Essen. Die Ursache, warum die 81-Jährige in die Gruppe von Straßenbahn-Gästen fuhr, bleibt unklar. Ein Opfer schwebt weiterhin in Lebensgefahr.
Nach dem schweren Verkehrsunfall in Essen-Frohnhausen ermittelt die Polizei weiterhin zu den genauen Unfallhintergründen. Die Unfallfahrerin stehe unter Schock und sei noch nicht vollständig befragt worden, so Polizeisprecher Christoph Wickhorst am Montagmittag. Ihre Fahrtüchtigkeit werde geprüft.
Schwerer Unfall in Essen: Ein Opfer schwebt in Lebensgefahr
Unterdessen schwebt noch ein Schwerverletzter in Lebensgefahr. Die beiden weiteren Unfallopfer, die ebenfalls lebensgefährlich verletzt wurden, befinden sich den Angaben zufolge nicht mehr in einem kritischen Zustand. „Das sind erstmal gute Nachrichten“, sagte Wickhorst.
Nach wie vor sind Ursache und genauer Hergang des Unfalls unbekannt. Es laufen diverse Untersuchungen, auch werden noch Zeugen vernommen. Das Fahrzeug wurde sichergestellt, um es technisch zu überprüfen. Eine Blutprobe der Seniorin muss noch ausgewertet werden, um Drogen- oder Alkoholkonsum ausschließen zu können. Denkbar sei aber auch, dass die Frau gesundheitliche Probleme bekam oder ein Fahrfehler wie das Verwechseln von Gas und Bremse zu dem Unfall geführt habe, so Wickhorst.
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Bis alle offenen Fragen beantwortet seien, dürften noch einige Tage ins Land ziehen, heißt es bei der Polizei.
Auto erfasste Fahrgäste an Haltestelle in Essen
Zehn Fahrgäste der Straßenbahn-Linie 109 wurden teils lebensgefährlich verletzt, als sie beim Aussteigen an der Haltestelle Gervinusplatz in Fahrtrichtung Innenstadt von einem offenbar ungebremst herannahenden Auto erfasst wurden, das mit hoher Geschwindigkeit die stehende Straßenbahn überholt haben soll.
Drei Menschen schwebten auch am Sonntag noch in Lebensgefahr, vier wurden schwer verletzt. Fünf Unfallbeteiligte kamen mit leichten Verletzungen davon, darunter die mutmaßliche Unfallverursacherin und ihr Beifahrer. Die 81-jährige Frau, die den BMW X1 steuerte, steht laut Polizei unter Schock und ist noch nicht vernehmungsfähig.
Selbst erfahrene Beamte sprachen von einem „Schlachtfeld“, das sie so noch nie gesehen hätten
Auch erfahrene Beamte waren entsetzt, als sie kurz nach den ersten Notrufen an der belebten Kreuzung ankamen. „Es sah es aus wie auf einem Schlachtfeld“, sagte Polizeisprecher Christoph Wickhorst. „So etwas habe ich noch nicht gesehen.“
Durch die Wucht des Aufpralls waren die Opfer teils zehn Meter und mehr durch die Luft geschleudert worden, erst rund 70 Meter hinter der Unglücksstelle kam das Auto endlich zum Stehen.
Die Straßenbahn hält hier in der Fahrbahnmitte, es gibt keine Verkehrsinsel. Aussteigende müssen also die Straße überqueren, um auf den sicheren Gehweg zu kommen. Ideal ist das nicht. Normalerweise gebietet eine rote Ampel den Autos Halt, wenn die Straßenbahn steht, auch ohne Ampel wäre aber in jedem Fall ist Schritttempo Pflicht.
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Ob die Fahrerin unaufmerksam war, plötzlich gesundheitliche Probleme bekam oder ein technischer Fehler vorlag, muss nun von der Polizei ermittelt werden.
Polizei und Feuerwehr loben Passanten: Jeder Verletzte hatte jemanden, der ihm half
Klar dürfte sein, dass das Auto vom Typ SUV mit hoher Geschwindigkeit in die Menschen fuhr. „Die Tatsache, dass die Verletzten verteilt auf der Kreuzung lagen und Schuhe und Taschen verstreut wurden, lässt darauf schließen“, so Wickhorst. Auch die Schwere der Verletzungen spreche für ein nicht geringes Tempo. Zeugen berichteten, die Menschen seien „wie Puppen durch die Luft geschleudert“ worden.
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Lobend erwähnten Polizei und Feuerwehr, dass beim Eintreffen der Rettungskräfte bereits viele Passanten den Verletzten geholfen und Erste Hilfe geleistet hatten. „Jeder Verletzte hatte mindestens einen Passanten an seiner Seite, der sich um ihn kümmerte, bis ein Arzt übernehmen konnte“, berichtet Feuerwehrsprecher Mike Filzen.
Die Retter waren mit Dutzenden Fahrzeugen und Notärzten vor Ort, auch ein Hubschrauber landete auf der Kreuzung, konnte aber wieder leer abheben, da es ausreichend Rettungswagen gab und das Klinikum nah am Unfallort liegt.
Noch bis in den späten Samstagabend ist Kreuzung abgesperrt
Noch bis in den späten Samstagabend war die Kreuzung Berliner Straße/Frohnhauser Straße weiträumig abgesperrt, ein spezialisiertes Unfall-Aufnahmeteam der Polizei rekonstruierte das Geschehen.
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Anwohner stehen in kleinen Gruppen zusammen hörbar bedrückt. Beim Unfallwagen ist die Windschutzscheibe geborsten, die Vorderfront eingedrückt, die Motorhaube stark verzogen. Der Aufprall von Menschenkörpern hat das bewirkt, was die Wucht noch einmal fürchterlich verdeutlicht. Dass es nicht sogleich Tote gab, wirkt wie ein Wunder.
„Meine 14-jährige Tochter ist eine der Leichtverletzten“
Direkt gegenüber der weiterhin mit Warnblinklicht stehenden Straßenbahn holt sich Karadeniz Eray gegen 21 Uhr in einem Dönerladen etwas zu essen. Er kommt gerade aus dem Uniklinikum. „Meine 14-jährige Tochter ist eine der Leichtverletzten“, erzählt er. „Sie hat unglaubliches Glück gehabt, ist mit einer schweren Prellung davon gekommen, eine Freundin hat sie beim Aussteigen weggerissen.“
Ein vielleicht zwölfjähriger Junge, mit dem seine Tochter ebenfalls unterwegs war, habe nicht so viel Glück gehabt. „Ich fürchte, er gehört zu den lebensgefährlich Verletzten“, vermutet Karadeniz Eray. Polizeisprecher Mike Filzen bestätigt, dass auch Jugendliche und Kinder unter den Verletzten sind.
„Die Schreie der Menschen und das Bild, das sich uns bot, waren schrecklich“
In den Häusern rund um die Kreuzung gibt es viele Geschäfte und Dönerbuden, aber in den Obergeschossen auch zahlreiche Wohnungen. Die Bewohner hier haben direkt nach dem Unfall Szenen gesehen, die sie nie sehen wollten.
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„Wir haben es vom Fenster aus mitgekriegt und sind sofort raus um zu helfen“, berichtet Nermin Y. auf Facebook. „Die Schreie der Menschen - ,Das ist mein Bruder’, ,Da liegt mein Vater’ - und das Bild, was sich uns bot, war einfach nur schrecklich.“ Es sind solche Aussagen, die das Grauen dokumentieren, das sich an diesem Spätnachmittag am Gervinusplatz abspielte.
Alter der Unglücksfahrerin ist Gesprächsthema Nummer 1
Spät am Abend diskutieren direkt an der Straßenecke Nachbarn das schwer fassbare Unglück. „Mit 81 sollte man nicht mehr Auto fahren“, sagt eine Frau, die mit ihrem Hund Gassi geht. Das hohe Alter der Unglücksfahrerin ist jetzt Gesprächsthema Nummer 1, auch in den umliegenden Dönerläden. „Schluss machen mit spätestens 75“, fordert jemand und dass man unbedingt entsprechende Gesetze brauche.
„Wieso ist die Frau, ungebremst in die Menschen gefahren? Hat Sie Bremse und Gaspedal verwechselt? Wie kann so etwas überhaupt passieren?“ Fragen über Fragen, die wohl erst in einigen Tagen beantwortet werden können.