Essen. Wissenschaftler schalten sich in den Disput um rassistische Kontrollen und die Strafanzeige der Polizei ein. Ihre Sicht der Dinge ist konträr.

Der Schlagabtausch um die Rassismus-Vorwürfe des Bündnisses „Essen stellt sich quer“ (ESSQ) gegen die Essener Polizei zieht weitere Kreise: Während die Staatsanwaltschaft nach wie vor auf die Strafanzeige der Behörde wegen Beleidigung gegen den ESSQ-Sprecher Christian Baumann wartet, schalten sich zwei Wissenschaftler in die sich zuspitzende Diskussion ein. Deren Sicht auf den Disput könnte allerdings gegensätzlicher kaum sein.

Dorothee Dienstbühl, Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) NRW, geht mit dem Bündnis als auch mit Jan Wehrheim und dessen Team vom Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik an der Uni Duisburg-Essen hart ins Gericht. Denn der Professor, der auf Basis seiner Forschung in Altendorf Befunde zu institutionellem Rassismus meint bestätigen zu können, stützt die Aussage Baumanns auf der Demo in Altendorf nach den Morden von Hanau ausdrücklich.

Die Aussage aus Reihen der Antifa „kriminalisiert die Maßnahmen der Behörden“

Das kritisiert Dienstbühl deutlich: „Es sollte ein Ansinnen der Wissenschaft sein, eine fundierte und sachliche Ebene herzustellen, anstatt in einer angespannten Situation einem Bündnis zur Seite zu eilen, das offensichtlich nicht daran interessiert ist, die Tat zu ergründen, sondern eine grausame Gelegenheit zur Meinungsmache und zum Schlagabtausch mit den Behörden nutzt.“

Dorothee Dienstbühl ist Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung.
Dorothee Dienstbühl ist Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung. © Privat

Der Bündnissprecher hatte am 20. Februar unter anderem formuliert, der Stadtteil sei zuletzt „immer wieder Ziel rassistischer Kontrollen durch die Polizei“ gewesen. Das brachte ihm keine Woche später die Beleidigungsanzeige der Polizei ein, die sich vor ihrer Reaktion des ausdrücklichen Rückhalts der Stadtspitze versichert hatte.

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Diese Aussage aus Reihen der Antifa als auch deren Ansicht, die gegenwärtigen Kontrollen der Polizei sowie die Berichterstattung darüber hätten die Tat von Hanau begünstigt, „kriminalisiert die Maßnahmen der Behörden“, sagt Dienstbühl. Es werde unterstellt, die Polizei stelle nicht nur die Gleichrangigkeit, sondern im Extremfall sogar die Existenzberechtigung von Menschen in Frage, und kontrolliere aus diesem Grund.

Die Polizeipräsenz im Stadtteil könne rassistische Einstellungen verstärken

Die Expertin für Clan-Kriminalität macht deutlich: „Bei den Kontrollen von Autos, Shisha-Bars und anderen Objekten im ganzen Bundesgebiet geht es um gesetzlich verankerte Maßnahmen zur Eindämmung vorhandener Kriminalität.“ Dabei müsse die Polizei sämtliche Rechte der Personen wahren, die sie kontrolliert. Tue sie das nicht, sei sie angreifbar.

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Professor Jan Wehrheim hingegen führt „zahlreiche und detaillierte Schilderungen“ von Bewohnern Altendorfs ins Feld, die „Polizeikontrollen, die sich vor allem gegen Personen richten, die ein vermeintlich nichtdeutsches Aussehen haben“, gesehen oder selbst erlebt haben. „Unsere Beobachtungen bestätigen entsprechende Kontrollpraktiken“, so der Wissenschaftler: „Unsere Forschung hat zudem zeigen können, dass die starke Polizeipräsenz im Stadtteil rassistische Einstellungen mancher Bewohner verstärken oder bestätigen kann.“ Handlungen könnten eben auch rassistisch sein und so empfunden werden, wenn sie nicht entsprechend beabsichtigt seien, gibt Wehrheim zu bedenken.

Der Antifa wird ein „problematisches Verhältnis zur Demokratie“ nachgesagt

Dorothee Dienstbühl kann diese angeblichen Ergebnisse der angeführten Studie nicht nachvollziehen, weil sie noch nicht veröffentlicht sei. „Die Aussagen sind somit als Behauptungen aufzufassen.“ Dass in der Wehrheim-Stellungnahme zudem Kriminalität in Anführungszeichen gesetzt und von vermeintlicher „Clan-Kriminalität“ gesprochen werde, mag vor diesem Hintergrund zusätzlich irritieren. Überrascht vom „Vorgehen von Seiten der Antifa“ ist die Professorin allerdings nicht wirklich, „da die Anhänger mitunter selbst ein problematisches Verhältnis zu Demokratie und Staat pflegen und Behördenagitation traditionell mit negativ wertenden Termini versehen.“

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Während Wehrheim kritisiert, dass es „in den Behörden an einer notwendigen Auseinandersetzung mit institutionellem Rassismus und einer entsprechenden Sensibilität“ mangelt, was auch die Problematisierung von Shisha-Bars direkt nach den Morden von Hanau gezeigt habe, mahnt Dienstbühl zu mehr Besonnenheit und Zurückhaltung: „Die Opfer der Morde von Hanau und deren Angehörige, zu denen auch der Vater des Täters zählt, werden seitens des Aktionsbündnisses ,Essen stellt sich quer’ zu einem politischen Spielball und zum Zweck der eigenen Inszenierung instrumentalisiert.“

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Das helfe den Menschen in ihrer Trauer nicht, es schüre Angst in der Bevölkerung und sei geeignet, die Gesellschaft weiter zu spalten.