Essen. Senioren werden Opfer von Trickbetrügern, von falschen Freunden und echten Verwandten. Eine Bankangestellte erzählt, wann sie eingreifen kann.

Die Bankangestellte Sabine Mertens (Name geändert) erinnert sich noch genau an die betagte Kundin, die auf einen Schlag 8000 Euro abheben wollte. Auf die Nachfrage, wofür das Geld bestimmt sei, erklärte die Dame: „Mein Enkel ist in Not.“ Fünf Jahre ist das her, doch beim Stichwort „Enkel“ war Sabine Mertens sofort alarmiert. Sie arbeitet seit langen Jahren für die Commerzbank und erlebt in ihrer Filiale in Essen, wie viele alte Menschen mit Betrügern, zweifelhaften Ratgebern und der Einsamkeit kämpfen.

Die alte Dame damals habe sich schnell überzeugen lassen, dass sie es nicht mit ihrem Enkel, sondern mit einem Trickbetrüger zu tun hatte: Sie rief die Polizei, die die „Geldübergabe“ für einen Zugriff nutzen wollte. „Doch der Täter hat offenbar etwas bemerkt und kam nicht.“ Immerhin wurde die Kundin nicht um ihr Geld erleichtert.

Enkeltrick: Ganz dringend wollte ein älterer Herr einen fünfstelligen Betrag abheben

Gern würden die Bankangestellten solche Betrugsmaschen in jedem Fall abwenden, doch ihr Handlungsspielraum ist begrenzt. Wenn ein Kunde geschäftsfähig ist und keinen gesetzlichen Betreuer hat, können die Mitarbeiter ihn nur ansprechen und vorsichtig aufklären, entscheiden muss er selbst.

Enkeltrick: Immer wieder händigen gutgläubige Senioren auch große Summen an Betrüger aus, weil sie glauben, damit ihrem Enkel zu helfen.
Enkeltrick: Immer wieder händigen gutgläubige Senioren auch große Summen an Betrüger aus, weil sie glauben, damit ihrem Enkel zu helfen. © Ute Grabowsky/photothek.net

So erinnert sich Ruth Schneider (Name geändert), die jahrzehntelang in der selben Filiale wie Sabine Mertens gearbeitet hat, an einen Fall wo sie kapitulieren musste: Einen fünfstelligen Betrag wollte ein älterer Herr abheben. Als sie erklärte, dass er eine Abhebung über 10.000 Euro eigentlich mit etwas Vorlauf hätte ankündigen sollen, bestand er darauf, dass er das Geld dringend brauche: „Für meinen Enkel.“ Ruth Schneider holte ihren Chef dazu, gemeinsam klärten sie den Mann über den Enkeltrick auf, vor dem die Polizei regelmäßig warnt – vergeblich.

Am Ende zahlten sie das Geld aus, schweren Herzens. „Ich hatte eine schlaflose Nacht“, sagt Ruth Schneider. Umso größer war ihre Erleichterung am nächsten Morgen: Da kam ein Verwandter des Kunden und zahlte die gesamte Summe wieder ein. „Der alte Herr war durch unser Zureden doch so verunsichert, dass er seinem Angehörigen anvertraute, dass er das Geld hinter einer Mülltonne deponieren sollte, angeblich für den Enkel.“

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In einem anderen Fall wurden Mertens und Schneider stutzig, als ein junger Mann mit der Vollmacht seiner Großmutter mehrere Tausend Euro von deren Konto abheben wollte. „Als wir sie anriefen, war sie verärgert über unseren Verdacht: Das Geld war tatsächlich ein Geschenk für den Enkel.“

Dieser Fall zeigt, welches Fingerspitzengefühl die Bankmitarbeiterinnen brauchen. „Wenn jemand große Summen abhebt, frage ich schon mal, ob es für einen Möbel- oder Autokauf ist“, sagt Sabine Mertens. Ein alter Herr, habe häufiger hohe Summen abgehoben, um anschließend vor einem nahe gelegenen Geschäft Hundert-Euro-Scheine zu verteilen – bis er unter Betreuung stand.

Alleinstehende Frauen überweisen Geld an junge Männer, die sie nur vom Foto kennen

Immer wieder überweisen alleinstehende Frauen wesentlich jüngeren Männern hohe Summen, teils nach Übersee. Mitunter ist der Angebetete nicht mehr als ein Bild aus dem Internet, ein Facebook-Freund, der ein baldiges Kennenlernen oder eine Heirat verspricht. Am Ende beklagte sich eine Betroffene in der Bank, „dass sie kein Geld mehr habe, um sich etwas zu essen zu kaufen“.

Dass neben falschen Freunden auch echte Verwandte die teils hochbetagte Kundschaft um ihr Geld bringen, erleben die Bankmitarbeiterinnen immer wieder. „Wir hören auch, dass Kinder mit der Vollmacht das Konto der Eltern leerräumen.“ Mal aus Habgier, mal in einer akuten Notlage. Für die Betroffenen ist es ein Schock, wenn sie den Vertrauensbruch entdecken.

Vertrauensperson sollte eine Bankvollmacht haben

Wer einem Verwandten oder Vertrauten eine Bankvollmacht erteilen möchte, muss nicht nur das entsprechende Formular ausfüllen. „Beide Beteiligte müssen in die Filiale kommen und sich dort auch ausweisen“, betont Matthias Kretschmer, Sprecher der Commerzbank Essen. Fällt Bankangestellten etwas Ungewöhnliches auf, können sie die Bevollmächtigten auch anrufen.

Neben dem Enkeltrick erleben die Bankmitarbeiter auch, dass ältere Kunden von falschen Polizisten angerufen werden: Diese behaupten, in der Nachbarschaft habe es Einbrüche gegeben. Um Schmuck und Bargeld in Sicherheit zu bringen, solle der Angerufene alles in eine Tasche packen und in der Nähe deponieren, dort hole es ein angeblicher Polizist ab.

Dabei seien die meisten ohnehin bereit, der Verwandtschaft bis zur Selbstaufgabe zu helfen. „Wir mussten schon Kredite ablehnen, weil die Betroffenen es nicht mehr geschafft hätten, diese bis zum 80. Lebensjahr abzuzahlen.“ Stattdessen werde dann das Dispolimit ausgereizt, um einem Angehörigen aus den Schulden zu helfen oder eine große Anschaffung zu ermöglichen. „Wenn sie jemandem helfen können, gibt ihnen das das Gefühl, gebraucht zu werden“, vermutet Sabine Mertens.

Weil sie einsam sind, kommen einige Senioren täglich in die Bankfiliale

Ein Gefühl, dass vielen alten Menschen offenbar abhanden gekommen ist: „Manche kommen täglich in die Filiale, weil sie einsam sind, weil niemand mit ihnen redet“, erzählt Sabine Mertens. Sie heben kleine Summen ab oder stellen große Fragen: Wie der Rentenbescheid zu verstehen sei, welche Versicherung sie abschließen sollen, wem sie eine Kontovollmacht erteilen sollen. Oft müssen Mertens und ihre Kollegen sie an andere Stellen verweisen, weil sie solche Ratschläge gar nicht erteilen dürfen.

„Andererseits zeigt das, wie gut das Vertrauensverhältnis zu ihrer Bank ist“, sagt Ruth Schneider. Die Commerzbank setze daher auf „digital und persönlich“, ein breites Filialnetz sei unverzichtbar. Gerade für ältere Kunden gehe mit einer Filialschließung ein Stück Heimat verloren. Ein Ort, wo man ihnen hilft, ein Überweisungsformular auszufüllen oder wo ärmere Senioren am Monatsende auch zwei oder drei Euro abheben können: „Münzen gibt der Geldautomat ja nicht raus.“

Diese Frauengeneration bleibe nach dem Tod des Mannes oft mit einer mageren Witwenrente und hilflos zurück: Ein Eheleben lang hat sich der Mann ums Geld gekümmert. Nun finden manche in der Wohnung einen Schließfach-Schlüssel und wissen nicht mal, bei welcher Bank das Schließfach ist.

Bank will verhindern, dass betagte Kunden leichte Beute werden

Mag die Politik über die Abschaffung des Bargeldes diskutieren, mögen EC-Karten, Paypal, Smartphones die Zahlungsmittel der Nachgeborenen sein, noch immer stecken Senioren Geld unter die Matratze, nähen es in Kissen ein. Noch immer kommen sie am Monatsende und heben die gesamte Rente in bar ab: „Die verlassen die Filiale mit ihrem Rollator und 1500 Euro und draußen schubst sie einer um und stiehlt das Geld“, erzählt Sabine Mertens. Sie sollten wenigstens nicht so berechenbar am Monatsletzten kommen, mahnt sie. Denn eins will sie verhindern: dass ihre betagten Kunden leichte Beute werden.

Alte Menschen bewahren mitunter nicht nur Schmuck und Wertsachen zu Hause auf, sondern verstecken auch Bargeld unter der Matratze oder nähen es in Kissen ein.
Alte Menschen bewahren mitunter nicht nur Schmuck und Wertsachen zu Hause auf, sondern verstecken auch Bargeld unter der Matratze oder nähen es in Kissen ein. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde