Essen. Angst und Einsamkeit in Zeiten von Corona sorgen für mehr Anrufe bei der Telefonseelsorge. Am häufigsten melden sich Menschen zwischen 50 und 60.

In Zeiten sozialer Isolation haben viele Menschen Ängste und Sorgen, die sie mit niemandem teilen können. Das Bistum Essen vermeldet in Folge einen Ansturm auf die Telefonseelsorge: 50 Prozent mehr Anrufe als an normalen Tagen, dazu mehr Anfragen per E-Mail und Chat. Immer mehr Menschen wollen über die Corona-Pandemie reden.

„Die Zahl der Gespräche, in denen es um Corona geht, ist in den vergangenen Tagen um 45 Prozent angestiegen“, bestätigt Elisabeth Hartmann, Leiterin der Ökumenischen Telefonseelsorge Essen. Im Schnitt werden am Tag 42 bis 53 Gespräche mit einer Länge von durchschnittlich 24 Minuten geführt. Seit Beginn der Corona-Krise gab es einen Anstieg von etwa 13 Prozent – und das sind nur diejenigen, die auch tatsächlich durchkommen.

Am häufigsten rufen Menschen zwischen 50 und 60 an

Auch die Erstanrufe haben in Essen zugenommen. Dabei sind es nicht etwa sehr alte, einsame Menschen, die am häufigsten anrufen: „Die meisten Anrufe kommen von Leuten zwischen 50 und 60“, sagt Hartmann. Das seien die Menschen, die größte Lebenslast trügen: Job, Verantwortung für die Kinder und in vielen Fällen gleichzeitig pflegebedürftige Eltern.

An erster Stelle stehen bei den Gesprächen laut Hartmann momentan Sorgen, die unmittelbar mit dem Virus zu tun haben: Angst vor einer Erkrankung, Angst um die Eltern, aber auch Angst vor dem Verlust des Jobs und davor, die Miete nicht mehr bezahlen zu können. Viele hätten außerdem Redebedarf über ihr konkretes körperliches Befinden.

Einsamkeit plagt vor allem Menschen über 80 und unter 40

Und dann ist da noch die Einsamkeit – auch sonst ein großes Thema bei der Telefonseelsorge, in Corona-Zeiten aktueller denn je. Über Einsamkeit wollten vor allem Menschen über 80 und unter 40 sprechen, erzählt Hartmann: „Die Jüngeren leiden unter dem fehlenden Kontakt zu ihren Peergroups, der ihnen normalerweise sehr wichtig ist. Ältere vermissen zum Beispiel den Kontakt zu ihren Enkelkindern und haben teils nicht das technische Know-how, um übers Internet zu kommunizieren.“

Besonders für Menschen mit psychischen Vorerkrankungen könne die soziale Isolation zur Belastungsprobe werden: „Häufig rät man bei psychischen Problemen ja, den Kontakt zu anderen zu suchen, rauszugehen, sich zum Beispiel in ein Café zu setzen.“ Bei einer akuten Angststörung machten die Telefonseelsorger oft erst einmal eine Atemübung mit den Anrufern.

Telefonseelsorger helfen auch bei Alltagsproblemen

In anderen Situationen werden die Seelsorger zu Alltagsratgebern: „Wir geben auch Tipps, wo es welche Einkaufshilfen gibt oder welcher Ansprechpartner bei Krankheitssymptomen zu kontaktieren ist“, erzählt Hartmann. Wieder andere Menschen entwickelten in der derzeitigen Situation eine starke Nachdenklichkeit über ihr Leben und bräuchten jemanden, mit dem sie diese Gedanken teilen könnten.

Obwohl Vorerkrankte und ältere Mitarbeiter der Ökumenischen Telefonseelsorge zurzeit zu Hause bleiben, gibt es keine Probleme, die zwei Telefonleitungen zu besetzen: „Es ist toll zu sehen, wie stark sich die anderen Ehrenamtler engagieren, um die Fehlenden zu ersetzen“, sagt Hartmann. Außerdem gebe es bereits eine Welle von Freiwilligen, die sich bereit erklärten, im Bedarfsfall einzuspringen: Seelsorger, Therapeuten und Lehrer zum Beispiel.

App für suizidale Menschen und Angehörige entwickelt

Für Menschen in einer besonderen Notlage hat die bundesweite Telefonseelsorge nun eine App namens "KrisenKompass" entwickelt. Sie richtet sich an suizidgefährdete Menschen, Angehörige, die eine Person durch Suizid verloren haben und Angehörige, Kollegen und Freunde, die in einer entsprechenden Notsituation unterstützen möchten. Es sollen vor allem jene angesprochen werden, die sich nicht trauen, die Telefonseelsorge anzurufen oder per Mail zu kontaktieren.

Inhalt der App sind Methoden, die auch in der Psychotherapie genutzt werden: Zum Beispiel die Aufzeichnung von Stimmungen als Tagebuchfunktion oder das Anlegen eines Safety-Plans. Darüber hinaus kann man persönliche Archive anlegen, um aufbauende Gedanken oder persönliche Fotos, Erinnerungen oder Lieder zu speichern. Erläuterungen von Entspannungstechniken und Kontakte zu professionelle Anlaufstellen geben konkrete Hilfestellungen für eine Krise.

Telefonseelsorge ist 24 Stunden kostenlos und anonym erreichbar

Die Telefonseelsorge ist bundesweit einheitlich rund um die Uhr über die Rufnummern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 erreichbar. Die Anrufe sind kostenlos und anonym. Ein Zugang zur – ebenfalls anonymen – Beratung per E-Mail oder Chat ist über die Internetseite www.telefonseelsorge.de möglich.

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