Essen. Kehraus im Colosseum macht die Branche betroffen: Mit einer Gala wollen sich Stars der ersten Stunde wie Andreas Bieber vom Theater verabschieden.

„Wunder geschehen“ heißt der Titelsong des Musicalerfolges „Das Wunder von Bern“. Das Singspiel mit der Kulisse des Reviers wurde zwei Jahre in Hamburg gespielt. Im Ruhrgebiet aber wird man die Geschichte um die Essener Familie Lubanski und das Fußballwunder von 1954 wohl nicht mehr erleben. Weil sich der Hamburger Musical-Anbieter Stage Entertainment noch in diesem Jahr in Oberhausen und Essen zurückzieht und das Colosseum-Theater an RAG Stiftung und Eon verkauft, sieht so mancher das Ende vom Unterhaltungslied im Revier gekommen. Die Branche ist bestürzt. Und mancher will ein letztes Mal groß feiern.

Colosseum: Große Abschiedsgala mit Stars wie Andreas Bieber und Uwe Kröger

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Schöner Schein im Backsteinexpressionismus: das Colosseum Theater in Essen – mit dem gegenüberliegenden IKEA-Parkhaus die einzige erhaltene Werkshalle der ehemaligen Krupp-Stadt.
Von Ulf Meinke, Stefan Schulte und Martina Schürmann

Der anstehende Umbau des Colosseums in eine Start-up-Schmiede für Jungunternehmer breche vielen Leuten in der Musicalbranche das Herz, sagt der Essener Konzertveranstalter Andreas Luketa. Der Musikmanager und Journalist betreibt nicht nur das inzwischen europaweit einzige Musicalfachgeschäft Sound-of-Music unweit des Colosseums mit über 10.000 Produkten rund um Evita, Pretty Woman und Starlight Express. Luketa organisiert auch Tourneen und plant zum Abschied deshalb ein spektakuläres Finale. Am Montag, 25. Mai, will man mit einer großen Gala noch einmal an die Glanzzeiten des Essener Musicaltheaters erinnern. Angekündigt sind Stars der ersten Stunde wie Andreas Bieber, Essens legendärer „Joseph“, oder Uwe Kröger, der unsterbliche Tod im Musical Elisabeth. Der Kartenvorverkauf startet am Freitag, 6. März.

Ein letztes Musical-Highlight erwartet das Publikum ab April mit „Bodyguard“.
Ein letztes Musical-Highlight erwartet das Publikum ab April mit „Bodyguard“. © Handout | Jens Hauer

Kehraus im Colosseum: Noch läuft das Programm wie geplant. Folgt am Wochenende auf die furiosen Trommler von „Kokubu“ gleich der Meister-Magier Farid, eine Woche später ist Max Herre zu Gast. Und auch als prächtiges Musicaltheater darf sich die denkmalgeschützte Industriehalle noch einmal präsentieren. Vom 17. April bis 3. Mai kommt die spektakuläre Bühnenfassung des Kinowelterfolges „Bodyguard“ erstmals nach Essen.

„Essen ist für uns ein hervorragender Standort gewesen“

Veranstalter BB Promotion feiert mit Wehmut, denn die Schließung des Colosseums schmerzt auch dort: „Das Colosseum bildete einen elementaren Bestandteil unserer Tourneen. Uns trifft die Schließung daher hart“, sagt Ralf Kokemüller, CEO der Mehr-BB-Entertainment Group. Das Colosseum sei eben nicht nur eines der schönsten Theater im Ruhrgebiet und im ganzen Bundesgebiet. „Wir haben uns in Essen auch einen Markt aufgebaut und ein treues Publikum erschlossen. Essen ist ein hervorragender Standort für unsere hochwertigen Produktionen gewesen.“

BB Promotion gehört neben Anbietern wie Semmel-Concerts oder Handwerker-Promotion zu den häufigsten Mietern des seit 2010 als Event Location betriebenen Colosseums. Das Angebot reichte bislang vom Weihnachts-Gastspiel mit Klassikern wie „Die Schöne und das Biest“ bis zum Kuba-Evergreen „Buena Vista at The Bar“, der im März noch einmal gastiert. Auch das im November geplante Queen‐Musical „We Will Rock You“ sieht Kokemüller durch den Colosseum-Verkauf nicht gefährdet. „Stand heute gehe ich davon aus, dass alle Veranstaltungen stattfinden werden.“

„Den Menschen wird ein wichtiger Spielort in der Stadt weggenommen“

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Kokemüller aber fürchtet, dass die Auftritte in Essen danach seltener werden. „Eine alternative Spielstätte würde uns vor einige Herausforderungen stellen. Denn unsere großen Produktionen brauchen entsprechende Bühnentechnik“, sagt der CEO. Nicht nur der notwendige Bühnenturm fehle aber in anderen Sälen. „Die Grugahalle hat sicherlich nicht den Charme eines Theaters. Da tun wir uns eher schwer: Wenn möglich präferieren wie schon den intimen Rahmen und die Heimeligkeit eines Theaters.“, sagt Kokemüller. Die Philharmonie Essen sei für manche Formate, wie z.B. Filmkonzerte, sicher der richtige Rahmen. „Für szenische Darbietungen eignet sie sich aber nur sehr bedingt. Und jedes Theater hat auch sein eigenes gewachsenes Publikum.“

Andreas Luketa organisiert im Mai mit vielen Stars die große Abschiedsgala zur Schließung des Colosseums in Essen.
Andreas Luketa organisiert im Mai mit vielen Stars die große Abschiedsgala zur Schließung des Colosseums in Essen. © FUNKE Foto Services | Klaus Micke

Dass gerade ein Ort wie das Colosseum auch Türöffner für ganz unterschiedliche Zuschauerschichten gewesen sei, „die vorher vielleicht noch nie im Theater waren“, betont Andreas Luketa. Insofern sieht er auch bei privaten Anbietern wie Stage Entertainment eine gewisse Verantwortung, das breite kulturelle Angebot einer Stadt zu stützen. Durch den Verkauf würde den Menschen „ein wichtiger Spielort in der Stadt weggenommen.“

Das Musical-Geschäft im Ruhrgebiet hat sich nicht gerechnet

Ein Spielort, der über viele Jahre rote Zahlen geschrieben hat, betont Stage-Sprecher Stephan Jaekel. „Wir haben über Jahre versucht herauszufinden, welche Shows funktionieren, damit sich das Geschäft irgendwie rechnet. Es ist nicht gelungen.“ Die Enttäuschung des Publikums über die Doppel-Schließung könne er emotional nachvollziehen. Dem Anwurf, die Stage habe eine Nutzung durch Theater oder Musical vertraglich ausdrücklich ausgeschlossen, widerspricht Jaekel jedoch. Allerdings sieht er für mögliche Nachfolger im Ruhrgebiet ohnehin wenig Erfolgschancen: „Es wäre höchst erstaunlich, wenn es jemand anderem gelänge, das erfolgreich weiterzuführen.“

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Im Oberhausener Metronom-Theater wartet man noch auf eine Entscheidung, zur Riege der Kaufinteressenten gehört eben auch die Mehr-BB-Entertainment Group: „Wir als Unternehmensgruppe haben für eine mögliche Nachfolgenutzung Interesse signalisiert. Grundsätzlich waren wir auch in Essen interessiert. Meiner Meinung nach hätten auch beide Häuser nebeneinander existieren können“, sagt Kokemüller.

Regisseur Gil Mehmert hat das „Wunder von Bern“ inszeniert. Gerne hätte er die Produktion im Ruhrgebiet gesehen.
Regisseur Gil Mehmert hat das „Wunder von Bern“ inszeniert. Gerne hätte er die Produktion im Ruhrgebiet gesehen. © picture alliance / dpa | Daniel Bockwoldt

Über die künftige Ausrichtung der Branche macht sich auch Musical-Regisseur Gil Mehmert Gedanken. „Ich glaube, dass sich das Großevent-System gerade neu sortiert. Dass nun ausgerechnet das Ruhrgebiet darunter leidet, ist traurig. Ich hoffe, dass inhaltlich etwas Neues entsteht.“

Mehmert unterrichtet nicht nur den Musical-Nachwuchs an der Folkwang-Universität der Künste. Er hat 2014 auch „Das Wunder von Bern“ auf die Bühne des Hamburger Theaters an der Elbe gehoben. „Wir hätten’s wahnsinnig gerne im Ruhrgebiet gezeigt, aber jetzt ist der Zug wohl abgefahren“, bedauert Mehmert. Am 25. Mai aber soll das Wunder dann doch geschehen. Andreas Luketa verspricht als Zugabe der großen Abschiedsgala zumindest eine halbstündige „Wunder von Bern“-Vorstellung mit Original-Cast.