Verhalten und Wohlbefinden, zu ihrer Gesundheit und dem sozialem Umfeld befragt. Mehr Infos und Anmeldung: covid-19-psych.formr.org