Essen. Über ein Jahr nach Beginn geht der “Ehrenmord“-Fall vor dem Schwurgericht Essen in die Endphase. Bis zu elf Jahre Haft fordert die Anklägerin.
Fast 14 Monate nach Beginn geht der "Ehrenmord"-Prozess gegen anfangs 13 Syrer in die Endphase. Am Dienstag, 50. Verhandlungstag, beantragte Staatsanwältin Birgit Jürgens vor dem Essener Schwurgericht bis zu elf Jahre Haft. Sie geht von einem versuchten Mord aus, lediglich bei drei Angeklagten sieht sie nur eine Beihilfe zu diesem Delikt.
Der Tatort, ein verkommener ehemaliger Getränkemarkt an der Steeler Straße im Essener Stadtteil Huttrop, ist längst dem schicken Neubau eines Discounters gewichen. Seit Wochen läuft dort schon der Verkauf.
Angriff mit Holzlatten, Tritten und Messer
In der Nacht zum 31. Mai 2018 soll dort ein 19-Jähriger vom Großteil der Angeklagten mit Holzlatten, Schlägen und Tritten verprügelt worden sein. Ein Angeklagter, der 24 Jahre alte Mostafa M. aus Freyburg in Sachsen-Anhalt, soll ihn mit einem Messer schwer verletzt haben. Für ihn hat die Staatsanwältin die höchste Strafe beantragt: elf Jahre Gefängnis wegen versuchten Mordes.
Der Grund für die blutige Attacke, die von den Angeklagten per Video festgehalten wurde und dem Gericht als Beweismittel dient: Der ebenfalls aus Syrien stammende Essener hatte ein Verhältnis mit einer 18-Jährigen Schülerin, die zur Familie der Angreifer zählt. Weil sie schon in der Heimat als 16-Jährige verheiratet wurde, soll diese Beziehung aus Sicht der Syrer die Ehre der Familie beschmutzt haben, ergaben die Ermittlungen.
Verstärkung aus Sachsen-Anhalt angefordert
Die in Viersen lebende Familie, die erst seit 2013 in Deutschland lebt, soll deshalb Verstärkung bei einem anderen Familienzweig aus Sachsen-Anhalt angefordert haben. Als Anstifter galten anfangs die Mutter der 18-Jährigen, die 40 Jahre alte Muzgin M. aus Viersen, und ihre Schwester Gulistan A. (48) aus Naumburg an der Saale. Für diese beiden beantragte die Staatsanwältin jeweils vier Jahre Haft wegen Beihilfe.
Rechtsanwalt Aykan Akyildiz, der das 19 Jahre alte Opfer in der Nebenklage vertrat, sprach in seinem Plädoyer von einer "selten so brutalen Tat". Erschreckend sei, dass sie nur deshalb geschehen sei, "weil sich zwei junge Menschen geliebt haben". Dass bei der Tat acht Menschen auf einen eingeprügelt hätten, sei feige: "Es ist auch alles andere als eine Sache der Ehre."
Opfer-Anwalt fordert deutliches Zeichen
Er forderte vom Gericht ein deutliches Zeichen: "Es darf nicht sein, dass die Familie sich das Recht herausnimmt, Strafmaßnahmen zu verhängen. Das Rache- und Sühne-Monopol liegt ausschließlich bei Gericht."
Am Dienstag plädierten auch noch Verteidiger. Sie wehrten sich gegen die Einstufung der Tat als Mordversuch, plädierten auf gefährliche Körperverletzung. Rechtsanwalt Christian Eifler, dessen Mandant allerdings nach eigenen Worten mit dem Messer zugestochen hatte, meinte, geplant gewesen sei lediglich, dem 19-Jährigen eine Abreibung zu verpassen.